I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 287

box 3/3
23. Der Wer ins Freie
eeteteretestenete ente r neterenenene e eeeeeenenenene
heit und Stärke der Bergluft. Jede geschriebene Seite ist hier das Werk
und Bekenntnis eines Mannes. Um so schöner und fester wird bei
Hermann Hesse die Erzählung, je kürzer sie ist. Schon das Naturell des
Dichters schenkt hier jene Durchsichtigkeit und Knappheit, die das oberste
Gesetz der Novelle bleibt ... Hermann Hesses Darstellung wirkt wie die
Frische eines Bades. Schlichte und starke Worte fügen sich zu starken
und schlichten Sätzen zusammen, in denen eine tiefe Innerlichkeit einfach
spricht. Und wie steht er der Natur nahe. Man erzählt, daß Hermann
Hesse zu Fuß sein ganzes Vaterland durchstreift habe. Ich glaube es
gern. Die Vertrautheit des Fußgängers mit der Erde spricht aus diesen
Seiten, wo die junge Freude in das lichte Laub der Bäume und in den
hohen Himmel guckt ...
Welch weite Strecke wieder zwischen einem Hesse und einem Arthur
Schnitzler oder einem Jakob Wassermann.
Arthur Schnitzler ist in Dänemark bekannt. Vielleicht hauptsächlich
dem Namen nach. Dem Namen nach dafür so berühmt, daß einige
Hoffnung ist, seinem Roman „Der Weg ins Freie“ Aufmerksamkeit zu¬
zuwenden — einem bemerkenswerten Buch, eine Art Karte der vielen
Rätsel rings um den Stephansturm.
Der Roman ist Arthur Schnitzlers erstes „großes Werk“. Das
heißt, daß der, der ihn schrieb, zum erstenmal den großen Nahmen auf¬
gesucht hat. Als Arthur Schnitzler dieses Spiel wagen wollte, wählte
er die Erde, auf der er wie kein anderer daheim ist: er wählte Wien,
das seine Wiege ist: jeder Wiener ist ein Stück von ihm, und er ist ein
Stück von jedem Wiener. Und er wählte von Wien wieder das
jüdische Wien, das doppelt seine Heimat ist. Sein Roman verdankt
dieser Wahl seinen Sieg. Seine Komposition ist mittelmäßig, seine
Breite macht die Lektüre bisweilen mühsam . .. Aber sein „Daheimsein“
in dem Stoffe versöhnt mit alledem. „Der Weg ins Freie“ ist ein
Kulturbild, das uns Wien offenbart und uns Oesterreich ahnen läßt.
Es ist eine Entschleierung der jüdischen Welt. Welche seltsame, welche
unbegreifliche Welt — uns so nahe und doch so ganz fern. Mit einem
Ehrgeiz, den wir kaum fassen; mit unbekannten Wunden, mit Leiden,
die sich verhehlen und an denen wir vorübergehen, mit Siegen, deren
herbe und geheime Lust wir nicht ermessen.
Wir sehen diese Welt wie in einem Querschnitt. Wir sehen, und
wir staunen.
Diese Welt ist mitten in der Gesellschaft ein Lager. Die Männer
dieses Lagers — und die Frauen — machen Ausfälle in die große Welt
machen Ausfälle und werden zurückgeschlagen. Beginnen von vorne
und werden von neuem zurückgeworfen — im tiefsten Gesellschafts¬
frieden ruht dieser geheime Gesellschaftskampf nie. Nur wem die Augen
dafür aufgegangen sind, der sieht ihn. Aber sein Blut und Herzblut
rinnt jeden Tag
Ich sprach mit einer jüdischen Dame über Arthur Schnitzlers Buch.
Diese Dame ist sehr reich, seit Generationen. Ihre Familie zählt zu den
großen Bankhäusern Europas. Seit Jahrzehnten haben sich ihre Mit¬
glieder auf Landgüter zurückgezogen.
Sie sagte:
„Mein Freund, dieser Kampf ist noch bitterer, als Arthur Schnitzler
ihn geschildert hat. Wir wissen, und nur wir wissen, gegen welche
Grenzen wir kämpfen. Was sollen unsere Millionäre mit ihrem Gelde?
Wir stehen damit in unseren offenen Händen und reichen es dem Staate
und dem Heere. Aber weder der Staat, noch das Heer nimmt uns auf.
gründen unsere Söhne noch eine Unternehmung, die uns bereichert,
So
unsere Töchter stecken noch einen Brillantring an ihren Finger. ..
und
Von diesem Kampf und diesen Kämpfenden spricht der „Weg ins
Freie“
Jakob Wassermann, die Brüder Mann, Gabriele Reuter seine der
feinsten Persönlichkeiten in der deutschen Kunst, wie eine lebendige
Helene Alving anzusehen) — sie sind alle wert, gekannt zu werden.
Aber sie kennen lernen, erfordert Zeit.
Und wenn man nun überdies beständig zum Osten gezogen wird
die russische Literatur, die einem das liebste wurde, nicht aus den Augen
lassen kann und will?
Anton Tschechoff, Leonid Andrejew, Sollogub — wer will sie lassen,
wenn er ihnen einmal begegnet ist?
Leonid Andrejew ist eine seltsame Persönlichkeit. Einen gewöhn¬
lichen Menschen oder einen ganzen Menschen kann er nicht schildern.
Aber einen menschlichen Zustand: die „Ekstase“ beherrscht er wie kein
anderer. Darum wurden durch einen glücklichen Griff Die sieben Ge¬
henkten“ sein großer Sieg, und mußten es werden. Denn diesen be¬
sonderen Zustand, die Todesangst (auch ein ekstatischer Zustand) faßt er
und vermag ihm bei einer ganzen Schar von Menschen nachzugehen.
Dieses das Außerordentlichste von allem, die Todesqual zum Tode Ver¬
urteilter, spannt seine Phantosie, seinen Spürsinn, seine Divinations¬
Telephon 12801.
AARTAAN
O l. österr. behördl. konz. Unterrehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
0 in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopen¬
hagen, London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork,
Paris, Rom, San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellénangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
6
vom: ORf. Aoh Amee-Zelilung, Wien.
Wie die „Neue Freie Presse“ Bücher bespricht
Das privilegierte Organ des Wiener Freisinnes ist bekanntlich das
intoleranteste Blatt der Welt. Was sich nicht restlos in den engen Horizont
dieser Zeitung einfügt, wird entweder gehässig bekämpft oder systematisch
totgeschwiegen. Ohne Bedenken verheimlicht sie unter Umständen ihren Lesern
wichtige positive Nachrichten, streicht aus Parlamentsreferaten nach Belieben
entscheidende Reden u. s. w. Noch ungenierter springt sie natürlich mit
literarischen Erscheinungen um. Daß unerwünschte Zeitungen, wie die „Zeit“
niemals genannt, und Bücher, deren Tendenz der „Neuen Freien Presse“
antipathisch ist, zuweilen nicht einmal in dem sonntäglichen Verzeichnis der
„Neu erschienenen Bücher“ verzeichnet werden dürfen, ist schon sattsam bekannt.
Minder beachtet ist aber die Art, wie sie auch an ihren Lieblingen
unbarmherzig Zensur übt. So brachte sie vor einem Jahr zum Beispiel ein
großes Feuilleton über-ArtunSchuitlens hochbedeutenden Roman
Der Weg ins Freie“, sprach darin aber ausschließlich von dem einen
Thema, einer Liebesgeschichte, die im Buch vorkommt, während sie die Tat¬
sache, daß Schnitzler die äußeren Vorgänge des Romans nur als Vorwand
benützt, um — bewußt als Jude — höchst freisinnig und unerbittlich, für
den Gedankenkreis der „Neuen Freien Presse“ eben zu freisinnig, die Juden¬
frage in Oestert ich ausführlich zu erörtern, gänzlich verschwieg.
Ein neues Beispiel dieser streugen Zensur bietet der Artikel, womit
das Blatt am letzten Sonntag Hermann Bahrs „Dalmatinische
Reise“ bespricht. Aus dem Büchlein von kaum hundert Seiten werden in
einem vier Spalten langen Feuilleton alle erdenklichen nebensächlichen Details
liebevoll besprochen. Der Grundgedanke der Arbeit Bahrs aber, die seiner
Ueberzeugung nach unerläßliche Aussöhnung mit den Südslawen, wird nicht
mit einem Worte erwähnt.
Vielleicht ist diese Methode aber nichts anderes als eine weise Er¬
kenntnis der eigenen Schwäche. Die „Neue Freie Prisse“ fürchtet offenbar,
sie könnte auch noch in jenen engen Kreisen, in denen dieses Blatt heute noch
als die nicht anzuzweifelnde Offenbarin der Wahrheit gilt, den Rest von
Kredit verlieren, sobald sie verriete, daß nicht jeder „Deutsche“ die Intoleranz
der „Neuen Freien Presse“ gegen alle anderen Bewohner des Vaterlandes teilt