23. Der Ner ins Freie
box 3/5
aber kein Epigonentum zustande,
denn was ich aus Liebe zu mir
pflanze, das pfleg ich auch, daß
es bei mir wächst. In Hans
Hoffmann ist alles, was er von
andern annahm, gewachsen. Und
so merkten allmählich nach den
„Laien“ die „Kenner“ auf und
erfreuten sich bei seinen Schriften
eines feinen Künstlertums, das um
so wohltuender war, als es sich
so gar nicht aufdrängse.
Mit dem prachtvollen histori¬
schen Roman „Der eiserne Ritt¬
meister“, werden Hoffmann auch
eine ganze Anzahl seiner Novellen
lange, lange überleben. Dieser
Poet ist ganz ohne Reklame und
ganz ohne Clique allmählich zu
einem großen Hörerkreise gekom¬
men. Daß der Mensch, der durch
seine Dichtungen sprach, warm¬
herzig, frohsinnig und in seinem
sittlichen Ich kerngesund war, das
läßt besonders wünschen: es möge
in puncto Bekanntheit im deut¬
schen Volk noch eine gute Weile
so weitergehen, wie es mit Hoff¬
manns Rufe in den letzten Jahr¬
A
zehnten gegangen ist.
Zwei Romane von Otto
Stöfsl
„In den Mauern“ (Berlin 1907, Ver¬
lag von J. Bard) — „Sonjas letzter
Name“ (München 1909, Verlag von
G. Müller)
vo sonderbar es klingt, eine
SDichtung als Frucht literari¬
scher Studien zu bezeichnen, man
kann doch sagen: Die schönste
Frucht seiner Gottfried Keller= und
Konr. Ferd. Meyer=Studien legt
Otto Stössl mit dieser Schilderung
österreichischer Landschaft, österrei¬
chischer Geschichte und österreichi¬
scher Menschen vor uns hin. Kaum
ein Anklang an die Schweizer
Meister schwingt mit, aber auf dem
Grunde des Schaffens lagert die
150
sittliche Verantwortlichkeit als ge¬
meinsames Gut aller drei Erzähler.
Wer in die Vorzüge und Schwä¬
chen des Wieners unsrer Tage
Einblick gewinnen will, der lese
dies Buch, das nun freilich nicht
einmal den Anspruch erhebt ein
Wiener Roman zu sein, in Wirk¬
lichkeit aber bis jetzt einer der
ganz wenigen Wiener Nomane ist.
Dabei wickeln sich seine Vorgänge
um die Wende des 18. Jahrhun¬
derts und nicht allein in der alten
Kaiserstadt ab; sie greifen bis an
Bayerns Grenzen hinaus und
ziehen Linz und Brünn, vorüber¬
gehend auch Paris in ihr Netz.
Kapitel für Kapitel jedoch hat
eine gleichnishafte Wirkung, als
gelte es für das moderne Wien
Schnitzler decken sich („Der Weg
ins Freie") die jüdischen Kreise
in Wien fast vollkommen mit den
wienerischen Kreisen, Stössl mußte
nicht nur das Judentum beiseite
lassen, das um 1809 noch im
Ghetto seufzte und weder im Gro߬
kaufmannsstande noch in den Sa¬
lons zu finden war, er erkannte
wohl auch in der Zähigkeit der
eingewanderten Rasse das Gegen¬
spiel zu rein=österreichischen Eigen¬
schaften. Zwar versucht jeder typi¬
sche Österreicher einmal in ener¬
gischem Anlaufe ein Ziel zu neh¬
men, Kraft und Talent unter¬
tützen ihn sichtbarlich. Hat er es
aber erreicht, so gibt er sich ge¬
mächlicher Ruhe hin und geht im
Wohlgefühl des bescheidenen Er¬
folges auf oder gar — unter;
bleibt das Ziel ihm versagt, so
wagt er keinen neuen Angriff, son¬
dern übt sich im Naunzen, wenig¬
stens im Schwatzen und Tratschen,
das elegant über das Mißgeschick hin¬
wegtragen soll. Des Wieners Müdig¬
keit bereitete ja dem quecksilber¬
beweglichen, tatsüch igen Judentun
Kunstwart XXII, 21
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aber kein Epigonentum zustande,
denn was ich aus Liebe zu mir
pflanze, das pfleg ich auch, daß
es bei mir wächst. In Hans
Hoffmann ist alles, was er von
andern annahm, gewachsen. Und
so merkten allmählich nach den
„Laien“ die „Kenner“ auf und
erfreuten sich bei seinen Schriften
eines feinen Künstlertums, das um
so wohltuender war, als es sich
so gar nicht aufdrängse.
Mit dem prachtvollen histori¬
schen Roman „Der eiserne Ritt¬
meister“, werden Hoffmann auch
eine ganze Anzahl seiner Novellen
lange, lange überleben. Dieser
Poet ist ganz ohne Reklame und
ganz ohne Clique allmählich zu
einem großen Hörerkreise gekom¬
men. Daß der Mensch, der durch
seine Dichtungen sprach, warm¬
herzig, frohsinnig und in seinem
sittlichen Ich kerngesund war, das
läßt besonders wünschen: es möge
in puncto Bekanntheit im deut¬
schen Volk noch eine gute Weile
so weitergehen, wie es mit Hoff¬
manns Rufe in den letzten Jahr¬
A
zehnten gegangen ist.
Zwei Romane von Otto
Stöfsl
„In den Mauern“ (Berlin 1907, Ver¬
lag von J. Bard) — „Sonjas letzter
Name“ (München 1909, Verlag von
G. Müller)
vo sonderbar es klingt, eine
SDichtung als Frucht literari¬
scher Studien zu bezeichnen, man
kann doch sagen: Die schönste
Frucht seiner Gottfried Keller= und
Konr. Ferd. Meyer=Studien legt
Otto Stössl mit dieser Schilderung
österreichischer Landschaft, österrei¬
chischer Geschichte und österreichi¬
scher Menschen vor uns hin. Kaum
ein Anklang an die Schweizer
Meister schwingt mit, aber auf dem
Grunde des Schaffens lagert die
150
sittliche Verantwortlichkeit als ge¬
meinsames Gut aller drei Erzähler.
Wer in die Vorzüge und Schwä¬
chen des Wieners unsrer Tage
Einblick gewinnen will, der lese
dies Buch, das nun freilich nicht
einmal den Anspruch erhebt ein
Wiener Roman zu sein, in Wirk¬
lichkeit aber bis jetzt einer der
ganz wenigen Wiener Nomane ist.
Dabei wickeln sich seine Vorgänge
um die Wende des 18. Jahrhun¬
derts und nicht allein in der alten
Kaiserstadt ab; sie greifen bis an
Bayerns Grenzen hinaus und
ziehen Linz und Brünn, vorüber¬
gehend auch Paris in ihr Netz.
Kapitel für Kapitel jedoch hat
eine gleichnishafte Wirkung, als
gelte es für das moderne Wien
Schnitzler decken sich („Der Weg
ins Freie") die jüdischen Kreise
in Wien fast vollkommen mit den
wienerischen Kreisen, Stössl mußte
nicht nur das Judentum beiseite
lassen, das um 1809 noch im
Ghetto seufzte und weder im Gro߬
kaufmannsstande noch in den Sa¬
lons zu finden war, er erkannte
wohl auch in der Zähigkeit der
eingewanderten Rasse das Gegen¬
spiel zu rein=österreichischen Eigen¬
schaften. Zwar versucht jeder typi¬
sche Österreicher einmal in ener¬
gischem Anlaufe ein Ziel zu neh¬
men, Kraft und Talent unter¬
tützen ihn sichtbarlich. Hat er es
aber erreicht, so gibt er sich ge¬
mächlicher Ruhe hin und geht im
Wohlgefühl des bescheidenen Er¬
folges auf oder gar — unter;
bleibt das Ziel ihm versagt, so
wagt er keinen neuen Angriff, son¬
dern übt sich im Naunzen, wenig¬
stens im Schwatzen und Tratschen,
das elegant über das Mißgeschick hin¬
wegtragen soll. Des Wieners Müdig¬
keit bereitete ja dem quecksilber¬
beweglichen, tatsüch igen Judentun
Kunstwart XXII, 21