I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 361

ins Freie
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23. Der Meg
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und oft genug mit Recht den Namen der Phäakenstadt eingetragen
haben; nur zu verständlich für Jeden, der auch nur Wochen lang
im Bann der schönen Stadt mit ihrer weichen Luft und ihrer Mu¬
sikfreude geweilt hat; und doch erscheint das Alles dem Leben völlig
fremd und nur fragmentarisch, wenn ein Staatsmann und ein
nationaler Gedanke aufstehen und ein großes Reich an seine Größe
erinnern, es zu neuen Thaten nach so vielen Worten emporrufen.
Gewiß liegt (auch Das hat Bahr gesagt) jedem Oesterreicher noch
ein Stück Spanier im Blut; wir brauchen nur an Grillparzer zu
denken. Aber im alten Spanien gabs, neben dem Fanatismus einer
religiösen Unduldsamkeit von nahezu dämonischem Stil, doch mehr
als ein bloßes Fuchteln mit den Klingen; da wurde wirklich drein¬
geschlagen, die Welt beherrscht und nicht nur mit Dolchen gespielt.
Etwas Romanisch=Südliches brütet in dem Drama dieses Wien,
dem Drama Hugos von Hofmannsthal; aber die Dichtung schwebt
immer wie gefangen einher zwischen den Mauern einer dem Leben
fernen Weltanschauung, die im Grunde immer nur eine Ich=An¬
schauung ist und bleibt; eine fast tragisch klingende Frage an die
Vergänglichkeit aller Dinge, an den Sinn dieses Lebens wird laut,
aber die Antwort lautet weder Ja noch Nein: sie wird mit leisen
Worten, mit wunderschönen Worten gegeben, die doch das wirk¬
liche Leben nicht durchdringt. Das wirkliche Leben, das doch auch
in Oesterreich, in Anzengrubers Romanen, Dorfgängen und Dra¬
men, in Saars Novellen und Elegien, in den Erzählungen der
Frau von Ebner=Eschenbach und in den Werken so manches er¬
freulichen Talentes, von Rosegger bis zu Hoffensthal, klingt und
wirkt. Man fühlt sich versucht, noch einmal das Wort Grillparzers
von der Gefährlichkeit Wiens zu citiren; zumal, wenn man sieht,
wie auch Kräfte, die nicht in ihrem Bannkreis heranwuchsen, all¬
zu rasch der Stimmung dieser Woge erliegen. Wie hinter Mas¬
ken wandelt diese ganze wiener Dichtung einher; und wer offenen
Angesichtes in den Kreis trat, nimmt nur zu rasch die Larve vor
und geht im Reigen mit. Jakob Wassermann hatte sein starkes
Talent, das sich schon in einzelnen Szenen der „Juden von Zirn¬
dorf“ verrieth, noch eben zu der großen, objektiven Leistung des
„Kaspar Hauser“ emporentwickelt. Nun erscheint auch er, der jetzt
in Wien lebt, ganz verfallen dem weichen, spielerischen Leben, das
nicht Oesterreich an sich, das nur immer wieder eine bestimmte
Gruppe wiener Literatur darstellt und sich schon in Friedrich Halm
vorbereitet hat. „Die Masken Erwin Reiners“ heißt, bezeichnend
genug, der neue Roman Wassermanns. Der Stoff ist sehr einfach:
ein junger Gelehrter von fast weiblichem Empfinden muß, um seine

angegriffene Lunge zu kräftigen, eine zweijäyrige Reise in die
Tropen unternehmen, wo er zugleich seine Wissenschaft erweitern
will. Er vertraut seine fern von der wiener Gesellschaft lebende
schöne Braut für Nothfälle dem Schutz Reiners, eines Freundes,
an. Dieser Erwin, Sohn eines reich gewordenen Bürgers, Dozent,
Sportsman, Lebemann, Schriftsteller, Kunstgenießer, entdeckt in
Virginia ein Mädchen von nie erschautem Reiz und nimmt sich am
ersten Tag der Bekanntschaft vor, sie zu erobern. List und Lockung,
Werbung und Brutalität bringen ihn zwar so weit, daß sie ihn,
französisch ausgedrückt, in ihrem Blut wohnen fühlt; seine Wünsche
zu dem Abwesenden, nicht erfüllen. Er entführt sie und hält sie
zwei Tage in seiner Gewalt; dem ganz Zerstörten, dessen Gesicht
müde, sich schließlich hingeben, aber er fühlt aus diesen Worten
einer ermatteten Resignation, daß sie ihm jetzt ganz entglitten ist.
Sein von innen heraus zerstörtes, von außen her untergrabenes
Leben endet ein Schuß. Das Mädchen findet sich nach langer
Stunde heimberufenen geliebten Manne zurück.
Ein Stoff, der für novellistische Behandlung nicht ohne Reiz
wäre; und Niemand kann leugnen, daß auch die allzu breite,
romanhafte Darstellung Wassermanns ihren Reiz hat. Virginias
Auf und Ab, ihrer Mutter Hin und Her von kleinbürgerlicher
Ehrbarkeit bis zu fast kupplerischer Verblendung: Das ist fein und
aus sehr intimer Menschenbeobachtung heraus gegeben. Nur die
Voraussetzungen, auf denen Alles ruht, sind künstlich und brüchig;
künstlich und brüchig ist, rasch uninteressant wird Erwin Reiner
selbst. Man hat ihn, vulgär gesprochen, nach wenigen Seiten „her¬
aus“: ein Genüßling, der, wie Fontane so hübsch sagt, das Mora¬
lische aus dem ästhetischen Fonds bestreitet, ein Mensch, der die
rohen Triebe seiner Natur durch eine starke äußere Selbstzucht,
gute Formen und einen weite Bildungskreise bewältigenden Ver¬
stand scheinbar hebt und veredelt. Im Ganzen doch nicht mehr als
ein Blender, der nirgends tiefere Theilnahme für seine Masken,
Gesichte seiner brutalen Leidenschaft und seiner spielerischen Geistig¬
keit, weckt. Warum, fragen wir nicht erst am Schluß, wird uns
dieser Mensch so dargestellt, mit so peinlicher Deutlichkeit und Aus¬
führlichkeit beschrieben? Das ist keine Beckmesserfrage; denn nir¬
gends leuchtet hier, wie etwa aus der Gestalt Virginias und wie
aus manchem früheren Werk Wassermanns, der hohe und starke
Zwang heraus, der einen Dichter treibt, so und nicht anders zu