I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 360

ins
Freie
23. Der Neg

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Masken.
Slfred von Berger, wohl einer der klügsten und feinsten Köpfe
Sats des heutigen Oesterreichs, hat, als die Aera Franz Ferdi¬
nands und Aehrenthals durch ihre ersten Thaten sichtbar wurde,
mit nicht verhehltem Jubel das neue Oesterreick Ungarn begrüßt:
„Wir werden wieder gehaßt in der Welt, wie es einem großen,
selbstbewußten Volke zukommt.“ Er empfand, daß auf die Aller¬
weltbeliebtheit des Oesterreichers, den das Ekelwort „gemüthlich“
auszeichnete, nicht mehr zu rechnen sei. Man dachte an Ferdinand
Kürnberger und vernahm mit hellem Staunen den Klang, den
dieser echte Sohn Oesterreichs vor vierzig Jahren für die Schicksale
seines Vaterlandes gefunden hatte; hörte den selben Klang der.
That, den das neue, jetzt werdende Oesterreich zu ersehnen schien,
bei dem nach allen seinen Wandlungen auch Hermann Bahr an¬
gelangt war und den aus dem Deutschen Reich nur wärmster Zu¬
ruf grüßen konnte.
Wie weit in unseren Tagen aber die Literatur fast überall
vom wirklichen Leben der Nation steht und schafft, dafür scheint die
wiener Dichtung immer aufs Neue Belege bringen zu wollen.
Da meinte man, wenn es Arthur Schnitzler brannte, die Juden¬
frage darzustellen, die Oesterreich so länge durchtobte und heute
noch bewegt, müsse ein starkes Gemälde entstehen, aus dem wir die
Linien des Kampfes wirklich erkennen könnten. Wir müßten sehen,
wie sich die tiefen Unterschiede zwischen den einzelnen Schichten der
jüdischen Bevölkerung auswirken, wie hier die Assimilation ge¬
lingt, dort der Zionismus als die einzige Rettung erscheint und in
der Mitte unsichere Dispositionen nach beiden Seiten schwanken,
vom feindlichen Anstunn anderer sozial aufgepeitschten Kräfte zer¬
rieben, auch wiederum befeuert, nicht der Ruhe überlassen werden.
Statt solcher Darstellung fand man im „Weg ins Freie" Schnitzz
lers feine Gaben, die Stimmung verdämmernder Abende an der¬
Donau, in wiener Gassen, in Oberitalien, man fand Plausch und
immer wieder Plausch über die Judenfrage; aber das eigentliche
Geschehniß rankte sich an die Gestalt eines dilettirenden Aristo=L
kraten (oder aristokratischen Dilettanten), dem wir seinen Beruf
zur Kunst so wenig glauben wie die Behauptung, daß er die Thür
ins Freie wirklich gefunden habe. Sein ganzer Weg führt im Kreis
um ein süßes Mädel, eins der ungezählten dieser wiener Gene¬
ration, herum; und der scheinbar neue Pfad wird ihn gewiß nicht
ins Freie, sondern zu einem neusten und süßesten Mädel hinführen.
Das sind die Tendenzen und Stimmungen, die Wien von je