I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 363

23. Der Neg ins
Freie
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Seite 12
„Neue National-Zeitung“
Nr. 17
jetzt in Buchform erschienen ist. Um es gleich im Vorhinein
Lust an der Verstellung, ihrer Falschheit mit gutem Gewissen
zu sagen: Wir hätten es lieber gesehen, wenn der hochtalen¬
dem inneren Verlangen in eine Rolle und Maske, in einen
tierte Verfasse: der „Juden von Zirndorf“ von „Alexander
Schein hinein“.
in Babylon“, des „Kaspar Hauser“ sich einen andereren Stoff
Wir aber geben Großmann den Rat, sich in Kreisen,
gewählt hätte, als den in seinem neuesten Romane behan¬
die ihm näher stehen, umzuschauen, dort wird er
delten. Der Inhalt ist sehr kurz anzugeben: Ein junger,
die Masken der Verlogenheit, der Verstellung und Falschheit
reicher Würtling, der bereits den Becher der Lüste bis zur
viel eher finden, er braucht nicht allzusehr in die Ferne
Neige geleert hat, wird, sonderbarerweise, von seinem Freunde,
zu schweiien, er hat das Schlechte so nah.
der sich auf eine Weltreise begibt, zum Beschützer oder
Das ist die Manier der verschämten und unverschämten
besser Bewacher des mit ihm verlobten Mädchens gemacht.
Antisemiten: Fehler gewisser, von uns gewiß nicht verteidigten
Ihre Tugend und Standhaftigkeit werden die Wellenbrecher
Menschenklassen zu verallgomeinern, und sie der Gesamtheit,
in dem Kampfe, welche der vdcksichtslose Wollüstling gegen
anzuheften. Das nennen dann die Herren Menschheitsbeglücker
die Sittenstrenge des jungfräulichen Mädchens führt. Natürlich
Gerechtigkeit, Wahrheit. Wir aber und mit uns alle Vor¬
endet die Geschichte mit dem Selbstmorde des übersättigten
urteilslosen, haben dafür eine andere Bezeichnung.
Menschen, des Bockes, der von seinem Freunde zum Gärtner
Doch, ich glaube, wir hätten uns nun mit der ästheti¬
gemacht wurde, ährend der Freund zurückkehrt und die
schen Würdigung, die Stephan dem Romane Wassermanns
Virginia bürgerlich, sittlich heiratetet.
zuteil werden läßt, genügsaln, mehr als sie wert ist, beschäftigt.
Wir nehmen wohl mit Recht an, daß die meisten
Wassermann sowohl, als auch wir, können jedoch, wenn ur
Leser dieses Roranes Wassermanns nur die Schönheit der
Stephans Worte in der „Arbeiter-Zeitung“ lesen, ausrufent:
Form und Dars ellung, die Gewalt und der hinreißer“e
Der Herr behüte uns vor unseren Freunden, mit unsere
Glanz der Sprache entzückt haben. Doch, das zu beurteilen
Feinden werden wir schon selbst fertig werden. Vielleich
ist nicht unsere Sache und auch nicht der Zweck dieser
aber erinnern sich die Juden, wenn wieder die Wahlzei
Zeilen.
kommt, was das Organ für „Freiheit und Menschenrechte“
Was hat nun disser Roman, der ein sehr aktuelles
über sie geschrieben hat, über ihre „Falschheit und
Kapitel unserer allgemeinen, gesellschaftlichen Zustände
Lust an Verstellung“. Dann gibt es auch für uns
behandelt, aus welchem Alte und Junge ohne Unter¬
ein Philippi, wo wir uns wiedersehen.
lwri.
schied des Bekenntnisses und Geschlechtes, wahr¬
haft nützliche Lehren ziehen können, was hat dieser
Roman mit den Juden zu tun? Das müssen die
neugierigen Leser der Stephan Großmann-Fragen nachlesen. Sein
Scharfsinn hat herausgefunden, daß der Typus „Erwin Reiner“
am üppig#en auf dem Boden des Judentums
gedeiht oder, genauer ausgedrückt, auf dem Boden jener
üdischen Familien „die plötzlich reich geworden und den
Sprößling jäh aus der eroberten kommerziellen Welt heraus
in eine rein geistige Atmosphäre versetzen“ Wir sind gewiß
die Letzten, welche gewisse nicht jüdische Erscheinungen,
wie wir sie leider in den Kreisen unserer jüdischen Finanz¬
welt wahrnehmen, billigen werden; aber wer gibt dem Herrn
Großinann von der „Arbeiter-Zeitung“ das Recht, sich auf
den hehen Stuhl des Kritikers zu setzen, eine Philippika
gegen den „Legenerationstypus“ loszulassen, der in „jüdischen
Familie1“ am leichtesten gedeiht? Wo, an welcher
Stelle, ppricht Wassermann davon, daß Erwin Reiner einer
jüdischen Familie entstamme? Der Dichter hat vielmehr
den Typus der geistreichelnden, übersättigten Wollüstlinge
schildern wollen, denen nichts mehr heilig ist. Und wir
denken, diesen Typus findet man in den verschiedensten
Salons, ohne Unterschied des Bekenntnisses. Aber die Kritiker
von der Sorte Stephans, vollgesogen von Vorurteilen, von
denen sie sich, trotz ihres Austriltes aus dem Judentum,
nicit befreien können, obgleich sie angeblich für Menschen¬
befreiung kämpfen, doktrinäre, kleinliche Naturen, die sich
zur Höhe wahrer, freisinniger Weltanschauung nicht erheben
können — für die gerade so, wie für die Kollegen vom „Deutschen
Volksblatt“ der Judenpunkt jener Pol ist, um den sich ihr
bischen Verstand dreht und über den ihre ganze Weisheit
nicht hinauskommt, diese sogenannten Rezensenten, sie be¬
nützen jeden Anlaß, um den Juden eins am Zeug zu flicken;
bietet sich dieser Anlaß nicht von selbst dar, so ziehen sie
ihn bei den Haren herbei.
Ein Großmann wagt es, uns Juden, die wir alles, was
wir besizen, erringen und erkämpfen müssen, zu sagen:
Es bleibt für uns nichts übrig als ein leeres Leben in
Masken“. Und dann kleidet er sich in den Mantel seiner
Belesenheit und ruft aus: „Der genialste Seelenkenner unserer
Zeit, nichts weniger als ein Judenfeind, hat die Juden das
eigentliche Schauspielervolk genannt“, er spricht „von ihrer