I, Erzählende Schriften 23, Der Weg ins Freie. Roman (Die Entrüsteten), Seite 364

23. Der W
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leg ins Freie

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Saisonbeginn
rist nicht übel. Das Theater des Westens — „zwar ists nur
zur Hälfte abgebrannt, aber man muß Gott für alles danken,“
singt der Dichter Caliban, für den auch der Fall Halm ein
Thema wäre. Oder soll man ernstlich klagen, daß aus. einem ziel¬
und zwecklosen Schauspielhaus ein unzweideutiges Ausstattungs= und
Operettentheater wird? Herrn Halms anständige Absichten in
Ehren: er wäre lieber mit Schillers als mit Sandeks Hilfe seine
Hypothekenzinsen schuldig geblieben und zog nur darum den Kitsch der
Kunst vor, weil sonsi schon drei Jahre früher seine Aktionäre mit
brennenden Lampen und andern harten Gegenständen geschmissen
hätten. Aber wenn Halms Herrschaft trotz diesem Opfer an Ueber¬
zeugung nicht gerade lange gewährt hat, wird die Theatergeschichte
gleichwohl seinen Namen verzeichnen müssen: weniger, weil er seine
sechs Jahre dazu benutzt hat, eine geschmackvoll lustige Aufführung
von Molières Herrn von Pourceaugnac zustande zu bringen, als
weil er in wahrhaft großzügiger Weise mit dem lücherlichen Prinzip
gebrochen hat, daß Theaterkünstler jeder Art für ihre Leistungen ent¬
lohnt werden. An seinem Theater war nahezu grundsätzlich „Nicht¬
beteiligten der Eintritt verboten“. Die einzelnen Quadratmeter der
Bühne wurden von den Liebhabern kleiner Schauspielerinnen er¬
steigert. Die Dummen schienen nicht alle zu werden. Was der
Mann angestellt hat, um das Sprüchwort schließlich doch Lügen zu
strafen, ist nicht aufgeklärt. Es wird so sein, daß eben auf die Dauer
aus keinem Theater ein Auktionslokal zu machen ist; daß aber ein
Theater zum Auktionslokal werden muß, sobald es nicht irgend einem
Bedürfnis abhilft. Dieses Bedürfnis braucht gar nicht drängend
gewesen zu sein, ja, es braucht gar nicht bestanden zu haben, denn man
kann Bedürfnisse bekanntlich entdecken und sogar erfinden. Aber
daß für die Begründung eines Theaters das Bedürfnis smarter Unter¬
nehmer, einen Bauplatz möglichst vorteilhaft loszuschlagen, ein zu¬
reichender Anlaß ist: so ungesund ist die Theaterstadt Berlin, die in
den letzten zehn Jahren leider viel von ihrer Gesundheit eingebüßt
hat, auch heute noch nicht. Und dieses Neue Schauspielhaus war
gänzlich überflüssig. Es gab die Unterhaltungsstücke, die überall
willkommen sind, nicht immer unterhaltsam; und es gab die klassischen
Dramen, die vom Hoftheater im alten, von Reinhardt im neuen und
vom Schillertheater im billigen Stil gegeben werden, stillos und teuer.
Herr Halm, der für größere Stadttheater ein verwendbarer Regisseur
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