Tc
d eines Jungvesellen
box 2/11
22. Der 1#0 Sinnumeesasiien
gemäßen Erkenntnis seiner sittlichen und gesellschaftlichen Verwerflichkeit (also zur
Anwendung des „gesunden Menschenverstandes“) geführt und das folgerichtige Dor¬
gehen von Dynastie und Armee haben dieser Erkenntnis praktische Geltung ver¬
schafft. Und mehr als einen solchen, historisch als möglich nachgewiesenen Umschwung
der öffentlichen Meinung will ja die Antiduellbewegung auch auf dem Kontinente nicht.
Der Tod des Junggesellen.
Novelle von Arthur Schnitzler.
Es wurde an die Türe geklopft, ganz leise, doch der Arzt erwachte sofort,
machte Licht und erhob sich aus dem Bett. Er warf einen Blick auf seine Frau,
die ruhig weiterschlief, nahm den Schlafrock um und trat ins Dorzimmer. Er er¬
kannte die Alte nicht gleich, die mit dem grauen Tuch um den Kopf dastand.
„Unserm gnädigen Herrn ist plötzsch sehr schlecht geworden,“ sagte sie, „der
Herr Doktor möchten so gut sein und gleich hinkommen.“
Nun erkannte der Arzt die Stimme. Es war die der Wirtschafterin seines
Freundes, des Junggesellen. Der erste Gedanke des Doktors war: Mein Freund
ist fünfundfünfzig Jahre alt, das Herz ist schon seit zwei Jahren nicht in Ordnung,
es könnte wohl etwas Ernstes sein.
Und er sagte: „Ich komme sofort, wollen Sie so lange warten?“
„Herr Doktor entschuldigen, ich muß noch geschwind zu zwei anderen Herren
fahren.“ Und sie nannte die Namen des Kaufmanns und des Dichters.
„Was haben Sie bei denen zu tun?“
„Der gnädige Herr will sie noch einmal sehen.“
„Noch — einmal — sehen?“
„Ja, Herr Doktor.“
Er läßt seine Freunde rufen, dachte der Arzt, so nahe fühlt er sich dem
Tode .... Und er fragte: „Ist wer bei Ihrem Herrn?“
Die Alte erwiderte: „Freilich, Herr Doktor, der Johann rührt sich nicht fort.“
Und sie ging.
Der Doktor trat ins Schlafzimmer zurück, und während er sich rasch und
möglichst geräuschlos ankleidete, stieg etwas Bitteres in seiner Seele auf. Es war
weniger der Schmerz, daß er vielleicht bald einen guten, alten Freund verlieren
sollte, als die peinliche Empfindung, daß sie nun so weit waren, sie alle, die noch
vor wenig Jahren jung gewesen.
In einem offenen Wagen, durch eine milde, schwere Frühlingsnacht fuhr der
Arzt in die nahe Gartenvorstadt, wo der Junggeselle wohnte. Er sah zum Fenster
des Schlafzimmers hinauf, das weit offen stand, und aus dem ein blasser Licht¬
schein in die Nacht herausgeflimmert kam.
Der Arzt ging die Treppen hinauf, der Diener öffnete, grüßte ernst und senkte
traurig die linke Hand.
„Wie?“ fragte der Arzt mit stockendem Atem, „komm ich zu spät?“
„Ja, Herr Doktor,“ erwiderte der Diener, „vor einer Diertelstunde ist der
gnädige Herr gestorben.“
d eines Jungvesellen
box 2/11
22. Der 1#0 Sinnumeesasiien
gemäßen Erkenntnis seiner sittlichen und gesellschaftlichen Verwerflichkeit (also zur
Anwendung des „gesunden Menschenverstandes“) geführt und das folgerichtige Dor¬
gehen von Dynastie und Armee haben dieser Erkenntnis praktische Geltung ver¬
schafft. Und mehr als einen solchen, historisch als möglich nachgewiesenen Umschwung
der öffentlichen Meinung will ja die Antiduellbewegung auch auf dem Kontinente nicht.
Der Tod des Junggesellen.
Novelle von Arthur Schnitzler.
Es wurde an die Türe geklopft, ganz leise, doch der Arzt erwachte sofort,
machte Licht und erhob sich aus dem Bett. Er warf einen Blick auf seine Frau,
die ruhig weiterschlief, nahm den Schlafrock um und trat ins Dorzimmer. Er er¬
kannte die Alte nicht gleich, die mit dem grauen Tuch um den Kopf dastand.
„Unserm gnädigen Herrn ist plötzsch sehr schlecht geworden,“ sagte sie, „der
Herr Doktor möchten so gut sein und gleich hinkommen.“
Nun erkannte der Arzt die Stimme. Es war die der Wirtschafterin seines
Freundes, des Junggesellen. Der erste Gedanke des Doktors war: Mein Freund
ist fünfundfünfzig Jahre alt, das Herz ist schon seit zwei Jahren nicht in Ordnung,
es könnte wohl etwas Ernstes sein.
Und er sagte: „Ich komme sofort, wollen Sie so lange warten?“
„Herr Doktor entschuldigen, ich muß noch geschwind zu zwei anderen Herren
fahren.“ Und sie nannte die Namen des Kaufmanns und des Dichters.
„Was haben Sie bei denen zu tun?“
„Der gnädige Herr will sie noch einmal sehen.“
„Noch — einmal — sehen?“
„Ja, Herr Doktor.“
Er läßt seine Freunde rufen, dachte der Arzt, so nahe fühlt er sich dem
Tode .... Und er fragte: „Ist wer bei Ihrem Herrn?“
Die Alte erwiderte: „Freilich, Herr Doktor, der Johann rührt sich nicht fort.“
Und sie ging.
Der Doktor trat ins Schlafzimmer zurück, und während er sich rasch und
möglichst geräuschlos ankleidete, stieg etwas Bitteres in seiner Seele auf. Es war
weniger der Schmerz, daß er vielleicht bald einen guten, alten Freund verlieren
sollte, als die peinliche Empfindung, daß sie nun so weit waren, sie alle, die noch
vor wenig Jahren jung gewesen.
In einem offenen Wagen, durch eine milde, schwere Frühlingsnacht fuhr der
Arzt in die nahe Gartenvorstadt, wo der Junggeselle wohnte. Er sah zum Fenster
des Schlafzimmers hinauf, das weit offen stand, und aus dem ein blasser Licht¬
schein in die Nacht herausgeflimmert kam.
Der Arzt ging die Treppen hinauf, der Diener öffnete, grüßte ernst und senkte
traurig die linke Hand.
„Wie?“ fragte der Arzt mit stockendem Atem, „komm ich zu spät?“
„Ja, Herr Doktor,“ erwiderte der Diener, „vor einer Diertelstunde ist der
gnädige Herr gestorben.“