I, Erzählende Schriften 22, Der Tod des Junggesellen. Novelle, Seite 3

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Der Arzt atmete tief auf und trat ins Zimmer. Sein toter Freund lag da,
mit schmalen, bläulichen, halb geöffneten Lippen, die Arme über der weißen Decke
ausgestreckt; der dünne Dollbart war zerrauft, in die Stirne, die blaß und feucht
war, fielen ein paar graue Haarsträhne. Dom Seidenschirm der elektrischen Lampe,
die auf dem Nachtkästchen stand, breitete ein rötlicher Schatten sich über die Dolster.
Der Arzt betrachtete den Toten. Wann ist er das letztemal in unserem Haus ge¬
wesen, dachte er. Ich erinnere mich, es schneite an dem Abend. Im vergangenen
Winter also. Man hat sich recht selten gesehen in der letzten Zeit.
Don draußen kam ein Geräusch vom Scharren der Pferde. Der Arzt wandte
sich von dem Toten ab und sah drüben dünne Aste in die Nachtluft fließen.
Der Diener trat ein, und nun erkundigte sich der Arzt, wie alles gekommen sei.
Der Diener erzählte dem Arzt eine wohlbekannte Geschichte, von plötzlichem
Ubelbefinden, Atemnot, Herausspringen aus dem Bett, Auf= und Abgehen im Zimmer,
Hineineilen zum Schreibtisch und Wiederzurückwanken ins Bett, von Durst und
Stöhnen, von einem letzten Indiehöhefahren und Hinsinken in die Holster. Der
Arzt nickte dazu, und seine rechte Hand hielt die Stirne des Toten berührt.
Ein Wagen fuhr vor. Der Arzt trat zum Fenster. Er sah den Kaufmann
aussteigen, der einen fragenden Blick zu ihm heraufwarf. Der Arzt senkte unwill¬
kürlich die Hand, wie früher der Diener, der ihn empfangen hatte. Der Kaufmann
warf den Kopf zurück, als wollte er's nicht glauben, der Arzt zuckte die Achseln,
trat vom Fenster fort und setzte sich, plötzlich ermüdet, auf einen Sessel zu Füßen
des Toten hin.
Der Kaufmann trat ein, im offenen, gelben Überzieher, legte seinen Hut auf
ein kleines Tischchen nahe der Tür und drückte dem Arzte die Hand. „Das ist ja
furchtbar,“ sagte er, „wie ist es denn geschehen?“ Und er starrte den Toten mit
mißtrauischen Augen an.
Der Arzt berichtete, was er wußte, und setzte hinzu: „Auch wenn ich zurecht
gekommen wäre, so hätt' ich nicht helfen können.“ „Denken Sie,“ sagte der Kauf¬
mann, „es sind heute gerade acht Tage, daß ich ihn zuletzt im Theater gesprochen
habe. Ich wollte nachher mit ihm soupieren, aber er hatte wieder eine seiner ge¬
heimnisvollen Verabredungen.“ „Hatte er die noch immer?“ fragte der Arzt mit
einem trüben Lächeln.
Wieder hielt ein Wagen. Der Kaufmann trat ans Fenster. Als er den Dichter
aussteigen sah, zog er sich zurück, denn nicht einmal durch eine Miene wollte er
der Künder der traurigen Neuigkeit sein. Der Arzt hatte aus seinem Etui eine
Zigarette genommen und drehte sie verlegen hin und her. „Es ist eine Gewohn¬
heit aus meiner Spitalszeit,“ bemerkte er entschuldigend. „Wenn ich nachts ein
Krankenzimmer verließ, das erste war immer, daß ich mir draußen eine Zigarette
anzündete, ob ich nun eine Morphiuminjektion gemacht hatte oder eine Toten¬
beschau.“ „Wissen Sie,“ sagte der Kaufmann, „wie lang ich keinen Toten gesehen
habe? Dierzehn Jahre
seit mein Dater auf der Bahre lag.“ „Und — Ihre
Frau?“ „Meine Frau hab' ich wohl in den letzten Augenblicken gesehen, aber —
nachher nicht mehr.“
Der Dichter erschien, reichte den anderen die Hand, einen unsichern Blick zum
Bett gerichtet. Dann trat er entschlossen näher und betrachtete den Leichnam ernst,