I, Erzählende Schriften 21, Der tote Gabriel, Seite 3


550

Greit in Riga: 8 Rbl. jährlich, 4 Rbl. halbjährüch.
2 Abl. vierteljährlich, 75 Kop. für 1 Monat.
1778—1889
[IPreis ins Haus geliefert: 10 Rbl. jährlich, 5 ## halb¬
(von 1889—1907 nicht erschie
N 208.
jährlich, 2½/# Rbl. vierteljährlich, 1 Abl. monatlich.
Breis durch die Post. 10 Rbl. jährl., 5 Rbl. halbjährlich
2½ Kbl. vierteljährlich, 1 Rbl. für 1 Monat
Hundertundachtzehnter

Annahme von Abonnements und Inseraten im Inlande.

In Nigs: im Kontor der Müllerschen Buchdruckerei.
In Tuckum: V. Kreytenberg, Apotheke.—Talsen: J. Koncewicz
*
Dorpat: J. B. Krüger, Buchh., Ferd. Vergmann, Buchh.
Bauske: K Steppermann, Buchh.— Canden: Emil Stein.
Rebaktion:
Pernan: Emil Treuseld, J. Anderson, L. W. Laakmann.
Frauenburg: Ringait=Wehjsch.—Revalt Kluge & Ströhm,
Nr. 190.
Fellin: F. Feldt, Kluge & Ströhm. — Lemsal: J.
Telephon Nr. 199.
Hapfal: A. Koppel. — Arensburg: Theod. Lange.
Gregorlus. — Wenden: Balwin, Buchh. Ad. Plamsch,
St. Petersburg: L. & E. Metzl & Ko., gr. Morskaja 11.
A. Jack. — Wolmar: Trey. — Walk: August Lyra, vorm.
N. Mattifsen, gr. Stallhofstr. 29.
Moritz Rudolffs Buchh. — Werro: W. v. Gaffron.— Stock¬
Moskan: L. & E. Metzl & Ko., Mjasnizlaja, Haus Sytow.
mannshof: A. Wihksne, Buchh.— Mitai: Ferd. Besthorn,
N. Petschkowski, Petrowka N 6. J. Deubner, Fur¬
Donnerstag, den 6. (19.
C. Th. Bluhm, H. Allunan.
kassowskaja, Haus Obidin. Kaiserliche Hofbuchhandl. der

Libau: B. D. Meyer, G. L. Zimmermann, R. Puhze.
Gesellschaft M. O. Wolff, Schmiebebrücke.

Falebstadt: H. Hickstein. — Goldingen: Ferd. Besthorn.


Warschau: L. & E. Metzl & Ko., Krakauer Vorstadt N 53.
Windan: Th. C. Antmann.
:
„ Niew: Karl Schepe, Buchh., Nikolajewfkaje 9.
Dohlen: J. Aumal. — Preekuln: Gebr. Burkewitz.
Preis pro Cxemplmn 5 Ko
8
S
W


1
Er kannte Irene schon einlge Jahre, ohne 1e27
schwebte und mit ihrem Tänzer in
sonderliches Interesse an ihr genommen zu haben,
Der tote Gabriel.
verschwand. Als der Walzer zu
und wie allen Bekannien des Hauses war auch
spazierte Ferdinand im Saal herum,
Von
ihm ihre Neigung zu Gabriel kein Geheimnis
Arthur Schnitzler*).
was ihn eigentlich hergelockt hatte,
geblieben. Als Ferdinand ein paar Tage vor
Mühe wert gewesen war, dised
Sie tanzte ansihm vorüber, im Arme eines
el
Weihnachten im Hause ihrer Eltern zu Gaste
Daseins, der in der letzten
Herrn, den er nicht kannte, neigte ganz leise den
die
gewesen war, hatte sie mit ihrer angenehmen
lichen Stunden in Wilhelmi
Kopf und lächelte. Ferdinand Neumann ver¬
dunklen Stimme ein paar Lieder gesungen. Ga¬
einen düsteren Reiz mehr verli
beugte sich tiefer, als es sonst seine Art war. Sie
briel hatte sie auf dem Klavier begleitet, und
rauschenden Banalität dieses Balle
ist auch da, dachte er verwundert und fühlte sich
Ferdinand erinnerte sich deutlich, daß er sich ge¬
lassen. Und er bekam plötzlich
mit einem Male freier als vorher. Wenn Irene
fragt hatte: Warum heiratet denn der gute Junge
nicht nur von dem Balle ju entferne
es über sich vermochte, schons vier Wochen nach
nicht das liebe, einfache Geschöpf, statt sich an
den allernächsten Tagen, vielleicht
Gabriels Tod im weißen Kleide mit einem
diese großartige Wilhelmine zu hängen, die ihn
Stadt zu verlassen und eine Reis
beliebigen unbekannten Herrn durch
einen
sicher demnächst betrügen wird? Daß gerade er
Süden anzutreten, nach Sizilien ode
lichten Saal zu schweben, so durfte er sich's
vom Schicksal ausersehen war, diese Ahnung wahr
Er überlegte eben, ob er vor seiner?
auch nicht länger übel nehmen, an
diesen
zu machen, das hatte Ferdinand an jenem Tage
helminen Lebewohl sagen sollte als
Ort der lauten Freude gekommen zu
sein.
freilich noch nicht geahnt. Doch was den wahren
vor ihm stand. Leicht neigte sie den
Heute abend zum erstenmal nach
vier
Anteil seiner Schuld an Gabriels Tod anbelangte,
widerte seinen Graß; er reichte ihr
Wochen stiller Zurückgezogenheit war er von
hatte Anastasius Treuenhof, der Versteher
dem Wunsch erfaßt worden, wieder unter Menschen
führte sie durch das Gedränge im
aller irdischen und göttlichen Dinge, sofort fest¬
wenigen Stufen hinauf zu dem breit
zu gehen. Zur angenehmen Ueberraschung seiner
gestellt, daß ihm in dieser ganzen Angelegenheit
den gedeckten Tischen, der rings um
Eltern, die sich ihres Sohnes tiefe Verstimmung
nicht die Rolle eines Individuums, sondern die
lief. Eben fing die Musikwieder an,
über den Tod eines doch nur flüchtigen Be¬
eines Prinzips zugefallen, daß daher wohl zu
ersten Schwellen der Akkorde sagte #
kannten kaum zu erklären gewußt hatten, war
gelinder Wehmut, keineswegs aber zu ernsthafter
„Er ist tot — und wir zwei sind dal
er zum Abendessen im Frack erschienen, hatte die
Rene ein Anlaß vorhanden sei.
Immerhin
erschrak ein wenig, beschleunigte
Absicht geäußert, den Juristenball zu besuchen,
war es ein peinlicher Augenblick für Ferdinand
seine Schritte und bemerkte endlich
und entfernte sich bald mit dem angenehmen
gewesen, als er mit Wilhelmine an Gabriels
das erste Mal seither, daß ich unter
Gefühl, den guten alten Leuten ohne besondere
Grabe stand, auf dem noch die welkenden
Menschen bin.“
N
Mühe eine kleine Freude bereitet zu haben.
Kränze lagen, und seine Begleiterin plötzlich mit
Im Fiaker, der ihn nach den Sophiensälen führte,
„Für mich ists heute schon das
jenem Tonfall, den er von der Bühne her so gut
wurde ihm wieder etwas beklommen ums Herz.
erwiderte Irene mit klater Stim.e
kannte, zu ihm, dem Tränen über die Wangen
Er dachte der Nacht, in der er von Wilhelmi¬
bin ich im Theater gewesen und einm
liefen, die Worte sprach: „Ja, Du Schuft, nun
nens Fenster aus drüben am Stadtparkgitter eine
Soiree.“
kannst Du freilich weinen.“ Eine Stunde später
dunkle Gestalt hatte auf und ab wandeln sehen;
„War es amüsant?“ fragte Ferdin
schwor sie allerdings, daß um seinetwillen auch
des Morgens, an dem er, noch im Bette liegend,
„Ich weiß es nicht. Irgendwer
Bessere als Gabriel hätten sterben dürfen, und in
die Nachricht von dem Selbstmord Gabriels in
gespielt, irgend ein andirer hat kom
den letzten Tagen schien es Ferdinand manchmal,
der Zeitung gefunden, der Stunde, da ihm Wil¬
vorgetragen, und dann lät man getan
als hätte sie alles Traurige, was geschehen war,
helmine den ergreifenden Brief zu lesen gegeben,
„Ja, es ist immer dasselbe,“ ben
einfach vergessen. Treuenhof wußte auch diesen
dinand.
in dem Gabriel von ihr, ohne ein Wort des
seltsamen Umstand zu erklären, und zwar damit,
Vorwurfs, ewigen Abschied genommen hatte.
Sie standen vor einer Tür.
daß die Frauen mit den Urelementen verwandter
Auch während er über die breite Treppe empor¬
Quadrille engagiert,“ sagte Irene,
als die Männer und daher von Anbeginn dazu
stieg und selbst im Saal beim Rauschen der
sie nicht tanzen. Flüchten wir auf d
geschaffen wären, das Unabänderliche mit Ruhe
Musik war ihm nicht heiterer zumute ge¬
Ferdinand führte Irene über die sch
hinzunehmen.
worden; erst Irenens Anblick hatte seine Stim¬
Wendeltreppe hinauf Er sah ei
mung erhellt.
Zum zweitenmal lanzte Irene an Ferdinand
Paderstäubchen auf Irenens Schultern.
vorüber und wieder lächelte sie. Aber ihr Lächeln
Haar trug sie in einem schweren Knot
schien ein anderes als das erstemal; beziehungs¬
*) Aus der eben bei S. Fischer in Berlin erschienenen
Nacken. Ihr Arm lag leicht in
Novellensammlung des ausgezeichneten Schriftstellersreicher, grüßender, und ihr Blick blieb auf
Die Tür zur Galerie stand offen, in
„Masken und Wunder“.
Ferdinand haften, während sie schon wieder davon= Loge saß ein Kellner, der sich nun ei