I, Erzählende Schriften 19, Die Weissagung (Hexerei), Seite 3

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Telephon 12801.
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I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quallenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Conalaun
Wn
vom:
B
Breslan, 24. Januar.
—r. Freie literarische Vereinigung. Am Montag abend trug
Artur Schnitzler in der Freien literarischen Vereinigung einige
eigehpfungen vor Schnitzler gehört zu den wenigen Autoren, die
gute Interpreten ihrer eigenen Werke sind; das hat er auch bei uns vor
einigen Jahren bewiesen, als er an gleicher Stelle seinen „Leutnant
Gustel“ vortrug. Leider behinderte ihn am Montag eine leichte Er¬
kältung an der vollen Entfaltung seiner stimmlichen Mittel und dami:
auch in der feinen Kunst der Differenzierung. Den ersten Teil des
Abends füllte eine langere. noch unveröffentlichte Erzählung „Die Weis
sagung" Nach einer Periode des Ultramaterialismus vertieft sich ja
unsere Zeit gern wieder in seltsame Probleme, die den Zusammenhängen
der übersinnlichen und sinnlichen Welt nachspüren, Probleme, wie sie einst
E. T. A. Hoffmann und andere Dichter jener Zeit besonders gereizt
und beschäftigt haben. Aber während Hoffmann den Hauptwert auf das
Hervorbringen und Festhalten einer unheimlichen gruseligen Stimmung
legle, versucht Schnitzler in seiner kleinen Novelle nicht das merkwürdig:
Eintreffen der höchst merkwürdigen Prophezeiung in den Vordergrund
zu stellen, sondern doch wieder das rein psychologische Moment, die Arr.
wie der eigentümliche Bann jener Prophezeiung, die Ungewißheit, ob
rund wie sie sich erfüllen wird, auf einen durchaus modernen aufgeklärten
Manne lastet.
Im zweiten Teile trug Schnitzler eine der kleinen
Anatol=Dialoge vor, und die recht lustige Plauderei „Excentrik“, die
freilich am wenigsten Schnitzlersche Eigenart zeigt. Das Publikum, das
anfangs bei den befremdlichen Vorgängen der „Weissagung“ nicht recht
mitging, wurde allmählich Immer wärmer und zeichnete Schnitzler durch
reichen Beifall aus.
— —

Telephon 12801.
„OBSERVER‘
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest, Chicago, Christiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Quellenangabe ohne Gewähr.)
Ausschnitt aus:
Mlaun Olbacn
vom:

ntane
Freie litterarische Vereinigung. Montag, den 22. Januar.
In Arthur Schnitzler, dem letzten Gaste der „Freien
litterarischen=Be##gungenten wir — in nicht zu großen Inter¬
vallen — den dritten Stern des jungwienerischen litterarischen Drei¬
gestirns Bahr=Hoffmannsthal=Schnitzler auf dem Podium begrüßen.
Er ist vielleicht nicht der tiefste der drei Dichtercharaktere, unstreitig
aber der persönlich interessanteste, richtiger gesagt: der persönlichste.
Seine starke lyrische Kraft, die schwermutige Verträumtheit, die re¬
signierte Melancholie seines Wesens gibt seinen Dichtungen, selbst den
tief im realistischen Boden wurzelnden, einen Hauch reinster, edelster
Poesie. Diese sich wie ein sanfter Schleier über alle seine Dichtungen
breitende Melancholie, über die selbst der Dramatiker Schnitzler nicht
hinwegkommt, — von der „Liebelei“ bis zum „Einsamen Weg? ist
sie ihm wie ein Schatten gefolgt — artet zuweilen aus in eine Vor¬
liebe für das „Mystische“: Er sucht die Rätsel des Tod
as
lösen,
Reich der Schatten zu ergründen. Das Verschl
zebe
Alltags, das Sterben der Gefühle, des Willens
die sein Poetengemüt beschäftigen. „Es spielen
und Lüge, Traum und Wachen, Sicherheit ist
nichts von andern, nichts von uns, wir spielen imn
ist klug —
Fast scheint es, als ob Schnitzler das Leitmot
er mit diesen Worten seinem „Paracelsus“ gibt, in der Erze
„Weissagung“ weiter spinnen wollte. Auch hier scheinen Wahrheit
Luge ineinander zu spielen, scheinen Traum und Wachen sich zu be¬
gegenen. Man ist geneigt, den mystischen Vorgang konstruiert zu
finden. Indessen, wir haben keinen Anlaß, Schnitzlers Worten zu
mißtrauen, wenn er sagt, daß die Geschichte sich so abgespielt hat.
Ueberrascht doch das Leben uns selbst zuweilen mit den wunderlichsten
Zufälligkeiten.
Auch mit der Dialog=Szene „Weihnachtseinkäufe“ knüpft Schnitzler
an ihm besonders geläufige Motive an. In diesem wohl feinsten Stück
der Sammlung „Anator finden wir Hindeutungen auf die Motive der
„Liebelei". Da ist der Wiener Lebemann, der ein Verhältnis mit
kleinen Vorstadtmädchen unterhält und dabei die Ehe einer Ver¬
ateten zu — biegen sucht. Wir sehen nur Anatol und die flirtende
daine. Die Dritte aber, das Hernalser Vorstadtmädchen schwebt
gleichsam unsichtbar über der charmanten Szene. Auch hier bleibt,
wie stets bei Schnitzler, die Handlung in zart angedeuteten Linien.
Nur die stille Note melancholischer Sentimentalität klingt durch, die
ihren rührenden Ausdruck findet in den Worten, mit denen die Mon¬
baine Anatol das Weihnachtsgeschenk, eine einfache Blume, für die
„Kleine“ überreicht: „.
* *
von einer Unglücklichen, die nicht so
lieben darf, wie sie lieben möchte.“ In der Zeichnun
tiger hin¬
gehauchter Stimmungs=Bildchen liegt Schnitzlers un
Meister¬
schaft. Am liebsten und am eigenartigsten variiert
Thema
der Liebe, die ihm das größte Rätsel des Lebens
ner sich
in „Exzentrik“ auch nicht zu jener blutig=ir
tire er¬
hebt, wie im Reigen, so gibt er dem Bilde doch auc
mehr ätzende
Schärfe, als er es sonst tut. Die reigenartigen Liebesabenteuer einer
Variétédame, für die ein eleganter Snob in unbeirrbarer Anbetung
erglüht, bilden den heiteren Kern der mit humoristischer Verve ge¬
gebenen Erzählung. Auch dieser scheinbar so grotesk übermütigen
Novelle fehlt nicht ein Zug leiser Melancholie, die dämpfend und
mildernd die erotisch bewegte Szene beschattet.
Der Vortrag, den Schnitzler sonst ungewöhnlich lebendig und wirk¬
sam zu gestalten wußte, erfuhr diesmal eine leise Trübung durch eine
Indisposition des Autors.
Doch übte trotzdem die Persönlichkeit
Schnitzlers ihren eigenartigen Zauber und die Hörer brachten dem
Wiener Gaste die herzlichsten Sympathiekundgebungen entgegen.