I, Erzählende Schriften 19, Die Weissagung (Hexerei), Seite 6

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Neissagung
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19. Bnenenen nge
wins Theorie die Gemüter sehr erregte, was sie doppelt
interessant macht.
In Karl Goldmanns Die Rettung des Narren?
greift Till Eulenspiegel in die Handlung ein. Jedoch
nicht der derbe Spaßmacher, dessen lose Streiche einst
so viel zur Volksbelustigung beitrugen: Eulenspiegels
Signum ist nur mehr ein Lächeln, ein heiteres und
doch ernsthaftes Lächeln. Er will seinen Mitmenschen
dazu verhelfen, daß sie sich bis zu diesem überlegenen
Lächeln durchringen, doch gelingt ihm das nur sehr
selten.
Der junge Mönch, der arme Narr, den er retten
will, bringt die Kraft, die dazu gehört, nicht auf: Er
hat das Gelübde der Keuschheit gebrochen und muß
zur Strafe für sein Vergehen der Hinrichtung der ge¬
liebten Frau beiwohnen. Nachher wird er in eine Ge¬
birgswüste verbannt und hofft, auf der einsamen Wan¬
derung zu erfrieren. Eulenspiegel rüttelt ihn noch ein¬
mal wach, er will den Versuch machen, den Unglücklichen
in das Leben zurückzugeleiten. Leider nützt diesem
armen, verquälten Menschen seine Fürsorge nichts mehr:
das überlegene Lächeln zaubert erst der Tod auf seine
Lippen.
Eine ähnliche Rolle wie Till Eulenspiegel in der
Rettung des Narren spielt der Freiherr von Münchhausen
im Bad der Gesundheits von Hans Müller. Müller
vermeidet jedoch Reflexionen: Gleich den alten Erzählern
Leidet er traurige Wahrheiten in das schillernde Gewand
des Märchens oder der Fabel, und Scherz und Ernst
wechseln stets in anmutendster Weise miteinander al
Münchhausen erzählt die Geschichte eines kostbaren
Bechers, den er einst samt dem Wein verschluckte und
vierzig Stunden im Halse behielt, und ihn während
dieser Zeit immer von neuem füllte und wieder leerte.
Unmittelbar darauf folgt die Schilderung der furchtbaren
Rache, welche Bauern an hrem tyrannischen Gutsherrn
nehmen. Sie machte Münchhausens Gastgeber, den alten
Das Rätsel des Angelus und andere Novellen.
3 Buch der Abenteuer.
Grafen Nepomuk, so mürbe, daß er seinen Leibeigenen
die Freiheit schenkte. Durch eine andere, nicht minder
treffliche Geschichte führte er die flatterhafte Gräfin
Eusebia in die Arme ihres Gatten zurück.
Nun hält Münchhausen seine Mission auf Schloß
Herrmanitz für beendet und läßt sich von dem Burg¬
hauptmann aus einer Kanone abfeuern. Unmittelbar
darauf wird dem Grafen die Meldung abgestattet, daß
der Freiherr von Münchhausen wohlbehalten in seiner
Heimat angelommen ist ...
Wieder in ein anderes Gebiet der Phantasie gehört
Der Schlaraffe von Johannes Schlaf: der Schlaraffe war
ein Geschöpf mit langen Affenarmen und kolossalen
Plattfüßen, sein Kopf glich dem eines Seehundes und.
das Gesicht zeigte die traditionellen Merkmale der
Wassermänner oder Meergreise: den großen, unförmigen
Mund und das unter der wulstigen Unterlippe ver¬
schwindende Kinn.
Das Dasein dieses seltsamen Wesens, das mit einem
Menschen nur eine flüchtige Ahnlichkeit zeigte, war an
den Fluß gebunden, an dessen Ufern die Erzählung.
spielt. Der Schlaraffe und der Fluß, den Schlaf in
ganz eigenartiger Weise beseelt, gehören zusammen. Sein
Leben fand einen mysteriösen Abschluß: Man fand ihn
eines Morgens tot am User liegen mit einer furchtbaren.
Wunde am Halse. Wie wenn eine riesige Kralle ihm
die Schlagader aufgerissen hätte ...
Artur Schnitzler wagt sich in der Novelle Die
Weissagung“ auf eines der dunkelsten Gebiete der Phan¬
tastik—Viele-Dichter betraten es schon vor ihm und
fast jeder wußte alles, was er dort beobachtete, über¬
zeugend vorzubringen. Schnitzler übertrifft jedoch die
meisten von ihnen an psychologischem Feingefühl.
Der Inhalt der Novelle ist in kurzen Worten fol¬
gender:
Franz von Umprecht stand vor zehn Jahren als
4 „Dämmerseelen“.