I, Erzählende Schriften 13, Excentric (Du bist mir zu lustig), Seite 6

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Exzenti
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13. A. nn
Telephon 12801.
„OBSERVER
I. österr. behördl. konz. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Wien, I., Concordiaplatz 4.
Vertretungen
in Berlin, Budapest. Chicago, Cbristiania, Genf, Kopenhagen,
London, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-York, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
[Kuellenang-“ ohne Gewähr.)
Aeriun Zastrng, Aonehen
Ausschnitt aus:
-A. 11 1905
vom:
— P
40
Theater- und Konzertanzeiger.
J. Dramatische Gesellschaft. Im großen Saale des
Hotel Vier Jahreszeiten veranstaltete die Münchener Dra¬
matische Gesellschaft einen Vortragsabend. Hermann
Bahr aus Wien, der am Samstag der hiesigen Urauffüh¬
rung seines Schauspiels „Die Andere“ anwohnen wird, las
eigene und fremde „Dichtungen“. Ich habe hier stets den
Standpunkt vertreten, daß bei der Vorlesung von Werken der
dramatischen oder erzählenden Gattung nicht das Werk,
sondern der Vortragende zu besprechen sei, damit nicht solche
Vorlesungen als Hintertüren üblich werden, um eine auf
dem normalen Wege nicht erhältliche öffentliche Kritik über
das Werk zu erzwingen. Das ist auch mein Standpunkt
gegenüber dem Vortrage Hermann Bahrs, den ich übrigens
als einen Schriftsteller von Geist und Beweglichkeit schätze
und gegenüber der Dramatischen Gesellschaft, deren Rührig¬
keit und Initiative trotz des kurzen Bestehens des Vereins
schon zu einem wertvollen Faktor im geistigen Leben unserer
Stadt geworden ist. Bahr las zuerst einen Einakter eigener
Kreszenz, den „Klub der Erlöser“, eine Art leichterer Wede¬
kind. Es wäre interessant, das verblüffend und stellenweise
witzig gemachte Ding im Münchener Schauspielhause zu
sehen. Ein rechtes Urteil nur nach dem Vorlesen abzugeben,
ist nicht gut möglich, da die zum Teil ziemlich langen szeni¬
schen Bemerkungen die Aufmerksamkeit ablenken und den
Genuß beeinträchtigen. Das Lesen von Dramen ist und
bleibt eben doch ein recht bedenkliches Surrogat, und das
Werk kommt dabei zu kurz. Der Humor der darauf ge¬
itler „Erzenteik“ schien mir ge¬
lesenen Novelle von Sh
zwungen, dünn und meyr für das Kleine Witzblatt ge¬
eignet. Bahr ist ein guter Vorleser. Er bringt seine Poin¬
ten mit Effekt, hat eine drollig nonchalante Art und charak¬
#terisiert ganz nett. Mir persönlich ist der Bahr lieber, der
geistvolle Feuilletons über Shakespeare und moderne Malerei
geschrieben hat, und die Notwendigkeit derartiger Verfasser¬
Vorlesungen leuchtet mir nicht ganz ein. Der Saal=war zur
Hälfte leer, das Publikum verhielt sich anfänglich abwartend,
später ziemlich animiert.
Münchenen #chanki
A. Berlin, Daduptst, Culeugo, Cansulr-. —
Londen, Madrid, Mailand, Minneapolis, New-Vork, Paris, Rom,
San Francisco, Stockholm, St. Petersburg.
(Qusllenungabe ehns Gewähr.)
Ausschnitt au, Berliner Börsenecurier
-S. 11. 1302
vem
Aus München schreibt uns unser Korrespondenti|g
unterm 2. November: Hermann Bahr, dessen neuees
8:
9
Schauspiel „Die Andere“ übermorgen in unsereim!
Schauspielhause zur Uraufführung gelangen soll, ist
.
von Wien herübergekommen, um den letzten Proiben
65
beizuwohnen. Heute bestritt er — wie an dieser Stelle
1
bereits angekündigt war — das Programm des ersten
58
diesjährigen Vortragsabends der Münchener
eig¬
Dramatischen Gesellschaft im großen Saal¬
der „Vier Jahreszeiten“ mit der Rezitation seines noch ####
Klub derssr
unveröffentlichten Einakters
Erlöser" und Arthur Schnitzlers kleiner Novelle ge
„Exzentrik“.
1
„Der Klub der Erlöser“ will — wohlshe
nicht ohne Beziehung auf bestimmte Personen und
sei
Verhältnisse
jene modernen Dekadenten der##
höchsten Gesellschaftskreise
verspotten,
satirisch
st
die sich in der pietistisch=ästhetischen Pose de¬
mütiger Selbsterniedrigung und prophetengleicher
Menschheitsbeglückung gefallen, ohne in Wahr=s9

heit dabei den Charakter ihrer Klasse zu verlieren.g
Der suggestibelschwachmütige jugendliche Sprosse eines
regierenden Hauses, das manchen Frevel gegen die
11
Menschheit verübte, hat sich durch eifriges Studium
der zeitgenössischen Anklageliteratur
eine derartiges
moralische Zerknirschung „angelesen“, daß er auf alle
Vorrechte seines Standes verzichtet, als einfacher
„Herr Doktor“ auf eine Insel im Meer — es ist frei¬
lich eine sehr gesegnete und komfortable Insel — sich
zurückzieht und dort durch eine Großtat exemplarischer!
Selbstüberwindung sich und sein schuldbeladenes Ge¬
schlecht entfühnen und die Welt „erlösen“ will. Diese)
Erlösungstat soll darin bestehen, daß er eine Zucht¬
häuslerin und frühere Straßendirne, die einst auch
seinen eigenen Lüsten diente, feierlich zur Frauss
nimmt. Um dem Exempel die nötige Resonanz
geben, lädt er dazu die vorurteilsfreieren!
zu
Mitglieder des fürstlichen Hauses auf sein Inselschloß,
außerdem allerlei Journalisten, Angehörige der Heils¬
*
armee usw., vor allem aber einen berühmten-K###
katurenzeichner, der ihn und seine Verwandten ###lt
um rn
A
grimmigem Hohn überschüttete und deshalb von dem
perversen Dekadenten als entscheidender Erwecker zum
Güten leidenschaftlich verehrt wird: er soll jetzt als
berufenster „Richter“ erklären, daß der Exprinz doch
nicht so minderwertig sei, wie er geglaubt habe. Die
Eingeladenen kommen, auch der Karikaturist; letzterer
aber behandelt den „Erlöser“ nur mit massiver Ver¬
achtung: und bei der pompösen Vorfeier der grotesken
Hochzeit, zu welcher auch ein „Kaiser der Sahara“
als ungebetener Gast erscheint, entrüstet sich der
Bräutigam in plötzlichem aristokratischen Impuls der¬
maßen über die unzulänglichen Tischmanieren der
„Braut“, daß auch diese ihren natürlichen Gefühlen
jetzt den standesgemäß=drästischen Ausdruck gibt, und
die ganze Komödie in die Brüche geht. Dreifach zer¬
kuirscht sucht der Prinz Verzeihung bei seinem ver¬
ehrten Mentor, dem Karikaturisten; doch zu seiner
Bestürzung macht ihm der Scheidende jetzt das
Kompliment, daß nach solcher Probe wurzelständigen
Empfindens vielleicht doch noch etwas Brauchbares
aus dem „Erlöser“ werden könne, wenn auch nur ein
„Korpskommandeur“ im Dienste seines gewiß versöhn¬
lichen Vaters.
Die Fabel des Stückes — dessen Ensembleszenen
Bahr übrigens nur in geschickter Andeutung wieder¬
gab — hat viel Gutes für sich, leider aber ist die
Ausgestaltung so maßlos übertrieben und so viel un¬
nötig bizarres Episodenwerk eingefügt, daß die scharse
Zeitsatire fast ganz in burleskem Ulk untergeht.
Ueber
„Exzentrit“ bekannte Novellette
ist nicht viel mehr zu sagen, als daß sie
recht wenig schnitzlerisch ist, vielmehr von jedem be¬
liebigen Plauderer stammen könnte. Das zahlreiche
Auditorium nahm
indessen diese Kleinigkeit mit
kräftigerem Applaus auf als den weit interessanteren
Einakter, aus dem es augenscheinlich nicht recht klug
wurde.