13. Exzentrik
bos 2/2
ADAR AA LDAA O A — I
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELLE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Prager Tagblatt, Prag
vom:
11DEZ. 1932
ARTHUR SCHNITZLER:
300
Ezehtrik
Gestern nacht sitz' ich im Kaffeehaus, da sagt plötz= sollte. Du kannst dir denken, daß ich darauf gesallt
lich einer hinter mir: „Ah, non — ca — nie wieder!"
war, aber ich hatte anfangs die Hoffnung, nicht dar¬
Ich hätte nicht aufzusehen brauchen; das war August.
auf zu kommen. Darin hab' ich es nämlich zu einer
Er war schön und elegant wie immer. Mit jener
wahren Virtuosität gebracht. Ich besuche meine Schö¬
wunderbaren Leichtigkeit, um die ich ihn immer im
nen (August hatte manchmal solche Ausdrücke aus
Stillen beneidet habe, nahm er an dem kleinen Tisch¬
der alten Schue) „nie zu einer ungewohnten Stunde,
chen mir gegenüber Platz, ohne den gelben Urber¬
ich leje nie die Briefe, die ich zufällig auf dem Tische
zieher, der ihm nur um die Schultern hing, abzulegen,
finde, ich entferne mich sofort aus jedem Lokal, falls
rückte den kleinen, steifen, runden, schwarzen Hut.
ich ihren Namen am Nebentisch von einem Fremden
über den noch mehr zu sagen sein wird, tief in die nennen höre, und wenn ich trotz aller dieser Vor¬
Stirn und rief einen Kellner herbei, der, über dem sichtsmaßregeln etwas erfahre, glaub' ich es einfach
Billard liegend, eine Zeitung las. Es war nämlich
nicht. Aber alle diese Maßnahmen haben bei Kitty
halb drei Uhr morgens, im Mai, und wir waren die
versagt. Erinnerst du dich an Little Pluck?“ „O frei¬
letzten Gäste. Der Kellner kam rasch herbei. „Guten
lich, dieses kleine Scheusal.“ „Kitty scheint das nicht
Abend, Herr von Witte.“ „Was, guten Abend
gefunden zu haben. Ich muß vorausschicken, daß ich
nom d'un nom — wollen Sie mich frozzeln? Bringen
durch etwa vierzehn Tage mit ihr namenlos glück¬
Sie mir lieber was zum Essen oder Trinken.“ „Bitte,
lich war. Jeden Abend nach der Vorstellung pflegte
Herr von Witte — einen kleinen Schwarzen — einen
ich ihr meine Visite zu machen; um elf war ihr Auf¬
Kognak ...?“ August sah den Kellner düster an. „Sie
treten, um eins das meine. Sie empfing mich jeder¬
irren sich“ sagte er, „bringen Sie mir zwei Sar¬
zeit mit großer Herzlichkeit. Auch an jenem Abend
dinen, zwei weiche Eier in einem harten Clas, ein
war nichts anderes verabredet worden. „An welchem
Abend?“
Schinkenbrot und eine Flasche Bier.“
„Da Little Pluck, das kleine Scheusal, zweieinvier¬
Der Kellner verschwand. August nahm mir die
tel Fuß hoch, achtzehn oder neunundfünfzig Jahre
Zeitung aus der Hand und schleuderte sie auf einen
alt, debütiert hatte. Ich trete bei Kitty ein, wie immer
anderen Tisch. „Ich bin nämlich da, verstehst du?“
Punkt eins, wen sind' ich . . .? Liltle Pluck — wie
„Man merlt es“, erwiderle ich heiter. „Woher kommst
soll ich sagen? — zu ihren Füßen. Ich war sprachlos.
du denn so spät?“ „Woher ...?“ sagte August und
Trotzdem ein Mißverständnis nahezu ausgeschlossen
sah mich mit einem wehmütig=dämonischen Blicke
war, erwartete ich irgendein erlösendes Wort von
an. „Ich würde an einen Menschen um drei Uhr mor¬
ihr —
zum Beispiel: „Du irrst dich . . .“ Aber sie
gens, wenn er nicht zufällig im Frack ist, nie eine
sprach es nicht aus, sie sah mich mit sehr großen
solche Frage stellen. Aber du bist und bleibst ein
Augen an und sagte nur die unvergeßlichen Worte:
Rüppel -
jawohl“ setzte er hinzu, indem er den
„N'est=il pas drölé?“. Im ersten Moment, so tirf ein¬
armen Mitterwurzer nicht ohne Glück zu kopieren
gewurzelt sind unsere Instinkte, zuckte mir die Hand;
versuchte, „ein Rüppel, ein Rüppel!“
aber wie ich Little Pluck betrachtete, dieses vollkom¬
Ich erwiderte nichts, nahm eine Zeitung und las
men lächerliche Subjek — viel lächerlicher in diesem
eine Weile. Plötzlich strömte mir aus dem Blatt
Augenblick als Worte ausdrücken können —, schwand
eine sonderbare Wärme entgegen, gleich darauf sing
mein Zorn, und ich sagte mir: „Du kannst einen
die Notiz über die neue Operette von Charles Wein¬
Zwerg weder schlagen, noch kannst du dich mit ihm
berger zu glühen und zu verkohlen un, und das Ende schießen.“ Ich griff nur die Bemerkung Kittys auf,
einer frisch angezündeten Zigarette erschien in sagte: „Bien dröle! Bien dröle!“, nickte, lächelte und
Mittelpunkt. Aber ich lächelte nur wenig; so ver¬
ging.“ „Also das ist dir heute passiert?" „Heute? —
wöhnt hatte mich August im jahrelangen vertrauten
Nein, das war vor zwei Monaten. Ich verzieh ihr.
Umgang durch ähnliche und noch viel bessere Scherze.
Und ein paar Wochen waren wir sehr glücklich.“
„Soll ich dir einen Rat geben?“ fragte er dann plötz¬
„Blieb Little Pluck im Engagement?“ fragte ich mit
lich. „Ich bitte darum", antwortete ich höflich. Auguft
einem sardonischen Lächeln.
sah mich an und sagte scharf und bestimmt: „Alles,
„Ich verstehe deine beleidigende Anspielung", er¬
mein Lieber, du verstehst mich, alles, nur keine Exzen¬
widerte August. „Aber ich kann dir versichern, daß
triksängerin!“ „Gewiß, gewiß",
sagte ich. „Alles“
Little Pluck, trotzdem er einen ganzen Monat lang
wiederholte August — „Blumenmädeln, alleinreisende
bei Ronacher auftrat, nie wieder von Kitty empfan¬
Damen aus Rumänien, Flötenbläserinnen. Schorn¬
gen wurde, wenn ich nicht dabei war. Und am Abend
steinfegersgattinnen, Tragödinnen. Les dernieres des
seines letzten Auftretens hab' ich Little Pluck sogar
dernieres... Alles, mein Lieber, nur keine Exzen¬
eine kleine Fête gegeben bei Kitty, und trotzdem er
trik!“
betrunken war wie ein Schwein, benahm er sich höchst
Ich nickte schlagfertig. Der Kellner brachte, was
anständig, so daß ich Kitty gestattete, ihn zum Ab¬
August bestellt, und mein Freund begann zu essen
schied zu küssen. Am nächsten Morgen reiste er nach
— Ich will nicht leugnen, daß ich anfangs nahe daran
war aufzubrausen, aber noch zu rechter Zeit fuhr mir
durch den Kopf, welchen Produktionen ich vor kaum
zwei Stunden bewundernd beigewohnt: jener Dar¬
ling hatte sieben Männer zugleich in die Höhe ge¬
hoben, Eisenstangen mitten entzweigeschlagen und mit
drei Zentner schweren Kugeln Ball gespielt. Ich unter¬
drückte daher meinen Unwillen und sah Kitty mit
einem Blick an den sie wahrscheinlich nicht ganz rich¬
tig auffaßte. Denn statt sich zu entschuldigen, sagte
sie mit ihrer unbeschreiblichen Ruhe: „Tu sais, mon
chéri, je ne comprends pas un mot de ce, de qu'il
dit!“ — Du wirst zugeben, daß das selbst einem Ge¬
duldigeren als mir über den Spaß gegangen wäre.
Mein Blut kochte, ich fühlte, daß diese Szene ein
ganz entsetzliches Ende nehmen mußte, und ich ging
fort, ohne zu grüßen.“ „Flegel“, sagte ich. „Als ich
am Tage darauf“ fuhr August fort ohne meinen
Vorwurf zu beachten, „Kitty meinen Besuch machte,
empfing sie mich heiter wie immer. Ich war zu rück¬
sichtsvoll, um die peinliche Szene von gestern zu be¬
rühren und Kitty schien sich ihrer nicht mehr zu er¬
innern. Vielleicht bildete sie sich auch ein, daß sie ge¬
träumt hatte, was weiß ich! Sicher ist nur — die
Weiber sind ja rätselhaft —, daß sie mich an diesem
Tage mehr liebte als je. Am selben Abend saß ich
wieder in einer Loge bei Ronecher. „The two Dar¬
ling“ traten auf, und da sie einander so ähnlich sahen,
daß sie unmöglich voneinander zu unterscheiden
waren, so hatte ich keine Ahnung, welchen von beiden
ich bei Kitty getroffen hatte. Ich glaube, auch Kitty
hat es nie mit Bestimmtheit erfahren. Aber das ist
egal. Sicher ist nur, daß ihr Verkehr mit den beiden
Riesen von nun an ein wahrhaft haruloser und
kameradschaftlicher blieb.“ „Wie!“ schrie ich so hestig.
daß die Fensterscheiben klirrten. August fuhr unbeirrt
fort: „Nie wieder habe ich einen allein bei Kitty ge¬
troffen. Sie pflegten vor der Vorstellung den Tee bei
ihr zu nehmen, und auch ich wurde manchmal dazu
geladen. Da die beiden Riesen kein Wort Französisch
und Kitty keine Silbe Englisch verstand, war ich
sozusagen der Dolmetsch.“ „Und wenn du nicht oben
warst“ fragte ich herzlich, „wie haben sie sich da
verständigt?“
August betrachtete mich. „Wenn du auch dein kind¬
liches Gesicht schneidest“, entgegnete er mir würdig,
„ich merke wohl, daß du mit dieser Frage Kitty zu
verdächtigen suchst. Aber ich sage dir, es hat sich nach
jenem Auftritt für mich nie wieder ein Grund er¬
geben, an Kitty zu zweifeln. Ich meine wenigstens in
Hinsicht auf die Riesen. Es war eine Kaprize ge¬
wesen — mein Gott, ich habe auch meine Kaprizen!
Und wer weiß, wie ich mich einer Riesendame gegen¬
über verhalten würde. Ich versichere dir. „The two
Darling“ waren wie die Kinder; einmal kam ich da¬
zu, wie die beiden Riesen mit Hitty Ball spielten ...
der eine Riese stand in der einen Ecke des Zinnners
der andere in der anderen... oder umgekehrt, ich
habe die Kerls nie auseinandergekannt — und Kitty
flog über den Teetisch hin und her.“ August lächelte
etwas blödsinnig in der Erinnerung an die heitere
Szene. Plötzlich verdüsterte sich aber sein Antlitz und
er setzte fort: Gestern war ihr letztes Auftreten.
Heute früh um sechs haben wir die Riesen auf die
Bahn begleitet, Kitty und ich. Es war ein unglaub¬
liches Aufsehen am Perron, besonders wie „The two
Darling“ vom Coupéfenster aus mit zwei Lein¬
tüchern zum Abschied winkten. Ich führte Katty im
Fiaker nach Hause. Ich mußte sie trösten, und sie
erwies sich so dankbar, daß ich erst zu Mittag ins
Bureau kam. Wenn ich bedenke, daß das heutefrüh
war... was hat sich seitdem alles verändert!“
„Unter anderm jedenfalls" bemerkte ich ahnungs¬
voll, „das Programm bei Ronacher.“
August beickte mich an wie ein verendendes Reh.
„Was willst du“ sagte er, „das Publikum muß Ab¬
wechslung haben". „Wer war es?“ fragte ich einfach.
„The Osmond Troup“, erwiderte August errötend.
„Wieviel?“ fragte ich gepreßten Tones. „Sieben!“ er¬
widerte August. „Sieben!“ wiederholte ich, freudig
bewegt. „Laß das“ antwortete er still. „Ich will dir
verhehlen, daß mich schon während der Vorstellung
unangenehme Ahnungen beunruhigen. Die Osmonds
sind Leute von einer unglaublichen Beweglichkeit,
von sehr viel Witz und riesig musikalisch. Viel Neues
haben sie nicht gebracht, ober es war alles viel vir¬
K
bos 2/2
ADAR AA LDAA O A — I
„OBSERVER
I. österr. behördl. konzessioniertes
Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
WIEN, I., WOLLZELLE 11
TELEPHON R-23-0-43
Ausschnitt aus:
Prager Tagblatt, Prag
vom:
11DEZ. 1932
ARTHUR SCHNITZLER:
300
Ezehtrik
Gestern nacht sitz' ich im Kaffeehaus, da sagt plötz= sollte. Du kannst dir denken, daß ich darauf gesallt
lich einer hinter mir: „Ah, non — ca — nie wieder!"
war, aber ich hatte anfangs die Hoffnung, nicht dar¬
Ich hätte nicht aufzusehen brauchen; das war August.
auf zu kommen. Darin hab' ich es nämlich zu einer
Er war schön und elegant wie immer. Mit jener
wahren Virtuosität gebracht. Ich besuche meine Schö¬
wunderbaren Leichtigkeit, um die ich ihn immer im
nen (August hatte manchmal solche Ausdrücke aus
Stillen beneidet habe, nahm er an dem kleinen Tisch¬
der alten Schue) „nie zu einer ungewohnten Stunde,
chen mir gegenüber Platz, ohne den gelben Urber¬
ich leje nie die Briefe, die ich zufällig auf dem Tische
zieher, der ihm nur um die Schultern hing, abzulegen,
finde, ich entferne mich sofort aus jedem Lokal, falls
rückte den kleinen, steifen, runden, schwarzen Hut.
ich ihren Namen am Nebentisch von einem Fremden
über den noch mehr zu sagen sein wird, tief in die nennen höre, und wenn ich trotz aller dieser Vor¬
Stirn und rief einen Kellner herbei, der, über dem sichtsmaßregeln etwas erfahre, glaub' ich es einfach
Billard liegend, eine Zeitung las. Es war nämlich
nicht. Aber alle diese Maßnahmen haben bei Kitty
halb drei Uhr morgens, im Mai, und wir waren die
versagt. Erinnerst du dich an Little Pluck?“ „O frei¬
letzten Gäste. Der Kellner kam rasch herbei. „Guten
lich, dieses kleine Scheusal.“ „Kitty scheint das nicht
Abend, Herr von Witte.“ „Was, guten Abend
gefunden zu haben. Ich muß vorausschicken, daß ich
nom d'un nom — wollen Sie mich frozzeln? Bringen
durch etwa vierzehn Tage mit ihr namenlos glück¬
Sie mir lieber was zum Essen oder Trinken.“ „Bitte,
lich war. Jeden Abend nach der Vorstellung pflegte
Herr von Witte — einen kleinen Schwarzen — einen
ich ihr meine Visite zu machen; um elf war ihr Auf¬
Kognak ...?“ August sah den Kellner düster an. „Sie
treten, um eins das meine. Sie empfing mich jeder¬
irren sich“ sagte er, „bringen Sie mir zwei Sar¬
zeit mit großer Herzlichkeit. Auch an jenem Abend
dinen, zwei weiche Eier in einem harten Clas, ein
war nichts anderes verabredet worden. „An welchem
Abend?“
Schinkenbrot und eine Flasche Bier.“
„Da Little Pluck, das kleine Scheusal, zweieinvier¬
Der Kellner verschwand. August nahm mir die
tel Fuß hoch, achtzehn oder neunundfünfzig Jahre
Zeitung aus der Hand und schleuderte sie auf einen
alt, debütiert hatte. Ich trete bei Kitty ein, wie immer
anderen Tisch. „Ich bin nämlich da, verstehst du?“
Punkt eins, wen sind' ich . . .? Liltle Pluck — wie
„Man merlt es“, erwiderle ich heiter. „Woher kommst
soll ich sagen? — zu ihren Füßen. Ich war sprachlos.
du denn so spät?“ „Woher ...?“ sagte August und
Trotzdem ein Mißverständnis nahezu ausgeschlossen
sah mich mit einem wehmütig=dämonischen Blicke
war, erwartete ich irgendein erlösendes Wort von
an. „Ich würde an einen Menschen um drei Uhr mor¬
ihr —
zum Beispiel: „Du irrst dich . . .“ Aber sie
gens, wenn er nicht zufällig im Frack ist, nie eine
sprach es nicht aus, sie sah mich mit sehr großen
solche Frage stellen. Aber du bist und bleibst ein
Augen an und sagte nur die unvergeßlichen Worte:
Rüppel -
jawohl“ setzte er hinzu, indem er den
„N'est=il pas drölé?“. Im ersten Moment, so tirf ein¬
armen Mitterwurzer nicht ohne Glück zu kopieren
gewurzelt sind unsere Instinkte, zuckte mir die Hand;
versuchte, „ein Rüppel, ein Rüppel!“
aber wie ich Little Pluck betrachtete, dieses vollkom¬
Ich erwiderte nichts, nahm eine Zeitung und las
men lächerliche Subjek — viel lächerlicher in diesem
eine Weile. Plötzlich strömte mir aus dem Blatt
Augenblick als Worte ausdrücken können —, schwand
eine sonderbare Wärme entgegen, gleich darauf sing
mein Zorn, und ich sagte mir: „Du kannst einen
die Notiz über die neue Operette von Charles Wein¬
Zwerg weder schlagen, noch kannst du dich mit ihm
berger zu glühen und zu verkohlen un, und das Ende schießen.“ Ich griff nur die Bemerkung Kittys auf,
einer frisch angezündeten Zigarette erschien in sagte: „Bien dröle! Bien dröle!“, nickte, lächelte und
Mittelpunkt. Aber ich lächelte nur wenig; so ver¬
ging.“ „Also das ist dir heute passiert?" „Heute? —
wöhnt hatte mich August im jahrelangen vertrauten
Nein, das war vor zwei Monaten. Ich verzieh ihr.
Umgang durch ähnliche und noch viel bessere Scherze.
Und ein paar Wochen waren wir sehr glücklich.“
„Soll ich dir einen Rat geben?“ fragte er dann plötz¬
„Blieb Little Pluck im Engagement?“ fragte ich mit
lich. „Ich bitte darum", antwortete ich höflich. Auguft
einem sardonischen Lächeln.
sah mich an und sagte scharf und bestimmt: „Alles,
„Ich verstehe deine beleidigende Anspielung", er¬
mein Lieber, du verstehst mich, alles, nur keine Exzen¬
widerte August. „Aber ich kann dir versichern, daß
triksängerin!“ „Gewiß, gewiß",
sagte ich. „Alles“
Little Pluck, trotzdem er einen ganzen Monat lang
wiederholte August — „Blumenmädeln, alleinreisende
bei Ronacher auftrat, nie wieder von Kitty empfan¬
Damen aus Rumänien, Flötenbläserinnen. Schorn¬
gen wurde, wenn ich nicht dabei war. Und am Abend
steinfegersgattinnen, Tragödinnen. Les dernieres des
seines letzten Auftretens hab' ich Little Pluck sogar
dernieres... Alles, mein Lieber, nur keine Exzen¬
eine kleine Fête gegeben bei Kitty, und trotzdem er
trik!“
betrunken war wie ein Schwein, benahm er sich höchst
Ich nickte schlagfertig. Der Kellner brachte, was
anständig, so daß ich Kitty gestattete, ihn zum Ab¬
August bestellt, und mein Freund begann zu essen
schied zu küssen. Am nächsten Morgen reiste er nach
— Ich will nicht leugnen, daß ich anfangs nahe daran
war aufzubrausen, aber noch zu rechter Zeit fuhr mir
durch den Kopf, welchen Produktionen ich vor kaum
zwei Stunden bewundernd beigewohnt: jener Dar¬
ling hatte sieben Männer zugleich in die Höhe ge¬
hoben, Eisenstangen mitten entzweigeschlagen und mit
drei Zentner schweren Kugeln Ball gespielt. Ich unter¬
drückte daher meinen Unwillen und sah Kitty mit
einem Blick an den sie wahrscheinlich nicht ganz rich¬
tig auffaßte. Denn statt sich zu entschuldigen, sagte
sie mit ihrer unbeschreiblichen Ruhe: „Tu sais, mon
chéri, je ne comprends pas un mot de ce, de qu'il
dit!“ — Du wirst zugeben, daß das selbst einem Ge¬
duldigeren als mir über den Spaß gegangen wäre.
Mein Blut kochte, ich fühlte, daß diese Szene ein
ganz entsetzliches Ende nehmen mußte, und ich ging
fort, ohne zu grüßen.“ „Flegel“, sagte ich. „Als ich
am Tage darauf“ fuhr August fort ohne meinen
Vorwurf zu beachten, „Kitty meinen Besuch machte,
empfing sie mich heiter wie immer. Ich war zu rück¬
sichtsvoll, um die peinliche Szene von gestern zu be¬
rühren und Kitty schien sich ihrer nicht mehr zu er¬
innern. Vielleicht bildete sie sich auch ein, daß sie ge¬
träumt hatte, was weiß ich! Sicher ist nur — die
Weiber sind ja rätselhaft —, daß sie mich an diesem
Tage mehr liebte als je. Am selben Abend saß ich
wieder in einer Loge bei Ronecher. „The two Dar¬
ling“ traten auf, und da sie einander so ähnlich sahen,
daß sie unmöglich voneinander zu unterscheiden
waren, so hatte ich keine Ahnung, welchen von beiden
ich bei Kitty getroffen hatte. Ich glaube, auch Kitty
hat es nie mit Bestimmtheit erfahren. Aber das ist
egal. Sicher ist nur, daß ihr Verkehr mit den beiden
Riesen von nun an ein wahrhaft haruloser und
kameradschaftlicher blieb.“ „Wie!“ schrie ich so hestig.
daß die Fensterscheiben klirrten. August fuhr unbeirrt
fort: „Nie wieder habe ich einen allein bei Kitty ge¬
troffen. Sie pflegten vor der Vorstellung den Tee bei
ihr zu nehmen, und auch ich wurde manchmal dazu
geladen. Da die beiden Riesen kein Wort Französisch
und Kitty keine Silbe Englisch verstand, war ich
sozusagen der Dolmetsch.“ „Und wenn du nicht oben
warst“ fragte ich herzlich, „wie haben sie sich da
verständigt?“
August betrachtete mich. „Wenn du auch dein kind¬
liches Gesicht schneidest“, entgegnete er mir würdig,
„ich merke wohl, daß du mit dieser Frage Kitty zu
verdächtigen suchst. Aber ich sage dir, es hat sich nach
jenem Auftritt für mich nie wieder ein Grund er¬
geben, an Kitty zu zweifeln. Ich meine wenigstens in
Hinsicht auf die Riesen. Es war eine Kaprize ge¬
wesen — mein Gott, ich habe auch meine Kaprizen!
Und wer weiß, wie ich mich einer Riesendame gegen¬
über verhalten würde. Ich versichere dir. „The two
Darling“ waren wie die Kinder; einmal kam ich da¬
zu, wie die beiden Riesen mit Hitty Ball spielten ...
der eine Riese stand in der einen Ecke des Zinnners
der andere in der anderen... oder umgekehrt, ich
habe die Kerls nie auseinandergekannt — und Kitty
flog über den Teetisch hin und her.“ August lächelte
etwas blödsinnig in der Erinnerung an die heitere
Szene. Plötzlich verdüsterte sich aber sein Antlitz und
er setzte fort: Gestern war ihr letztes Auftreten.
Heute früh um sechs haben wir die Riesen auf die
Bahn begleitet, Kitty und ich. Es war ein unglaub¬
liches Aufsehen am Perron, besonders wie „The two
Darling“ vom Coupéfenster aus mit zwei Lein¬
tüchern zum Abschied winkten. Ich führte Katty im
Fiaker nach Hause. Ich mußte sie trösten, und sie
erwies sich so dankbar, daß ich erst zu Mittag ins
Bureau kam. Wenn ich bedenke, daß das heutefrüh
war... was hat sich seitdem alles verändert!“
„Unter anderm jedenfalls" bemerkte ich ahnungs¬
voll, „das Programm bei Ronacher.“
August beickte mich an wie ein verendendes Reh.
„Was willst du“ sagte er, „das Publikum muß Ab¬
wechslung haben". „Wer war es?“ fragte ich einfach.
„The Osmond Troup“, erwiderte August errötend.
„Wieviel?“ fragte ich gepreßten Tones. „Sieben!“ er¬
widerte August. „Sieben!“ wiederholte ich, freudig
bewegt. „Laß das“ antwortete er still. „Ich will dir
verhehlen, daß mich schon während der Vorstellung
unangenehme Ahnungen beunruhigen. Die Osmonds
sind Leute von einer unglaublichen Beweglichkeit,
von sehr viel Witz und riesig musikalisch. Viel Neues
haben sie nicht gebracht, ober es war alles viel vir¬
K