I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 3

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Bertha Garlan
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11.
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Teleion 12801.

Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
Ausschnitt
„OBSER. —. Nr. 33
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Wien, IX, Türkenstrasse 17.
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Frau Bertha Garlan. Roman von Arthur Schnitzler.
Verlag von S. Fischer, Berlin. Preis 3 Mk.
Ausschnitt aus:
Der Österreicher Arthur Schnitzler ist eine feine und reiche
Die Zeit, Wien
Natur, die sich immer voller und eigenartiger entfaltet. Als Er¬
zähler ist er seines Weges ebenso gewiß, wie als Dramatiker, und
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er beweist, daß sich die absoluteste Modernität der Empfindung mit
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dem Respekt vor der Form sehr wohl verbinden läßt, falls man
das Talent dazu hat. Denn die größere Hälfte aller Form
nichts als
verwilderung in der heutigen Litteratur ist
Unfähigkeit, die der leicht betrogenen Welt der Halb¬
Arthur Schnitzler: Frau Bertha Garlan. Roman. Berlin
bildung den Sand eines revolutionären Princips in die Augen
S. Fischer Verlag, 1901.
streut, genau gleich jenen Musikern, die die Melodie schmähen und
Frau Bertha Garlan ist Schnitzlers Madame Bovary! Das kling
dem Publikum zu verleiden suchen, warum? weil sie selbst keine
vielleicht ein wenig gesucht, aber der Erzähler Schnitzler verleitet zu solche
zu erfinden vermögen. Im Drama ist Arthur Schnitzler von den
Gesuchtheit, denn er ist selber nicht frei davon. Er selber wählt und beton
pikanten Plauderscenen des Anatole“ zu den echten Herzens= und
die gesuchten, abgeleiteten, durchdachten Probleme, und es lässt sich soga
Gesellschaftsdramen „Liebelei“, „Freiwild“ und „Das Vermächtnis“
argwöhnen, dass ihm die Kenntnis der Literatur dazu manche Musten
und zu demvorläufig noch um seine Anerkennung kämpfenden „Schleier
liefert. Wenn ich bei seinem Roman an Flaubert denke, so hat er's vielleich
der Beatrice“ aufgestiegen, und als Erzähler überrascht er uns
schon vor mir gethan. Emma Bovary wird bekanntlich aus der edlen
nach allerlei zum Teil meisterlichem novellistischem Kleinwerk
schlichten Gattin des Landarztes zur geistig überlegenen, unverstandenen
(in den Sammlungen „Sterben" und „Die Frau des Weisen“)
unbefriedigten Frau, aus dieser zur Ehebrecherin, zur Dirne, und an der
Verwickelungen dieser Schicksale geht sie zugrunde. Frau Bertha Garlar#
heut mit einem ganz ausgewachsenen psychologischen Roman,
ist freilich schon jahrelang Witwe, ehe ihr Romanerlebnis einsetzt. Aber
dem Reissten, Ernstesten und kunstlerisch Gerundetsten, was
auch sie, wie Frau Bovary, hatte einen Mann, dessen Gegenwart ihr nicht¬
wir bisher außerhalb des Bühnenpodiums von ihm em¬
war. Auch sie wird von der drückenden Armut des Lebens in der Provinz
pfangen haben. „Frau Bertha Garlan“ ist ein echter
in eine Verzweiflung geführt, aus der die Sünde, die Selbsterniedrigung
Für
Wiener Roman, wenn seine Heldin ihr Witwenschicksal auch in
wie eine letzte offene Thür ins Freie winkt. Auch sie hat ihr Kind,
der Provinz, ein paar Eisenbahnstunden fern von Wien betrauert.
küber das sie sich hinwegsetzen muss. Auch sie wird von der Romantik am
Das ist eine weiche mit Schönheit getränkte Luft, in der sich aller
Schlufs schändlich betrogen. Nur der tragische Untergang bleibt ihr erspart —
Schmerz und alle Sünde milder löst, nicht zu vergleichen mit dem
„ Uihn hat Schnitzler in einer merkwürdig, aber hübsch wirkenden Caprice
scharfen Luftzug, der durch die Berliner Sittenromane der
über eine andere Frau seines Romans, eine Neben= oder Gegenfigur der####
Topote u. a. fegt.] Frau Bertha Garlan ist die junge Witwe
Abonn= Oeldin, Frau Rupius, verhängt. Frau Rupius wird mit ihrer geheimnis¬
eines Mannes, den sie als unbemitteltes gebildetes Mädchen nicht
Abonn vollen Ehesünde und ihrem geheimnisvoll freiwilligen Tod zu einem Schlag¬
licht, das auf Bertha Garlan fällt, zu einem Lehrbeispiel für diese, zu
gerade wider ihren Willen, aber doch mit verhängnisvoller
einem Symbol. Und der Roman, der damit ausklingt, wird eben dadurch erstje
Gleichgiltigkeit geheiratet hat. Ihr wertvollstes Erbteil ist
Inha####rrichtigen, romanhaft und reich componierten Variation über sein Thema: #
ein Kind welches sie innig liebt und im Hause wohl¬
hlkt das Thema Ehebruch. Nun ist dieses Thema freilich nicht neu und Flauberts
meinender und wohlhabender, doch nicht zu ihrem Herzen sprechen¬
wodureicht das einzige Muster dafür. Früher schon hatte Balzac die „Frau von #
der Verwandten durch den Ertrag höherer Musiklektionen aufzu¬
dreißig Jahren“ zum Typus gemacht für die Psychologie der Sünderin, u#
ziehen gedenkt. Sie ist jung und in ihren Adern fließt ein heißes,
des I1
werdej und im Grunde sogar mit ähnlichen Strichen. Aber Balzacs unsachliche,
noch nicht befriedigtes Blut. So führt der Zufall ihr das Ideal
überbreite Darstellungsforen im Stil der romantischen Malerschule, mit der
ihrer Mädchenjahre, einen heut schon berühmten Geigenvirtnosen,
er sich völlig eins fühlte, steht heute schon außerhalb unserer neuen Tradition;
wieder entgegen, und auf dem süße Düfte hauchenden Boden
Flaubert dagegen ist ihr erlauchtester Ahnherr. Ihn durfte ich citieren. An
Wiens, den sie besuchsweise wieder betritt, sinkt sie, von
ihm einen Techniker wie Schnitzler auch in der Form zu messen, mag
interessant sein, und was dieser dabei schuldigt bleibt, wirkt doppelt lehr¬
einem Gefühlsrausch überwältigt, in die Arme des Jugend¬
reich. Flaubert stellt dar, in einer Geschlossenheit, einer Plastik, einer Ab¬
geliebten. Sehr bald aber muß sie erkennen, daß sie dem flachen
rundung, die nicht einen Augenblick lang dem Zweifel Raum lässt; Schnitzler
Sensationsmenschen nichts als ein momentanes Spielwerk seiner
stizziert und überläfst es uns, das nun auch gläubig hinzunehmen, was da
Sinne war, und nach einem großen, tieferschütternden Seelenkampfe
ungefähre Conturen gewinnt. Flaubert ist mit seinen tausend köstlichen Einzel¬
an der Leiche einer Freundin, die ihre Frivolität durch Selbstmord
heiten der vollendete Erzähler, Schnitzler wirkt dagegen wie ein trockener
gebüßt hat, ahnt sie „das ungeheure Unrecht in der Welt, daß die
Psycholog, ein noch immer Lernender. Was ihm im Drama und in jedem
Sehnsucht nach Wonne ebenso in die Frau gelegt ward, als in
kleinen Dialog, auch im eigenartigen Genre der Monolog=Novelle, z. B.
den Mann; und daß es bei den Franen Sünde wird
dem „Lientenant Gustel“, als Gestaltung gelingt, geräth ihm in der Prosa
und Sühne fordert, wenn die Sehnsucht nach Wonne nicht
bloß als Andeutung. Da hat er eine schlufsfolgernde Art der Darstellung,
Der Tiefe
die viel zu oft die Absicht hervorkehrt und das Dargestellte, trotzdem
zugleich die Sehnsucht nach dem Kinde ist.“
es immer als vernünftig und möglich erscheint, niemals zur Wirklichkeit
dieses Gedenkens, in den der ganze Jammer des Unehelichen
kommen lässt. Aus psychologischen Kleinmalereien setzen sich seine Erzählungen
zusammengefaßt ist, wird sich kein ernster Mann und keine ernste
zusammen, aber dieser Skizzenform nun den specifischen Eindruck der „Er¬
Frau entziehen, und Backfischlektüre zu schreiben ist nicht die
zählung“ zu verleihen — was künstlerisch das wesentliche Problem ist. —
Sache eines Arthur Schnitzler. — Die Darstellung giebt ein
das gelingt ihm kaum. Gerade den feinsten Psychologen mag es begreiflicher¬
weise am schwersten gelingen; aber Flaubert hat es doch gekonnt, und
vollkommenes Kunstwerk, sofern man der charakterisierenden
Jakob Wassermann kann es jetzt unter den Deutschen. Von ihnen beiden
Episode im Roman einen breiten Spielraum zugesteht. Eiwas
hat Schnitzler zum Theil gelernt Die „Vertha Garlan“ zeigt Spuren davon
ungleich verteilt, beherrscht wohl die vielberufene Milieu¬
sie wächst stellenweise daran, und unter Schnitzlers Novellen ist sie wohl
schilderung den Anfang des Romans, aber doch nicht lediglich
die feinste. Man wird mirs trotzdem nicht verübeln, dass ich gerade sie
Selbstzweck, sondern als Mittel zur Kennzeichnung der
so viel ich weiß, zumersten¬
als
benützte, um den Erzähler Schnitzler einmal
re erlogener bürgerlicher Ehrbarkeit, in die eine ehrliche
mal — von der Seite seiner Unzulänglichkeit zu betrachten. Alfred Gold.“
Frau Garlan sich eingeengt sieht. Dann aber steigert
###le der Vorgänge mit den bescheidensten Mitteln zu
ramatischen Spannung, die auch den bloß stoff¬
auf seine Kosten bringt.
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