I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 46


11. Frau Bertha Garlan
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EEEEENEEEEEEEEEEEAEEEEEEEAL.
ganz geistreichen Sentenz, daß nämlich die Frauen die
eigentlichen Günderinnen seien, die nicht gesündigt
haben. In diese Sentenz hat sich die Verfasserin wohl
ein wenig sehr verliebt und darüber, wie das dann zu
gehen pflegt, vergessen, sie auszugestalten. So wirkt
denn dieser Dialog, fahl wie er ist, direkt unangenehm
leichtfertig weil er bar aller künstlerischen Vorzüge ist.
Ueberall in dem Buch finden sich nette, geistreiche Ein¬
und Ausfälle. Die Frauen sind oft grade im Kleinsten
so wahr, wie es nur eine Frau darstellen kann. Die
Männer darf man sich freilich auch hier meist nicht allzu
genau ansehen. Im Ganzen könnte man sagen, das
Buch zeugt von einer klugen, oft auch warmherzigen
Scyriftstellerin, die wacker in die Schule des osychologi¬
schen Romans gegangen ist und ihr Handwerk auf
Grund von Talent und Uebung versteht. Das ist nicht
sehr viel, aber doch etwas
Dichterischen Werth dagegen hat die Novelle
„Hunger“ von Elisabeth Dauthendey.*) Sie
gibt die Geschichte zweier Frauen, die nach Liebe hun¬
gern, unter der die Dichterin glücklicherweise etwas
anderes versteht als die meisten „schönen Frauen“ von
Thekla Lingen, und die verhungern müssen an diesem
Hunger, weil ihnen Steine statt Brod gereicht werden
von den Männern, die ihnen begegnen. Man hat viel¬
eicht am meisten von der Novelle, wenn man sie als
eine Art m dernes Märchen auffaßt, ein Märchen vom
Hunger des Weibes nach jener Liebe, die nicht „auf dem
Bauche kriecht“, sondern zu Höhen hebt, alle Fähigkeiten
unter ihren Strahlen zur Reife bringt und Harmonie
verleiht. Das Märchen von zwei feinen, heißen, jungen
Seelen, die nach Ergänzung und Erfüllung rufen, aber
nicht nach Unterdrückung unn Kochlöffeln. Es wird nicht
erzählt wie jene Volksmärchen, wo man gleich spürt
daß sie alte, jahrhundertalte Geschichten wiedergeben,
deren Erzähler jetzt dabei geruhig auf der Ofenbank
sitzen, stricken und rauchen. So hat denn der Stil dieses
Märchens nichts gemein mit dem der alten Volksmär¬
chen, wie sie die Viehmännin den Gebrüdern Grimm
erzählte, sondern er ist leidenschaftlich, heftig, und hat
sich an Nietzsche gebildet, nicht verbildet. In der heißen
Liebe zu den beiden Frauengestalten geht Elisabetl
Dauthendey oft zu weit, sowohl in der Zeichnung ihrer
Menschen, wie in allerlei Gewaltsamkeiten der Fabel
Trotzdem die Menschen und ihr Milien individualisirt
sind, weiß man gleich, daß die Novelle nicht um des¬
willen geschrieben wurde, sondern wegen des Typischen,
das in Beidem liegt. Es steckt manche naive Ungerech¬
*) Schuster u. Loeffler, Berlin und Leipzig, 1901.
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tigkeit in diesem „Hunger“, und die bösen Stiefmütter
des Volksmärchens werden hier durch die Männerver¬
treten. Aber es lebt gesialtende Kraft, dichterisches
Können in dem heißen Buch, das nicht wie die andern
im Alltäglichen versinkt.
Keins der drei Bücher handelt von den Frauen,
deren Ideal die vierge korte ist, die sich ganz und gar
vom Manye emanzipirt, auch nicht von denen, die um
soziale Selbstständigkeit und geistige Gleichberechtigung
ich mühen und an diesen Mühen verbluten oder reife
Menschen werden. Sie handeln nur insofern vom neuen
Weibe, als ihre Frauen unruhig, unzufrieden und voll
nancherlei Sehnsüchte sind, die unklar auf= und ab¬
wogen; und zwar gilt das von den jungen Mädchen
wie den jungen Frauen, während in der früheren
Belletristik derlei meist das Privileg der älteren, un¬
verheiratheten Mädchen war. Die Ehegeschichten dieser
Bücher sind fast alle Variationen zu dem Thema vom
Kampf um die Persönlichkeit in der Ehe. Da sich aber
die beiden Parteien fast nur aus Menschenmaterial re¬
krutiren, wo dreizehn aufs Dutzend gehen, so handelt
s sich kaum noch um große Kämpfe, sondern mehr um
Froschmäusekriege, an die Zeit und Kraft zu wenden
sich für einen Schriftsteller nur lohnen kann, wenn er
ie komisch behandelt. Das niedrige Nivean der Kämpfe
und Kämpfer dieser meist ernsthaften Ehegeschichten
ist
zu bedauern. Es gibt doch auch soviel „schlimmere“ Ehen
und darstellenswerthere Kämpfe innerhalb der Frauen¬
frage! Als Menschenfreund kann man freilich den Ver¬
fasserinnen nur gratuliren, daß sie solches augenschein¬
lich weder gesehen noch erleht haben, da es ihnen sonst
darstellenswerther erschienen sein würde.
Bedeutender sind die beiden Bücher: „Ma“, ein
Porträt, von Lou Andreas=Salomé*) und
„Frau Bertha Garlan“, Roman, von Arthur
Schnitzler.**) Beider Heldinnen gehören dem
Geschlecht der Frauen von gestern an. In „Ma“ han¬
dett es sich sozusagen um den Kampf zwischen „Alten
und Jungen", „Vätern und Söhnen“ ins Weibliche
übersetzt, also um „Mutter und Töchter“. Die ältere
Tochter hat sich schon längst von der Mutter losgerungen
und ist Studentin geworden, die Jüngere rinat noc)
mit dem Entschluß. Sie besitzt nicht den k ##igen,
gesunden“ Egoismus der Schwester, sie ist sensitiver,
feinfühliger und weiß genau, was es der Ma, der
Mutter, kosten wird, auch sie von sich zu lassen. Das
Verhältniß zwischen der zarten, träumerischen, nicht
*) Stuttgart, J. G. Cotta'sche Buchhandlg. Nachf. 1901.
**) Berlin, S. Fischer, Verlag, 1901.
sehr aktiven und der burschikosen,
die sich schon so ungeheuer reif 1
kommt und in Wahrheit voch erst
die Dichterin mit innerstem Be
ind beide so tüchtige Geschöpfe, die
werden. Ihre ganze Liebe aber
Salomé der „Ma, der Mutter
ie Wittwe geworden. Damit ist
ihres Lebens zerschnitten, denn
geliebten Mann gelebt. Aber
winnen die junge Frau allnähli
Für die beiden Mädchen muß sie
dienen. So wird nach und nach ei
ius der zarten Frau. Der Mu
groß und stark. Aber auch als
hingebende Frau. Den Töchtern
„Man lebt ja nur so viel, als:
ist auch ihr Verhältniß zu dem
Arzt Tomasow dargestellt. Eine
eben nicht ganz ohne männliche
Mädchen gedeihen natürlich bei so
Liebe aber immer um sie ist, ist sie
tändlich geworden. Ma ist eben di
hinzugeben, sich zu opfern, nicht a
sich der Egoismus der Jugend, d
o schmerzlich ihn auch die davon
mag.
Je größer die Kinder werd
die Mutter werden sie. Die Ac
schneller, die Jüngere langsame
eigene Wege gehen, die ganz and
Mutter, deren kurze Ehe ihr wie
der Seele lebt, sodaß sie sich gan
ausdenkt, wie er einmal für ihr
Wirklichkeit werden könnte. Und
Augenblick kommen, wo beide Tö
rückt sein werden, wo sie zum zwe
tand ihrer Liebe verlieren wird
darunter, aber kämpft tapfer dag
ich selbst. Erliegen, so wie sie da
großen Verlust, kann sie nicht meh
Jahren seither reif geworden.
hin liebende Hingabe bethätigen
Menschen dafür finden. Es ist h
lungen, was mir das Schwerste b
zu sein scheint, worin sich ihre Kun
nämlich im Leser bei diesem ganzen
von fern das Gefühl aufkommen
hilflosen Mutter, wie sie die Gesch
und den Entlein behandelt. Da
ordentlich intim erzählt. Man leb