I, Erzählende Schriften 11, Frau Bertha Garlan. Roman, Seite 49

11. Frau Bertha Garlan


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Frau Bertha Garlan.
Roman von Arthur Schnitzler, Verlag S. Fischer.
Werlin 1901.)
Ein Mathematiker fragte einmal in einem Konzert¬
saal, nachdem die Klänge einer Beethoven'schen Symphonie
verrauscht waren, kühl und ruhig lächelnd: „Was beweist
das?“ Mit dieser nüchternen Frage trat man früher auch
an eine Dichtung heran. Was beweist sie? Was will der
Poet eigentlich demonstriren? Welche Idee liegt dem
Werke zu Grunde? Heutatage, da man das Wesen der
Kunst tiefer erfaßt, ist man nicht mehr so neugierig. Die
Grenzscheiden, die Lessing in seinem Laokoon zwischen den
inzelnen Kunstgattungen errichtet hat, sind verschwunden.
Maler dichten mit Farben und Dichter malen mit
Worten. Wir nehmen das ruhig hin. Wir bäumen
uns auch nicht auf, wenn die geschlossene Kunst¬
form des Dramas, die man einstmals ängstlich
wehrte, gesprengt wird, wenn der Bühnendickter mit den
M##eln des Novellisten zu wirken sucht, wenn er uns
statt lodernder Leidenschaften sanft abgetönte Stimmungen
bietet, statt Menschen von überzeugendem Wirklichkeits¬
gehalt hinzustellen, nebelhaft umwitterte symbolistische
Gestalten vorzaubert. Wir runzeln darum auch nicht die
Stirne, falls wir in einer Dichtung keine Idee aufzu¬
spüren vermögen. Wenn der Poet uns nur erregt, ergreift,
in eine weibevolle Feiertagsstimmung versetzt, wenn er
uns in seiner Weise ein Gleichniß des Lebens vorgankelt,
sind wir beruhigt. Auch Arthur Schnitzler's soeben er¬
schienener Roman „Frau Bertha Garlan“ bat nicht das,
was mnan im landläufigen Sinne eine Idee nennt.
Aber der Dichtung geschieht dadurch nicht der geringste
Abbruch; sie ist auch ohne Grundidee fein, zart und tief.
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Man darf sogar behaupten, daß Schnitzler's Eigenart
aus diesem Roman in viel höherem Grade hervorschimmert,
als aus jenen Werken, in denen er eine Idee versicht, für
eine These eine Lanze bricht. Schnitzler ist eine weiche, an¬
muthige, träumerische Natur. Er ist in hobem Maße das,
vas Goethe frauenhaft gesinnt nennt. Er liebt das Halb¬
dunkel, das dämmernde Spiel gebrochener Farben. Diesem
Grundzuge seines Wesens konnte er bei der Vertiefung in
seinem Romanstoff so recht nachhängen. Er schildert das
im Geheimen sich abspinnende erotische Leben einer jungen
Frau, ohne gesellschaftliche Tiefblicke zu bieten, ohne daß
man einen Hauch von jenen Stürmen verspürt, die durch
unsere Gegenwart brausen. Aber diese Geschichte ist doch
nicht zeitlos, aus der Art und Weise, wie der Dichter sie
gestaltet, wie er allen psychischen Regungen der jungen
Frau nachgeht, wie er die Unterströmungen ihres Bewußt¬
seins beleuchtet, strablt siegreich die edle Kunst moderner
psychologischer Analyse.
Frau Berth: Garlan hat eine freudlose Jugend hinter
sich. Sie hat al
Mädchen am Konservatocium Klavier¬
studien getrieben
Sie wollte Virtuosin werden. Ihr Vater,
dem ein freiess ünstlerleben kein lockendes Ziel für ein
Mädchen dünkt zwang sie, ihre Studien zu unterbrechen.
Als passive Na##ir fügte sie sich ohne Widerstreden seinm
Gebot. Jahre vergehen. Der Blüthentraum einer jungen
Liebe, die sich zwischen ihr und Emil Lindbach, einent
Kameraden a Konservatorium, entsponven, ist verflogen.
Was sie vom Leben erhofft hatte, ist nicht in Erfüllung
gegangen. Und so heiratet sie als alterndes Mädchen von
sechsundzwanzig Jahren einen höheren Versicherungsbeamten
n einer kleinen österreichischen Provinzstadt. Nach
einigen Jahren stirbt ihr Gatte. Sie bleibt als Witwe
nit einem Knaben zurück und chlägt sich als Klavier
lehrerin durch's Leben. An Lockungen fehlt es der jungen
hübschen Frau auch in der Kleinstadt nicht. Aber dies
Provinzler erscheinen ihr, der Wienerin mit dem künst
lerischen Temperament, klein und kleinlich. Ueberdies ist
in ihrer kühlen Ehr das Weib in ihr nicht erwacht. Und
dann tönt ja immer noch in ihrer Seele ihre junge Liebe
wie eine wehmüthige Melodie. Emil Lindbach ist inzwischen
ein berühmter Violinvirtuose geworden. Sie weiß es. Sis
liest eines Tages in der Zeitung, daß er durch die Ver¬
leihung eines Ordens ausgezeichnet wurde und daß er ir
Wien konzertiren werde. Sie fühlt einen Abglanz seines
Ruhmes auf sich, die er einmal geliebt, ruher. Die Sehn
ucht nach dem geliebten Manne erwacht. Sie schreibt ihm
Er erwidert. Sie reist daraufhin nach Wien.
Bertha ist eine reine, edle Natur. Aber wie sich
trotzdem gleich am ersten Tage ihres Wiedersehens mit
dem Jugendgeliebten sich hingibt, wie in den wilden
marmungen einer seligen Nacht all ihre zurückgehaltenen
exuellen Instinkte hervorlodern, wie sie dieses Erlebni
beglückt, ja einen freudigen Stolz in ihr erweckt, wie
as Mittheilungsbedürfniß in ihr wach wird und sie
frängt, einer Freundin ihren Fehltritt mit stillheiterer
Gelassenheit zu verkünden — all das ist mit aus¬
rlesener Kunst dargestellt. Emil Lindbach hat den leicht¬
ertigen Egoismus des Künstlers. Für ihn ist Bertha ein
chönes, junges Weid, an deren Besitz man sich dann und
pann erfreut. Ihr hingegen ist der Geliebte All.. Sie
pill sein Weib werden, sie will wenigstens in seiner Nähe
eben. Er schüttelt sie sanft ab. Und nun, nach einer
eftigen Krise, vollzieht sich eine Läuterung in ihrem Ge¬
ühisleben, die am Todtenbetie ihrer Freundin Rupius zu
iner wundersam beruhigenden Resignation sich steigert.