I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 40

10.
Leutnant Gust
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Jemand der nicht die Novelle geiesen hatte, und jetzt diesen
Aufsatz der „Neuen Freien Presse“ liest, muss einfach glauben, dass
Dr. Arthur Schnitzler ein militärischer Don Quixote oder verborter
Säbelmensch ist, und der Officiersehrenrath ihn deswegen der
Verletzung der Ehre schuldig erkannt habe.
Aber derjenige, der die Novelle gelesen hat, wird finden, dass
die Auffassung der „Neuen Freien Presse“ den schriftstellerischen In¬
teutionen des Dr. Arthur Schnitzler geradezu ins Gesicht schlägt und
dass die „Neue Freie Presse“ iyren eigenen Mitarbeiter verleugnet, der
gewiss ganz erstannt war, zu lesen, dass seine Novelle die Tendenz
einer Verherrlichung“ der Officiersehrennothwehr habe.
Dr. Schnitzlers Novelle hat die klarliegende Tendenz, nicht etwa
die Officiersehrennothwehe zu verherrlichen, aber auch nicht sie lächer¬
lich zu machen oder anzufeinden, sondern den verkehrten Ehrbegriff,
richtiger gesagt, die burschikose Ehrempfindelei zu geißeln.
Ein Satyriker als Arzt der Seele.
Der Inhalt der Novelle ist kurz folgender:
Gustl ist ein „guter" Bursche, aber ein oberflächlicher, eitler
Mensch, der nur auf Außerlichkeiten Gewicht legt und daher mehr
der Officiers uniform als dem Officiersberufe anhängt,
und mehr das Urtheil der Kameraden scheut, als achtet, und der
tiefen Ehr= und Berufstreue entbehrt. Dieser Lientenant Gustl, der
kurz vorher förmlich muthwillig einen ernsten Berufsmenschen,
einen Militärarzt, zum Duell forderte, wird von einem Civilisten
(Bäckermeister), den er übrigens zuerst angerempelt hat, insultiert,
und versucht denselben daraufhin niederzusäbeln. Der Bäcker ist aber
zufällig bedeutend stärker als der „Gustl“, und hält ihm die Hand
so schraubenfest umklammert, dass er von seinem Säbel nicht Gebrauch
machen kann. Als der Bäcker sich dann rasch entfernt, überkommt
Gustl die ganze Schwere des Vorfalls: Jemand hat ihn insultiert,
und er hat von seinem Seitengewehr nicht Gebrauch machen können.
(Ein Vorkommnis, dass mutatis mutandis selbst einen ruhigen und
vernünftig und ehrlich denkenden Officier passieren könnte.) Was
nun? Gustl nimmt sich vor, von eigener Hand zu sterben!
Die Schilderung der Gedankenreihen des zum Selbstmorde ent¬
schlossenen Gustl ist, nebenbei gesagt, von einer sehr hohen, künstlerischen,
hochinteressanten Zeichnung, wodurch das Werk einen bleibenden
Wert behalten wird, und also weit über die Erzeugnisse der Tages¬
literatur hinausgeht. Man lernt die Anschauungen und die Triebe
eines Theiles unserer Jugend kennen, welche von Phrasen über Beruf
und Ehre erfüllt ist, ohne Beruf und Ehre ernstlich zu kennen
und zu lieben. Und auch die Ehre des Berufes ist ihnen nur inso¬
ferne heilig, als niemand ihre Verletzung „kennt". Denn sobald
Gustl hört, dass der Bäcker in der Nacht einem Schlagflusse erlegen
ist, bevor er jemandem eine Mittheilung vom Vorkommnisse machen
konnte, gibt er sofort den Selbstmordgedanken auf, und freut sich un¬
bändig auf die Austragung seiner schon früher contrahierten „Ehren“¬
Affaire mit jenem Militärarzt. (Also Gustl“ hat schon wieder „Ehre“.)
Das Buch hat also einen ethischen Hintergrund, und würden
wir uns freuen, wenn es unsere Jugend mit Aufmerksamkeit lesen
und beherzigen würde, denn das Buch geißelt nichts anderes, als
die Oberflächlichkeit der modernen Jugend, ihre „Ehrempfindelei“
welche Ehre äußerlich schätzt, nicht aber diese selbst.
Solche Charaktere wie Gustl finden sich in allen Ständen,
und haben wir in der „Heeres=Zeitung“ erst vor kurzer Zeit die
Titelsucht der studierenden Jugend der Technik gegeißelt, welche den
Gipfel ihrer Berufswünsche in einem — Doctortitel verwirklicht sieht.
Dass Dr. Schnitzler, trotzdem die Species „Gustl“ sich
auch bei Studenten, bei jüngeren Advocaten und im Richternachwuchse 2c.
zahlreich vorfindet, einen jungen Officier sich als Vorwurf wählte,
ist nicht damit zu
en, dass die Species „Gustl“ im Nach¬

wuchse des Officiercor besonders vorherrsche, das behauptet oder
deutet Schnitzler nirgends an, sondern damit, dass sich das künstle¬
rische Problem in der exponierten und Ehrpflicht streng heischenden
Stellung eines Officiers schärfer darstellen lässt, und ebenso sich die
nothwendigen Conflicte schärfer ausprägen lassen. (Und es sind also
nicht die besten Freunde des Officierstandes, welche diese Novelle
derwegen verfolgt wissen wollen, weil sie einen „Lieutenant“ geißelt.)
Übrigens ist es das Recht des Schriftstellers, sich seine Modelle aus
dem Leben zu holen. Würde nicht unser öffentliches Leben von der
Verallgemeinerungsseuche beherrscht sein, es würde schwerlich jemandem
beigefallen sein, „in Lientenant Gustl“ etwas anderes, als eine sehr
gut gezeichnete Type einer gewissen Jünglingsart zu
Enden, und am wenigsten eine Verunglimpfung des Officierstandes
Weiters erachten auch wir es für unrichtig, dass der Autor
eine publicistische Polemik gegen sein Werk mit dem Säbel beant¬
worten müsste. Die competente Abwehr ist hier nicht der Säbelhieb,
sondern der geistige Schwertstreich.
Und dass wir trotzdem nicht dazu gelangen, den ehrenräthlichen
Spruch als unrichtig zu bezeichnen? Weil wir die Acten nicht kennen,
und wir niemals ohne Grundlage urtheilen. Es kann zum Beispiel
ganz gut sein, dass bei der anscheinend bloß publicistischen Affaire eine
persönliche mitspiele, und dergleichen. Auch ist ein ehrenräthlicher
Spruch, ähnlich einem Geschwornenverdicte, schwer controlierbar, da
keine Entscheidungsgründ für ihn angegeben werden.
Sollte aber die Annahme der Tagesblätter richtig sein, was wir nur
zur nachfolgenden akademischen Erörterung supponieren, dass nämlich
Dr. Schnitzler der Verletzung der Standesehre bloß deswegen schuldig
erkannt wurde, weil er die Novelle veröffentlichte und weil er auf
eine heftige schriftstellerische Polemik nicht mit der Herausforderung
zum Zweikampfe reagierte, so würde dieser Spruch ein neuerlicher
Beweis sein für die von uns schon lange propagierte Resormbedürf¬
tigkeit der Bestimmungen über das ehrenräthliche Verfahren, insbe¬
sondere durch Zulassung einer beruflichen Vertheidigung und der
Überprüfung der ehrenräthlichen Beschlüsse durch
eine Berufungsinstanz, wie sie das ehrenräthliche Verfahren
vom Jahre 1871 in der ehrenräthlichen Berufungscommission that¬
ächlich kannte. Diese Oberinstanz hätte sich wohl darauf zu
beschränken, zu beurtheilen, ob Nichtigkeiten oder schwere Verstöße
gegen das formelle Verfahren vorgekommen sind und ob erhebliche
Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Beschlusse zu Grunde gelegten
Thatsachen bestehen (in Analogie der dem bürgerlichen Obersten Ge¬
richts= als Cassationshofe nach § 362, Abs. 3 St. P. O., auch gegen
Geschworenenverdicte zustehenden Befugnis.) Dabei sei bemerkt, dass es
onst keine Standesinstitution gibt, welche nicht eine Überprüfungs¬
instanz für Beschlüsse des standesehrenräthlichen Verfahrens hätte.
So steht zum Beispiel gegen die Beschlüsse des Disciplinargerichtes
der k. k. Richter, beziehungsweise k. k. Notare eine Berufung zu.
Und da könnte man doch glauben, dass Notate und Richter,
die
ex professo das Gesetz und die Verarbeitung der Thatsachen
zu
einem Urtheile oder ihre Subsumption unter die gesetzlichen Bestim¬
mungen oder gewisse Begriffe (Ehrbegriffe) genügend kennen, sich doch
weniger irren werden, als die darin doch gewiss nicht so sattelfesten
Officiere. Und siehe, Richter und Notare haben eine höchste Ehren¬
spruchinstanz und die Officiere nicht! Und da eine Berufungsinstanz
chon einmal für das officiersehrenräthliche Verfahren in Österreich
bestand, so können die Reformgegner nicht einmal die sonst nahe¬
liegende hohle Einwendung erheben, es entspräche nicht dem Begriffe
eines „kamaradschaftlichen“ Ehrenrathes, dass man dagegen „Beru¬
fung“ einlege.
Unsere Officiere werden von der überwältigenden Majorität
der Bevölkerung als ehrenhafte, berufstreue, ritterliche und
gebildete Männer anerkannt. Also selbst eine gewollte Persiflage
eines Officiers könnte berechtigterweise noch nicht die Auslegung
finden, als wäre damit das ganze Officiercorps gemeint oder auch
nur sein gesammter, junger Nachwuchs. Kein anständiger Mensch
hat zum Beispiel es unternommen, trotz der geradezu grauenerregenden
Verkommenheit einzelner, sogar höherstehender, französischen Officiere
anlässlich der Dreifuß=Affaire, verallgemeinernd das ganze fran¬
zösiche Officiercorps des Meineides und der Fälschung für fähig zu
halten. Man hat vielmehr nur gesagt, dass es zu bedauern sei, dass
die in einem jeden großen Standeskörper vorkommenden, elenden Crea¬
turen in Frankreich durch ein unglückliches Schicksal zu so hohen
Stellen gelangten, dass sie Schaden anrichten und nicht leicht amoviert
„Lieutenant Gustl“ ist nicht gegen das Officiercorps gemünzt,
aber auch nicht eine Verherrlichung der Officiersehrennothwehr, sondern
eine scharfe, aber gesunde Satyre auf jene seichten Ehren¬
und Duellmänner der Moderne, deren äußere Berufsehre des inneren
moralischen Horts entbehrt. Die Novelle ist gegen die Falsch¬
münzerei der Ehre gerichtet, welcher zum Beispiel Doctor
Weisl in seinem Vortrag über „Ehre und Ehrennothwehr“ ge¬
dachte, der er den Wahlspruch auf einem Schilde des königlichen
Schlosses in Wien entgegenstellte: „Mein Herz den Frauen, mein
Leben dem König, Gott meine Seele, die Ehre für mich.“
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