I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 41

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10. Leutnant Gust!

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vom 1/7740
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B. 2.
Tientenant Gulil.
Graf Josef Ledochowski, der im vorigen Jahre vom
katholisch=conservativen Standpunkte aus gegen den Duellzwang
und die damit zusammenhängenden Paragraphe der bestehenden
Militärgesetze Stellung nahm, hiedurch die Ehre des Standes,
dem er angehörte, verletzte und seine Officiers=Charge verlor,
mag sich trösten. Es ist auch einem Manne aus dem fort¬
schrittlichen Lager, der einige Monate später auf anderem Wege
und mit anderen Waffen gegen die überkommene Sitte des
Zweikampfes aufzutreten versuchte, nicht besser ergangen. Denn
die Spitze, welche Arthur Schnitzler in seinem „Lientenant
Gustl“ gegen die überhandnehmende Duellmanie und die bis¬
weilen recht sonderbaren Fälle kehrt, in welchen eine Civilperson
die militärische Ehre zu verletzen in die Lage kommt, ist nicht
zu verkennen. Für jeden denkenden Leser ist der „Held der
Novelle“ lediglich das Aushängeschild, hinter welchem der Autor
seinen eigentlichen Angriff gegen die bestehenden Vorschriften
über die Wahrung der militärischen Ehre richtet, Paragraphe,
die zum Theile noch dem theresianischen Zeitalter entstammen und
deren Reform sich die Kriegsverwaltung mit geradezu elassischer
Hartnäckigkeit widersetzt. „Lientenant Gustl“ bildet somit ge¬
wissermaßen den Vorwand, die verrosteten Militärgesetze aber
und die zahlreichen daraus hervorgehenden Pflichtencollisionen
das Ziel, welches der Autor allerdings ins Schwarze trifft.
Es ist nicht bekannt geworden, ob nun der Vorwand.
also die Zeichnung einer Charakterfigur vom Schlage „Liente¬
nant Gustls“ oder aber die oben bezeichnete, eigentliche Tendenz
der Studie, den militärischen Ehrenrath bestimmt hat, Arthur
Schnitzler der Verletzung der militärischen Standesehre zu be¬
gichtigen und auf Verlust seiner Charge als Oberarzt der k. k.
Landwehr zu ertennen. In keinem Falle dünkt uns dieser
Schuldspruch auch nur im Entferntesten opportun, obwohl
eines dieser beiden Momente dem ehrenräthlichen Urtheile
zweifellos zu Grunde liegt. Die Anschauung, als ob Schnitzler
durch das Ignoriren eines giftigen Angriffes, den ein soge¬
nanntes Militärblatt gegen ihn richtete, seine Charge verwirkt
habe, ist von vorneherein ausgeschlossen, denn abgesehen davon,
daß sein Aufsatz als solcher und nicht die völlig vereinzelte
Meinung eines bestimmten Blattes für den militärischen Ehren¬
rath in Frage kommt, hätte sich Schnitzler, gerade was sein
militärisches Ansehen betrifft, nach der im Officierscorps herr¬
schenden Stimmung eher durch den Beifall, als durch das
abträgliche Urtheil jenes Blattes compromittirt.
Was nun die Tendenz des Aufsatzes anbelangt, dessent¬
willen Arthur Schnitzler seiner Officierscharge entkleidet wurde,
so richtet sich dieselbe weder gegen die Armee, noch gegen das
Officierscorps, kennzeichnet vielmehr in überaus drastischer
Weise das Paradoxe und Unhaltbare gewisser mili ärischer
Begriffe und Vorschriften, welche bisweilen dem Officierscorps
selbst gefährlicher werden als alle persönlichen Mängel und
Fehltritte. Oder ist es etwa unzutreffend, daß moralische Delicte
wie sie „Lientenant Gustl“ aufweist — ausschweifender
Lebenswandel, sittliche Verkommenheit, Schulden, Nachlässigkeit
m Dienste u. dgl. nach den herrschenden Ehrbegriffen dem
Officiere weit eher verziehen werden, ihn lange nicht so herab¬
würdigen, als die Unterlassung des Waffengebrauches bei wirk¬
lichen oder vermeintlichen Beleidigungen, wenn diese auch noch
so muthwillig provocirt wurden? Ist es etwa unzutreffend,
daß zahlreiche, sonst tüchtige Officiere ihre Charge verloren und
noch verlieren, weil sie entweder nicht Geistesgegenwart genug
besaßen, den Moment wahrzunehmen, in welchem sie nach dem
Ehreneodex verpflichtet waren, von der zuständigen Waffe
einem Civilisten gegenüber Gebrauch zu machen, oder aber,
weil sie — wie „Lientenant Gustl“ — aus irgend einer Ur¬
sache daran gewaltsam gehindert wurden? Ebenso zahlreich sind
die Fälle, in welchen Officiere in Ueberschätzung der angethanen
persönlichen Beleidigung, also in unrichtiger Interpretation des
Paragraphen über die „Satisfaction an Ort und Stelle“ gerade
durch den unzeitigen und vorschnellen Waffengebrauch ihre
ause Spiel setzen. Es ist doch wahrlich kein Zeichen,
gesetzlich und gesellschaftlich gesunder Zustände, wenn in einem
Rechtsstaate und im Zeitalter der allgemeinen Wehrpflicht
immer wieder Fälle eintreten, wo ein Officier, der einen wesr¬
losen Civilisten auf der Straße niedersäbelt, das eine Mal frei
ausgeht, das andere Mal schmählich cassiert wird und der gesetz¬
lichen Strafe verfällt, wo dagegen ein Officier, der auf diese
nittelalterliche ultime ratio des Faustrechtes verzichtet, einnal be¬
lobt, das andere Mal mit Verlust seiner Charge und seines Ranges
bestraft wird. Die subtilen Unterschiede, welche der militärische
Ehrbegriff in den vorbezeichneten Fällen herausfindet, die dann über
Sein oder Nichtsein der berreffenden Officiere entscheiden, sind für
den nichtmilitärischen, simplen Juristen zu spitz und auch für den
erfahrensten Officier selten so augenscheinlich, als daß er sich im
Momente, da er vom Leder zieht, unter allen Umständen über die
möglichen Consequenzen seiner Handlungsweise beruhigen könnte.
Deshalb liegt es nur im wohlverstandenen Interesse des
Officierscorps, wenn einmal das Einseitige, Verkehrte, Will¬
kürliche dieser Auslegungen von bernfener Seite ad absurdum
geführt wird, wie es in Schnitzler's „Lientenant Gustl“
ge¬
chieht. Gewisse Philosophien dieses traurigen Helden können
ohne Weiteres auch jedem gebildeten, charaktervollen Menschen
in den Mund gelegt werden und auch der tadelloseste, pflicht¬
eifrigste Officier kann am Ende in Conflicte und Zwangs
lagen und — bei den herrschenden Anschanungen und Vor¬
schriften — auch zu so paradoxen Betrachtungen und verzweifelten
Entschlüssen gelangen, wie „Lieutenant Gustl“ nach einem Aben¬
teuer mit dem ehrsamen Bäckermeister Aden DM
besonders schwachen, moralisch haltlosen, leichtfertigen Charakter¬
zum Träger seiner Novelle wählt, trifft er den Nagel vollends
auf den Kopf, weil gerade solche Naturen — wie die Er¬
fahrung lehrt — am häufigsten an das Standesprivilegium
appelliren, blind im Sinne anerzogener, widerspruchsvoller, da¬
zu geistig nicht verarbeiteter Ehrbegriffe handeln, sich in der
Folge das moralische und materielle Verderben, dem Stande
hopolte