10. Leutnant Gustl
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Schon als zu Weihnachten die jetzt als Buch bei S. Fischer in
Berlin erschienene Novelle im Feuilleton der „Neuen Freien Presse“
abgedruckt war, hieß es, Schnitzler habe sich mißliebig gemacht.
Arthur Schnitzler.
gehöre selbst dem großen Körper der österreichischen Armee an und
darum hätte er niemals einen k. k. Offizier als sorgl sen, lüderlichen
Feigling darstellen dürfen, der, in seiner Ehre beschimpft, ruhig
weiter der k. k. Armee angehört. Daß der Beschimpfer gestorben ist
STA DE WENA
war nur ein Zufall. Nach einem bestimmten Ehrenkodex durfte
er nur von der Hand des Beschimpften ins Jenseits befördert werden.
Daß sich da die Vorsehung als deus ex machina einmischte, das ist
wohl ein Dichtertrick, aber liegt nicht im Sinne der Säbel=Ehre.
Der Ehrenrath stellte sich auf den Standpunkt: der Armee dürfe
kein Gustl angehören, denn der Tod des Beleidigers hat die Ehre
Gustls nicht wieder hergestellt.
Die österreichische Armee ist eine tapfere und ehrenvolle Armee;
ihre Offiziere sind voll Schneid, sie sind Muster des Muthes, der
Disziplin und der Ritterlichkeit. Aber nie werden sie verhindern
können, daß einer unter ihnen das Schicksal Gustls erlebt. Denn
dieser Gustl ist gar kein Feigling. Er ist ein liebenswürdiger, rei¬
zender Kerl, ein frohmuthiges Naturell. Er hat in einer
ärgerlichen Laune, die ihn umfing, wie ein Traum, etwas Schlimmes
erlebt, und zwar in einem Augenblick der Betäubung. Später ordnet
er seine Gedanken und kommt zu dem Resultat: Du bist ehrlos, denn
Du durftest Dir so was nicht gefallen lassen. Er ist namenlos
traurig, daß er sein schönes, genußreiches Leutnautsleben so früh
lassen soll, und er jubelt auf, wie er den Gegenstand be¬
seitigt sieht, der auf ihm liegt wie ein Grabstein. Das gerade ist
Schnitzler ausgezeichnet gelungen. Das selbstverständliche Unterordnen
unter das harte Ehrengesetz, die Weichmüthigkeit, die Resignation und
dann das helle Aufleuchten der Lebenssonne. Ueberhaupt ist diese
Novelle in ihrer Arl außerordentlich. Schon in der Technik. Das
Ganze, in wenig Stunden Geschehene, wird nicht erzählt, sondern
von Gustl in Gedanken, Gefühlen und Selbstgesprächen erlebt.
Es ist ein einziger Monolog. Kein wirklich gesprochener,
sondern ein gedachter, empfundener und vom Dichter wie ein Steno¬
gramm notirter. Die einzelnen Stimmungen, die im Konzertsaal,
das Rencontre in der Garderobe, dann die Nacht im Prater und
der Morgen im Café sind ausgezeichnet in ihrer echten wienerischen
Bodenständigkeit.
Doch nach dem Werth der Dichtung, die als solche doch aus
jedem Stande sich psychologische Probleme wählen kann und dabei
vom Fürsten bis zum Bettler reicht, hat der Ehrenrath nicht ge¬
fragt. Er hat einfach den Dichter aus der Armee ausgeschieden
und damit einen Beschluß gefaßt, der in Wien, wo doch auch das Offiziers¬
stück „Rosenmontag“ gegeben wird, großes Aufsehen hervorruft. (B. Mgp.)
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Schon als zu Weihnachten die jetzt als Buch bei S. Fischer in
Berlin erschienene Novelle im Feuilleton der „Neuen Freien Presse“
abgedruckt war, hieß es, Schnitzler habe sich mißliebig gemacht.
Arthur Schnitzler.
gehöre selbst dem großen Körper der österreichischen Armee an und
darum hätte er niemals einen k. k. Offizier als sorgl sen, lüderlichen
Feigling darstellen dürfen, der, in seiner Ehre beschimpft, ruhig
weiter der k. k. Armee angehört. Daß der Beschimpfer gestorben ist
STA DE WENA
war nur ein Zufall. Nach einem bestimmten Ehrenkodex durfte
er nur von der Hand des Beschimpften ins Jenseits befördert werden.
Daß sich da die Vorsehung als deus ex machina einmischte, das ist
wohl ein Dichtertrick, aber liegt nicht im Sinne der Säbel=Ehre.
Der Ehrenrath stellte sich auf den Standpunkt: der Armee dürfe
kein Gustl angehören, denn der Tod des Beleidigers hat die Ehre
Gustls nicht wieder hergestellt.
Die österreichische Armee ist eine tapfere und ehrenvolle Armee;
ihre Offiziere sind voll Schneid, sie sind Muster des Muthes, der
Disziplin und der Ritterlichkeit. Aber nie werden sie verhindern
können, daß einer unter ihnen das Schicksal Gustls erlebt. Denn
dieser Gustl ist gar kein Feigling. Er ist ein liebenswürdiger, rei¬
zender Kerl, ein frohmuthiges Naturell. Er hat in einer
ärgerlichen Laune, die ihn umfing, wie ein Traum, etwas Schlimmes
erlebt, und zwar in einem Augenblick der Betäubung. Später ordnet
er seine Gedanken und kommt zu dem Resultat: Du bist ehrlos, denn
Du durftest Dir so was nicht gefallen lassen. Er ist namenlos
traurig, daß er sein schönes, genußreiches Leutnautsleben so früh
lassen soll, und er jubelt auf, wie er den Gegenstand be¬
seitigt sieht, der auf ihm liegt wie ein Grabstein. Das gerade ist
Schnitzler ausgezeichnet gelungen. Das selbstverständliche Unterordnen
unter das harte Ehrengesetz, die Weichmüthigkeit, die Resignation und
dann das helle Aufleuchten der Lebenssonne. Ueberhaupt ist diese
Novelle in ihrer Arl außerordentlich. Schon in der Technik. Das
Ganze, in wenig Stunden Geschehene, wird nicht erzählt, sondern
von Gustl in Gedanken, Gefühlen und Selbstgesprächen erlebt.
Es ist ein einziger Monolog. Kein wirklich gesprochener,
sondern ein gedachter, empfundener und vom Dichter wie ein Steno¬
gramm notirter. Die einzelnen Stimmungen, die im Konzertsaal,
das Rencontre in der Garderobe, dann die Nacht im Prater und
der Morgen im Café sind ausgezeichnet in ihrer echten wienerischen
Bodenständigkeit.
Doch nach dem Werth der Dichtung, die als solche doch aus
jedem Stande sich psychologische Probleme wählen kann und dabei
vom Fürsten bis zum Bettler reicht, hat der Ehrenrath nicht ge¬
fragt. Er hat einfach den Dichter aus der Armee ausgeschieden
und damit einen Beschluß gefaßt, der in Wien, wo doch auch das Offiziers¬
stück „Rosenmontag“ gegeben wird, großes Aufsehen hervorruft. (B. Mgp.)