I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 98

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10. Leutnant Gustl

II Auch Schnitzlers Monolog=Novelle „Gunst!“ (mit Illustrationen
von Coschell; Verlag S. Fischer, Berlin) gehört zu diesem Genre.
Bekanntlich wurde der Dichter, der Regimentsarzt der Reserve in
der österreichischen Armee bis vor kurzem war, wegen dieser harm¬
losen, liebenswürdigen Novelle, weil in ihr der Offiziersstand
herabgesetzt werde, aus der österreichischen Armee ausgestoßen.
Der Inhalt der Novelle ist kurz folgender: Der Leutnant kommt
aus einem Konzert und hat eine Kontrahage mit einem Bäcker¬
meister. Hierbei hält der Bäckermeister den Säbel des Offiziers
fest, um letzteren zu hindern, seine Ehre handgreiflich wieder her¬
zustellen. In der That kommt der Offizier gar nicht dazu, er
denkt zunächst auch gar nicht daran, sich zu rächen. Erst, als er
es nicht mehr kann, fällt ihm ein, daß seine Ehre für immer durch
dieses Renkontre verletzt sei, daß er den Bäckermeister hätte nieder¬
schlagen müssen. Die Novelle schildert uns nun, indem sie die
Reflektionen des Offiziers in einem Selbstgespräche desselben, also
direkt, wiedergiebt, wie der in seiner „Ehre“ Gekränkte sich all¬
mählich der Verzweiflung preisgiebt und beschließt, sich zu er¬
chießen. Er irrt im Prater ziellos umher, alle möglichen Ein¬
fälle und Erinnerungen peinigen ihn, bis er übermüde auf eine
Bank niedersinkt. Am frühen Morgen hörte er dann im Café
nach dem Besuche desselben wollte er sich in seiner Wohnung er¬
schießen, daß der Bäckermeister gestern abend schon am Schlazfluß
plötzlich gestorben sei. Der Offizier kann sich vor innerster Freude
nicht fassen. Er eilt in den Dienst und stürzt sich wie ein vom
Tode Geretieter aufs neue in das Leben. Mit diesem feinen:
satirischen Schluß scheint der Dichter die Ehre der österreichischen
Armee verletzt zu haben. Nach der Ansicht des Militärgerichtes
zu Wien hätte sich der junge Leutnant dennoch erschießen müssen.
Die ergreifende und schließlich amüsante Novelle ist ein stilistisch
sehr feines und vornehmes Kunstwerk.
Vom Büchermarkt.
Arthur Schnitzler, Leutnant Gustl. S. Fischer, Berlin.
Diese Novelle behandelt die Säbel=Ehre, ähnlich wie das
Schauspiel „Freiwild“ desselben Verfassers. Sie war zuerst
in der Neuen Freien Presse erschienen, und es hieß danach,
Schnitzler, der Reserve=Offizier sei, werde seinen Offiziers¬
rang verlieren. War das Gerede berechtigt oder nicht, ich
weiß es nicht. Im Leutnant,Gestl ist der Begriff der Säbel¬
Ehre tiefer und gründlicher erfaßt als im Freiwild. Leutant
Gustl ist ein guter KerlKvom Dutzend. Der Leutnant im
Freiwild ist ein böser Bkuder#und Va banque-Spieler im
Leben. Für ihn bedeutet die Säbelehre einen Deckmantel
für alles übrige Thun. Anders bei Leutnant Gustl, der nach
der Weise vieler seiner Kacheraden „harmlos“ lebt. Da
erfährt der Harmlose einmal ein tragikomisches Abenteuer.
Er war in ein klassisches Oratorium gelotst worden und hat
sich, da er mehr „für's Fesche“ ist, „riesig“ gelangweilt. An
der Garderobe dann, das Gedrängle, vor ihm ein breiter, dicker
Bäckermeister, kurz, Leutnant Gustl wird nervös, verliert die
Selbstbeherrschung und fährt den feisten Bäckermeister an:
„Machen Sie doch Platz!“ Ein Wort giebt das andere,
Lentnant Gustl ruft: „Halten Sie's Maul!“ und der Bäcker¬
meister, ein herkulischer Mann, erfaßt den Säbel des
Leutnants am Griff, hält ihn fest und sagt dem Leutnant
Gustl still ins Ohr: „Wenn Sie das geringste Aufsehen
machen, zieh' ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech' ihn
und schick' die Stück' an Ihr Regimentskommando, versteh'n
Sie mich, Sie dummer Bub?“
Der Leutnant ist wie betäubt, er meint zu träumen. Der
Bäckermeister fügte hinzu: „Es hat's niemand g’hört, ich
will Ihnen die Karriere nicht verderben. Hab' die Ehr',
Herr Leutnant!“ Fort war der Bäckermeister, und der
Zeutnant in seiner Bestürzung hat ihm nicht den „Schädel
#useinander g’hauen.
Der Zwischenfall ist im Gedränge nicht beachtet worden
Aber seine Ehrbegriffe hat man doch nicht bloß für seine
Kameradschaft, sondern für sich zunächst. Das eigene Ge¬
wissen richtet, und Leutnant Gustl richtet streng korrekt. Du
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Ausschnitt aus:
Lectauhe warie
von+OPGg
Leutnant Gustl von Arthur Schnitzler.
Illustrirt von M. Coschell. Verlag von S. Fischer, Berlin.
Die alte Leutnantsgeschichte, welche immer

Auflage.
wieder die Romanschreiber reizt: das Duell, welches aus
einem lächerlichen Grunde heraufbeschworen wird, und der
meidlich erscheint. Die Erzählung spielt in Oesterreich. Ich
kann mir einen preußischen Lentnant kaum in solchen
Siluationen denken. Keinesfalls scheint mir dieser Leutnant
„Gustl“ für unsere Verhältnisse typisch zu sein. Das Ganze ist
weder die eine noch die andere Frage ihre Erledigung darin.
Handdenegemin, die Sache hat denn doch noch eine andere
Seite, und gottlob, es finden sich Widerspiele zu dieser
trostlosen Gustl = Geschichte, wie ja die Medaille ihre Kehrseite
hat.
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hast die Säbelehre, die dir anvertraut ist, nicht gewahrt;
Auszug enthaltend die
du bist vor dir selbst kein Offizier mehr. Als Nicht=Offizier
Wiener Morgen¬
und „Wiener Zeirung“)
kannst du nicht leben, also stirb!
id wirthschaftliche Leben
Wie die Gedanken an Freunde und Verwandte einstürmen,
ird. Diese Mittheilungea
wie das ganze, ziemlich nichtige Leben des Leutnants Gustl
noch einmal vor seinen Augen vorüberzieht, wie sich die
süßen Gewohnheiten des Daseins melden, das ist in vielen
her
Zügen sehr fein beobachtet und das Beste an der Erzählung.
Leider schlägt die Novelle zum Schluß in Ironie um, in
eine Ironie, die sehr geistreich mit dem ganzen Begriff der
Säbelehre spielt, und mit welchem Standesbegriff ließe sich nicht
spielen. Aber sie löst den tragikomischen Konflikt nicht innerlich,
sie ist ein Witz des Zufalls und ist im höchsten Sinn unkünstlerisch.
Bevor Leutnant Gustl zum Revolver greift, geht er noch ins
gewohnte Café, und dort erfährt er, daß der Bäckermeister,
ein Bäckermeister en tödlich vom Schlage getroffen sei.
Alle Lebenslust tollt neu in seinem Blut, der Alp ist von
ihm genommen. Was ist's nun mit der Säbelehre? Ist sie
nicht weniger verletzt, weil der Mitwisser plötzlich starb? In
Wien allerdings erlebt man keine Tragödien, so meint
Hermann Bahr, und wenn er nach den Wiener Dichtungen
von heute urteilt, die fast insgesamt gern ins Spielerische
L. Schönhoff.
einmünden, so mag er recht haben.