I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 102

Gust
box 1/11
10. Leutnant

dieser Ausstellungen, die ich nicht unterdrücken durfte, ist
Dergleichen ist selten der Ruhm
es genußreich, die neun Geschichten zu lesen, die unter
dem eben genannten Titel in zwei Bänden erschienen sind.
en Büchern entsprechen der Heyse¬
Ein gütiges Herz. eine feine Künstlerin hat sie geschrieben.
in ehesten einige der Geschichten in
Hervorgehoben sei auch die vornehme, schlichte Ausstattung.
ägen“*) von Marie v. Ebner¬
Den modernen Ausstattungsmarotten gegenüber, die Bücher,
reilich nicht Novellen, sondern ein¬
die zum Lesen da sind, immer mehr zu verschrobenen Bil¬
Die Heyse'sche Theorie hat für die
derbüchern macht, thut ein Buch doppelt wohl, das den
Vorzug, daß solche Novellen einen
Hauptwerth auf gutes Papier und auf guten Druck legt.
mnen, einheitlichen Eindruck machen.
Schade, daß auf dem Einband nicht auch noch die paar
liegt doch zugleich die Gefahr, ge¬
Zuckerbäcker=Blümlein fehlen.
mentlich in der Geschichte „Uner¬
Ihren „Falken“ hat auch die Geschichte Arthur Schnitz¬
st auch Marie v. Ebner=Eschenbach
ler's „Lieutenant Gustl“*) der eine k. und k. öster¬
jangen. Sie hat viel Ausgetifteltes,
reichische Militärbehörde unfreiwillige, aber verdiente Re¬
zvolles sie auch an Einzelheiten des
klame macht. Ihr „Falke“ ist der plötzliche Tod des Bäcker¬
nung, der Fabel aufweist. Sie ent¬
meisters Habetswallner, der am Abend vorher mit am Teich¬
dem Schema eines wenn auch fein
fneten erstarkter Faust des Lieutenant Gustl Säbelgriff fest¬
.So aufregend sie ist, kann sie mich
hielt, als dieser, angeödet von einem ernsten Konzert, seinem
icht befriedigen. Die Dichterin hat
Aerger über die verlorne schöne Zeit in der Garderobe durch
ich gestellt und geistreich gelöst. Da
grobe Worte an besagtem Bäckermeister Luft macht. Immer
kovelle keine mathematische Aufgabe
die starke Faust an des Lieutenants Säbelknauf nennt ihn
icht. Und so schön eine andere Ge¬
dafür Habetswallner einen dummen Bub und droht, wenn
uch ist, die von einem Menschen= und
der Gustl nicht gleich ganz „stad“ ist, den Säbel zu zer¬
der eine alte verprügelte Hündin dem
brechen und die Stücke dem Regiment einzuschicken. Gustl
n aufgelesenen Provi zur Mensch¬
hat den ehrenwerthen Bäckermeister zwar zuerst und ohne
nn ich eben auch hier nicht an die
allen Grund beleidigt, und nach bürgerlicher Moral thäte
dieser Geschichte glauben. Es hin¬
er am Besten, er sähe das ein und bäte Herrn Habetswallner
Hundekenntniß. Wenigstens habe ich
um Entschuldigung, aber seine „Ehre“ verbietet das. Sie
kten Hundebekanntschaft noch keinen
hat durch die Worte und das Gebahren des Bäckermeisters
h zutraute, daß er grade dem Men¬
ein tödtliches Loch bekommen, sie kann nur wiederhergestellt
zu Tode prügelt, noch im Sterben
werden, wenn er dem elenden Bäckermeister sofort den Säbel
zuschleppt. Meine Hundebekannt¬
in den Bauch jagt. Lenn der Kerl nur nicht so ungeschlachte,
zu viel Charakter. Davon abgesehen
starke Fäuste hätie, die nicht vom Säbel lassen! So bleibt
elungen, die uns schon einmal eine
dem armen Gustl schließlich nicht Anderes übrig, als sich
chte geschenkt hat, in der „Spitzin“
elbst zu tödten. Nur durch ein Loch, sei es in des Bäcker¬
ben, die rührt, ohne sentimental zu
meisters dicken Bauch, sei es in des Lieutenants leeren Schä¬
ie deshalb so schwer ist, weil sie gar
del, kann das Loch in seiner Standesehre reparirt werden.
menschlichen Takt verlangt. Aehn¬
Um die Gedanken nun, die dem Gustl kommen, wie, wann,
illen, zu Herzen gehenden Geschichte
oder ob vielleicht doch nicht dieser Selbstmord auszuführen
die allen ehrgeizigen Eltern noch be¬
sei, drehn sich drei Viertel der Novelle. Zu Anfang des
tung“, wie die Bureaukraten sagen,
etzten Drittels wollte es mir scheinen, als würde Schnitzler
Eine meisterhafte Novelle im Sinne
doch ein wenig zu breit. Künstlerisch läßt sich das allerdings
slan's Frau“. Ihre Lektüre bedeutet
sehr wohl rechtfertigen. Denn grade dadurch, daß der dumme
strübten Genüsse, wie sie ein Kritikus
Gustl, dessen Hirn bisher aur mit Weibergeschichten gefüllt
altjahre einmal hat. Dann habe ich
war, sich nun immer und immer wieder den Schädel an dem
so reife Dichterin doch noch so jung
Selbstmordgedanken wundstößt, wird Mitleid erweckt. Der
z wie „Die Visite“ in ihr Buch auf¬
arme Kerl kommt Einem vor wie eine hilflose Fliege, die
ist, so hat er doch nur, um mit Bran¬
erth einer „langen Anekdote“. Trotz
**) Illustrirt von M. Coschell. Berlin, S. Fischer, Verlag,
1901.
n, Verlag von Gebrüder Paetel, 1901.

Kim Prater am Morge..
ca é niedersinkt, wie die Fliege schließlich nach allen Muhen
ntt, wie todt, ohne sich noch zu rühren, von der Scheibe
s Fensterbrett fällt. Da erfährt Gustl den plötzlichen Tod
Bäckermeisters und athmet erleichtert auf. Nun kann Nie¬
mund mehr etwas von dem Vorfall erfahren. Er ist so ab¬
gehetzt, so schwach, er hat nicht mehr den „Muth“ sich todt
zu schießen, er bleibt leben. Diese tragikomische Geschichte
hat Schnitzler prächtig erzählt. So leichthin, ein wenig sa¬
lopp, aber immer reizvoll. Trotzdem der Gustl im Grund ein
recht fader Gesell ist, interessirt man sich für ihn. Trotzdem
er im Grunde direkt widerwärtig sein kann, „Fallobst“, ver¬
teht es Schnitzler, ihn uns so vor die Augen zu stellen, daß
er gar nicht so widerwärtig aussieht. Im Leben schaun die
Lieutenants Gustl ja auch nicht so aus. Ein graziöses, echt
Wiener Gebäck, diese Novelle. Darauf versteht sich Schnitzler
meisterhaft. Und der leicht satirische Ton, in dem sie gehalten
ist, gibt ihr nur einen Reiz mehr.
Noch ein Novellenband eines Oesterreichers liegt vor:
„Die Troika**), Erzählungen von J. J. David. Die
erste, die dem Band den Namen gegeben, gibt in der Haupt¬
sache aus dem Munde des Sohnes die Geschichte des Vaters,
eines berühmten Schauspielers, der in wildem Ueberschwang
dahingestürmt ist durchs Leben, bis die Troika umschlug.
Als Symbolum ist dies Gefährt sehr gut verwandt. Ueber¬
haupt weiß David seine Bilder zu wählen. Oft sind sie frap¬
pirend zutreffend und doch durchaus naheliegend und natür¬
lich. Das Beste, was man von Bildern und Gleichnissen sagen
kann. Zuweilen aber sind sie doch auch gesucht. Eine An¬
lage, die David in sich gefunden, hat er nach Kräften aus¬
gebildet. Nur, er weiß zu sehr, daß er diese Anlage besitzt,
er hat sich zu sehr darum bemüht, sie auszubilden. Dar¬
über ist ihm dann ein gut Stück Naivetät des Schaffens
verlorengegangen. Bei allem Respekt vor solcher Arbeit an
ich selbst, bedauere ich doch sehr diesen Verlust. Es steckt viel
Ausgesonnenes in dieser Produktion. Das merkt man glück¬
licherweise an seiner Menschengestaltung weniger, für die
solches bewußte, gründliche Nachspüren oft ein Vortheil ist,
als an seinen Naturschilderungen. Sie sind selten, aber wo
sie sich finden, weniger geschaut als gesucht. Man sehe sich
daraufhin nur einmal die ersten Seiten der letzten Erzähl¬
ung an. Hier findet sich auch bezeichnenderweise eine mo¬
dernste Unart, wohl aus dem Französischen importirt, die
mich bisher nur in modernster Lyrik chokirt hat. Man redet
Verlegt bei Schuster u. Loeffler, Berlin und Leipzig,
1901.