I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 113

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10. Leutnant Gustl


AusSchhlff au¬
Berliner Zeitung
22 DEZ. 1903
* Einen Arthur Schnitzler=Abend gab
gestern der Verein zur Förderung der Kunst,
eine ganz verdienstvolle, wenn auch nicht gar
gelungene Sache. Die Analyse Schnitzlers von
Dr. Ludwig Bauer bot manche feine Bemer¬
kung, war geistvoll=spielend, wie ein Wiener
Feuilleton, wenn immerhin dabei an Urteilen
und Parallelen einiges etwas schief geriet
Die Freude, die man über die nicht ungeschickte
Charakteristik Schnitzlers hätte empfinden können,
wurde durch sprachliche Indisposition des Vor¬
tragenden gut und ganz behoben. Dann wur¬
den — wie im Hamlet zu lesen— Szenen aus
dem „Schleier der Beatrice", in Fetzen, in rechte
Lumpen gerissen. Aber nicht, wie dort zu lesen,
von einem handfesten, haarbuschigen Gesellen,
ondern von einer sehr lieben
— um im
Schnitzlerstil zu sprechen —
lieben, jungen
Schauspielerin, Fräulein Stritt aus Dresden.
Dr. Manz, der einen schlechten Tag hatte, half
ihr redlich und nach Kräften hierbei. Und man
wäre wohl kaum auf seine Rechnung gekommen,
hätte sich nicht JosephGiampietro unserer
erbarmt und den „Leutnant Gustl“ ge¬
lesen, diese lustige Sache, so dem Arthur
Schnitzler sein Offizierspatent im österreichischen
Heer kostete. Es ist ein Pizzicato auf der G¬
Saite. Die ganze Novelle ist von ersten bis zum
letzten Wort Selbstgespräch des Leutnants Gustl,
den ein unangenehmes Abenteuer seiner Satis¬
faktionsfähigkeit beraubt und vor den Revolver
zwingt oder zwingen würde, wenn nicht eben
jener, der ihn gedemütigt, plötzlich aus dem
Leben schiede, und so seine lädierl Ehre für ihn
intakt bleibt, da sie ja vor der Welt heil ist.
Wie Giampietro die ganze Fadheit, die liebens¬
würdig leichte, sentimentale Wiener Art dieses
guten, dummen Jungen aufrollte, das war mehr
wie amüsant, und deshalb sei verziehen, daß
dieser Abend bis tief in die Nacht dauerte,
was künftig zu vermeiden wäre.
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Dr. Max Goldschmidt
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verbunden mit direktem Nachrichtendienst durch
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Berlin N. 24.

Ausschnitt aus
Tügliche Rundschau, Berün
23 12.03
Aus dem Kunstleben.
Einen Arte=Schuitles-be ver##staltete
gestern im Rathaussaal der rührige Verein zur Förnenung
er Kunst. Dr. Ludwig Bauer aus Wien, den mci
chon vor einigen Tagen hier sprechen hörte, gab in einem
sorgfältig durchgearbeiteten Vortrag ein Bild von der
Entwicklung und Art des Künstlers Schnitzler, wie er be¬
dingt durch vier Grundelemente, durch die Leichtigleit des
Österreichers, die Neigung des modernen Menschen
zu
des Semiten und den in der Schule der Franzosen ge¬
bildeten, aber über die Pariser Muster hinausgewachsenen
„Esprit“,
seit
dem „Anatole“ heranwuchs zu der
starten Künstlerschaft, die im „Schleier der Beatrice“
ihr bis jetzt vollendetstes Werk geschaffen hat. Die Aus¬
führungen von Dr. Bauer brachten dem vielköpfigen
Berliner Publikum die Art des stärksten der Wiener Poeten
edenfalls in dankenswerter Weise näher. Trefflich trug
dazu die Vorlesung Schnitzlerscher Arbeiten bei, die sich an¬
„Leutnant Gustel“.
Er gab ein Kabinettstück der Vor¬
tragskunst, wie man es hier ja gerade von ihm erwarten
durfte. Vorher las Fräulein Stritt aus Dresden, unier¬
stützt von Dr. Manz, die Hauptszenen aus dem „Schleier
der Beatrice". Die Sprecherin erfreute durch schöng
Können und durch eine gerade bei rezitierenden Fracken
seltene Natürlichkeit.