10. Leutnant Gustl
box 1/8
Ausschnitt aus:
Reichspest
vom L6 #
Abermals: Officiersehre.
7
Wir hatten in der letzten Zeit öfter Gelegen¬
heit, darauf hinzuweisen, welch' seltsames Ding
die sogenannte „Officiersehre“ ist. Jede geringste
Beleidigung eines Officiers ist ein Capitalverbrechen,
das „Satisfactionsfähigen“ sofort ein Duell ein¬
trägt; sie ist geradezu mimosenhaft empfindlich,
diese Officiersehre, wo sie von — Anderen verletzt
wird. Wir haben ja das Be.spiel im Restaurant
Für 50 Zeit
Hartmann erlebt. Die Vorgeschichte der militäri¬
„
schen Zweikämpfe bleibt meist im Dunkel, sonst
200
„
würde man erfahren, welche Bagatellen oft als
500
„
„ 1000
eine Beleidigung der Officiersehre gelten und zum
Duell führen. Umso weniger empfindsam ist merk¬
Im Ge
Abonnement
würdiger Weise die Officiersehre in anderen Dingen:
Abonnenten fr.
z. B. gilt es in Officierskreisen meist nicht als
die Officiersehre verletzend, wenn der Officier in
Der „0
Gesellschaft von Damen der Halbwelt weilt und
Inhaltsangal
gesehen wird, ja wenn er selbst von diesen seinen
blätter
(0
wodurch eine
Beziehungen redet und damit gleichwie mit Helden¬
des In- und
thaten renommirt. Doch das ist ihre Sache. Recht
werden in Wi.
craß ist uns dieser Unterschied in der Empfindlichkeit
der Officiersehre deutlich geworden in einem
Feuilleton, das just zu Weihnachten A#tkur
Schnitzler in der „N. Fr. Pr. veröffentlicht
hät mit dem Titel: „Lieutenant Gustl“
Das
soll ein Typus sein, ein realistischer Lieutenants¬
typus, realistisch dargestellt in Form eines Monologs
der auf 24 großen Feuilletonspalten die innersten
Herzensgedanken eines Lieutenants zum Ausdruck
bringt, welcher vor einem ihm durch die „Officiers¬
ehre“ aufgedrungenen Selbstmord steht.
SL
Bei der Garderobe nach Schluß eines Concertes
kommt Lieutenant Gustl mit einem riesig starken, ihm
vom Café her bekannten Bäckermeister in einen Wort¬
wechsel; der Bäckermeister ruft dem Officier zu: „Herr
Lieutenant, wenn Sie das geringste Aufseh'n machen,
sso zieh ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech' ihr
und schick' die Stück an Ihr Regiments=Commando.
Versteh'n Sie mich, Sie dummer Buh?“ Und
dabei hielt er den Säbel so fest, daß Lieutenant
Gustl die Beleidigung einstecken muß, und Aufsehen
darf er auch nicht machen, sonst sieht alle Welt sein
Schwäche. Der Bäcker will dem Officier auch die
Carrière nicht verderben und flüstert ihm zu: „Also
schön brav sein, Herr Lieutenant — haben's keine
Angst, 's hat Niemand was g’hört, — #s ist schon
Alles gut — so. Und damit Keiner glaubt, daß wir
uns gestritten haben, werd' ich jetzt sehr freundlich mit
Ihnen sein — Habe die Ehre Herr Lieutenant, hat
mich sehr gefreut — habe die Ehre!“ So gingen sie
auseinander. Der Officier sieht klar ein: die Officiers¬
sehre verlange es, daß er sich nun selbst tödten müsse
da er sonst ehrlos quittiren müßte. Morgen um
8 Uhr Früh will er sich, muß er sich erschießen. Er
geht in den Prater, Abends spät überleat Alles. be¬
reitet Alles vor, nimmt im Geiste von allem Abschied,
iso schwer es ihm auch fällt, er denkt an seine Jugend,
seine Carrièré, an Vater, Mutter und Schwester, an
seine Freunde im Regiment, vor Allem aber und
immes wieder an die — „Menscher“, die verschiedenen
Dirnen, die er abwechselnd „geliebt“ hat, aber es bleibt
ihm nichts anderes übrig, er muß sich erschießen. Auf
dem Weg aus dem Prater in die Stadt hört er plötzli
Orgeltöne — Ah, aus der Kirche ... Frühmesse
din schon lang bei keiner gewesen
Also, was
ist, soll ich hineingehn? — Ichglaub' der Mama wär's
ein Trost, wenn sie das wüßt
—
die Clara gibt
weniger d'rauf
No, geh'n m'r hinein
800
schaben kann's ja nicht! ....
Orgel — Gesang —
hm! — Was ist denn das? —
Mir ist ganz
schwindlig . . . . o Gott, o Gott, o Gott! ich möcht
einen Menichen haben, mit dem ich ein Wort reden
könnt' vorher! — Das wär so etwas — zur Beicht
geh'n! Der möcht' Augen machen, der Pfaff', wenn
ich zum Schluß sagen möcht': Habe die Ehre, Hoch¬
würden, jetzt geh' ich mich umbringen. ...
Am
liebsten läg' ich da auf dem Steinboden und thät
heulen ...
Nein, das darf man nicht thun!
Aber Weinen thut manchmal so gut ..
Di
Leut', die eine Religion haben, sind doch besser d'ran.“
Natürlich bleibt er nicht in der Kirche, noch weniger
beichtet er, — er geht in's Stamm=Caféhaus, ent¬
schlossen in ein paar Stunden sein Leben zu enden.
So verlangt es die Officiersehre. Du erfährt er vom
Piccolo, daß der Bäckermeisier heute Nacht am
Schlagfluß gestorben ist. Nun ist die Officiersehre ge¬
rettet, denn Niemand wird etwas erfahren, Lieutenant
Gustl braucht sich nicht selbst das Leben zu nehmen.
„Am End' ist das Alles, weil ich in der Kirche
g’wesen bin.“ Am Nachmittag kann er sich mit dem
Advocaten duelliren, der ihr jüngst bei einer Gesell¬
schaft unmanierlich begegnet war, und er will ihn „zu
Krennfleisch bauen.“ Mit diesem Vorsatz endet der
realistische Geschichte von dem Lieutenant Gustl.
Also recapituliren wir, was
mit di
Officiersehre nicht verträglich und wa¬
mit ihr verträglich ist. Nicht ver¬
Fräglich mit ihr ist:
sich von einem Advocaten ein paar be¬
leidigende, richtiger unhöfliche Worte sagen zu
lassen, das verpflichtet zum Duell; ferner
sich von einem Civilisten „dummer Bub“
schelten zu lassen, obschon eigentlich der Officier
den Streit an der Garderobe durch seine grobe
Heftigkeit verursacht hatte, ohne ihn auf der
Stelle niederzuhauen, selbst dann, wenn die
physische Unmoglichkeit vorhanden war, da der
Säbel durch die überlegene Kraft des Gegners
in der Scheide festgehalten wurde.
Wohl aber verträglich ist es mit
der „Officiersehre“, den gemeinsten Liebschaften
mit Straßendirnen nachzugehen (die Namen und
box 1/8
Ausschnitt aus:
Reichspest
vom L6 #
Abermals: Officiersehre.
7
Wir hatten in der letzten Zeit öfter Gelegen¬
heit, darauf hinzuweisen, welch' seltsames Ding
die sogenannte „Officiersehre“ ist. Jede geringste
Beleidigung eines Officiers ist ein Capitalverbrechen,
das „Satisfactionsfähigen“ sofort ein Duell ein¬
trägt; sie ist geradezu mimosenhaft empfindlich,
diese Officiersehre, wo sie von — Anderen verletzt
wird. Wir haben ja das Be.spiel im Restaurant
Für 50 Zeit
Hartmann erlebt. Die Vorgeschichte der militäri¬
„
schen Zweikämpfe bleibt meist im Dunkel, sonst
200
„
würde man erfahren, welche Bagatellen oft als
500
„
„ 1000
eine Beleidigung der Officiersehre gelten und zum
Duell führen. Umso weniger empfindsam ist merk¬
Im Ge
Abonnement
würdiger Weise die Officiersehre in anderen Dingen:
Abonnenten fr.
z. B. gilt es in Officierskreisen meist nicht als
die Officiersehre verletzend, wenn der Officier in
Der „0
Gesellschaft von Damen der Halbwelt weilt und
Inhaltsangal
gesehen wird, ja wenn er selbst von diesen seinen
blätter
(0
wodurch eine
Beziehungen redet und damit gleichwie mit Helden¬
des In- und
thaten renommirt. Doch das ist ihre Sache. Recht
werden in Wi.
craß ist uns dieser Unterschied in der Empfindlichkeit
der Officiersehre deutlich geworden in einem
Feuilleton, das just zu Weihnachten A#tkur
Schnitzler in der „N. Fr. Pr. veröffentlicht
hät mit dem Titel: „Lieutenant Gustl“
Das
soll ein Typus sein, ein realistischer Lieutenants¬
typus, realistisch dargestellt in Form eines Monologs
der auf 24 großen Feuilletonspalten die innersten
Herzensgedanken eines Lieutenants zum Ausdruck
bringt, welcher vor einem ihm durch die „Officiers¬
ehre“ aufgedrungenen Selbstmord steht.
SL
Bei der Garderobe nach Schluß eines Concertes
kommt Lieutenant Gustl mit einem riesig starken, ihm
vom Café her bekannten Bäckermeister in einen Wort¬
wechsel; der Bäckermeister ruft dem Officier zu: „Herr
Lieutenant, wenn Sie das geringste Aufseh'n machen,
sso zieh ich den Säbel aus der Scheide, zerbrech' ihr
und schick' die Stück an Ihr Regiments=Commando.
Versteh'n Sie mich, Sie dummer Buh?“ Und
dabei hielt er den Säbel so fest, daß Lieutenant
Gustl die Beleidigung einstecken muß, und Aufsehen
darf er auch nicht machen, sonst sieht alle Welt sein
Schwäche. Der Bäcker will dem Officier auch die
Carrière nicht verderben und flüstert ihm zu: „Also
schön brav sein, Herr Lieutenant — haben's keine
Angst, 's hat Niemand was g’hört, — #s ist schon
Alles gut — so. Und damit Keiner glaubt, daß wir
uns gestritten haben, werd' ich jetzt sehr freundlich mit
Ihnen sein — Habe die Ehre Herr Lieutenant, hat
mich sehr gefreut — habe die Ehre!“ So gingen sie
auseinander. Der Officier sieht klar ein: die Officiers¬
sehre verlange es, daß er sich nun selbst tödten müsse
da er sonst ehrlos quittiren müßte. Morgen um
8 Uhr Früh will er sich, muß er sich erschießen. Er
geht in den Prater, Abends spät überleat Alles. be¬
reitet Alles vor, nimmt im Geiste von allem Abschied,
iso schwer es ihm auch fällt, er denkt an seine Jugend,
seine Carrièré, an Vater, Mutter und Schwester, an
seine Freunde im Regiment, vor Allem aber und
immes wieder an die — „Menscher“, die verschiedenen
Dirnen, die er abwechselnd „geliebt“ hat, aber es bleibt
ihm nichts anderes übrig, er muß sich erschießen. Auf
dem Weg aus dem Prater in die Stadt hört er plötzli
Orgeltöne — Ah, aus der Kirche ... Frühmesse
din schon lang bei keiner gewesen
Also, was
ist, soll ich hineingehn? — Ichglaub' der Mama wär's
ein Trost, wenn sie das wüßt
—
die Clara gibt
weniger d'rauf
No, geh'n m'r hinein
800
schaben kann's ja nicht! ....
Orgel — Gesang —
hm! — Was ist denn das? —
Mir ist ganz
schwindlig . . . . o Gott, o Gott, o Gott! ich möcht
einen Menichen haben, mit dem ich ein Wort reden
könnt' vorher! — Das wär so etwas — zur Beicht
geh'n! Der möcht' Augen machen, der Pfaff', wenn
ich zum Schluß sagen möcht': Habe die Ehre, Hoch¬
würden, jetzt geh' ich mich umbringen. ...
Am
liebsten läg' ich da auf dem Steinboden und thät
heulen ...
Nein, das darf man nicht thun!
Aber Weinen thut manchmal so gut ..
Di
Leut', die eine Religion haben, sind doch besser d'ran.“
Natürlich bleibt er nicht in der Kirche, noch weniger
beichtet er, — er geht in's Stamm=Caféhaus, ent¬
schlossen in ein paar Stunden sein Leben zu enden.
So verlangt es die Officiersehre. Du erfährt er vom
Piccolo, daß der Bäckermeisier heute Nacht am
Schlagfluß gestorben ist. Nun ist die Officiersehre ge¬
rettet, denn Niemand wird etwas erfahren, Lieutenant
Gustl braucht sich nicht selbst das Leben zu nehmen.
„Am End' ist das Alles, weil ich in der Kirche
g’wesen bin.“ Am Nachmittag kann er sich mit dem
Advocaten duelliren, der ihr jüngst bei einer Gesell¬
schaft unmanierlich begegnet war, und er will ihn „zu
Krennfleisch bauen.“ Mit diesem Vorsatz endet der
realistische Geschichte von dem Lieutenant Gustl.
Also recapituliren wir, was
mit di
Officiersehre nicht verträglich und wa¬
mit ihr verträglich ist. Nicht ver¬
Fräglich mit ihr ist:
sich von einem Advocaten ein paar be¬
leidigende, richtiger unhöfliche Worte sagen zu
lassen, das verpflichtet zum Duell; ferner
sich von einem Civilisten „dummer Bub“
schelten zu lassen, obschon eigentlich der Officier
den Streit an der Garderobe durch seine grobe
Heftigkeit verursacht hatte, ohne ihn auf der
Stelle niederzuhauen, selbst dann, wenn die
physische Unmoglichkeit vorhanden war, da der
Säbel durch die überlegene Kraft des Gegners
in der Scheide festgehalten wurde.
Wohl aber verträglich ist es mit
der „Officiersehre“, den gemeinsten Liebschaften
mit Straßendirnen nachzugehen (die Namen und