I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 151

10.
Leutnant Gustl
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Bilder der „Menscher“ ruft sich der Lieutenant
eine nach der anderen mit zärtlicher oder ekelnder
Erinnerung vor sein Gedächtniß); ferner
seine Pflichten gegen Gott und die Religion,
der man angehört, zu vernachlässigen, ja darüber
zu spotten und zu höhnen; ferner
über Eltern und Geschwister so frivol zu
reden, wie es der Lieutenant Schnitzler's vor
seinem Tod noch thut; ferner
sich selbst das Leben zu nehmen, also ein
Verbrechen gegen Gott, sich selbst, die An¬
gehörigen, das Vaterland u. s. w. zu begehen
und schließlich sich doch nicht das Lehen
zu nehmen, blos weil Niemand etwas
von der angeblich mit der Officiersehre unverein¬
baren „Feigheit“ gehört hat, weil der Gegner
zufällig gestorben ist.
Wir sind schließlich gespannt, ob im übrigen
die Officiere die obige Schnitzlerische
Darstellung des Lieutenantstypus als mit
der Officiers=Ehre vereinbarlich halten werden.
Wenn ein Schnitzler einen anderen Stand
in einer typischen Figur so der öffentlichen Mi߬
achtung preisgeben würde, wie dies Schnitzler
gegenüber dem Officiersstand gethan, so würden
g wiß die Vertreter dieses anderen Standes leb¬
haften Protest, heben. Glücklicherweise sind ja
doch nicht: e Officiere vom Schlage des
während
rutenants Gustl,
Schnitzler'schen
Schnitzler diese M## na aufkommen läßt. Wohl
aber ist leider die Sorte Officiersehre, wie sie
Schnitzler schildert, durch einen unsinnigen
und eine unsinnige Tradition
„Ehrencodex“
und Mode zur typischen geworden. Diese
„Officiersehre“ ist es, welche das Volk nicht ver¬
steyt, so hoch es auch den Officiersstand als
so
solchen in Ehren hält. Wenn ein Officier
empfindlich zu sein verpflichtet ist gegen formelle
Beleidvegen von anderer Seite, müßte es die
Officiersehre verlangen, auch in anderer Beziehung
empfindlicher zu sein, wo es sich um sittliche
Pflichten und Vergehen handelt, die jeder Ehre,
also vor allem der Officiersehre zuwiderlaufen.
Feuilleton.
Nachdruck verboten.

Lieutenant Gustl.
„Ab, so ein Ton! Da hört sich
—Arthur
doch Alles auf.“
Schnitzler in der Weih¬
nachtsbeitage der „N. Fr. Pr.
vom 25. December.
An der gänzen Geschichte ist doch nur dieser Kopetzky
nein, dieser Otto Erich Hartleben — schuld. Kopetzky
und Lieutenant Gustl sind Freunde, wie Otto Erich und
Arthur; die Beiden thun dasselbe und es ist doch — das¬
selbe. Seit jenem „Rosenmontag“ an welchem der
preußische College „unseres“ Herrn Schnitzler den ganzen
preußischen Militarismus auf die Bühne brachte, um ihn
in den Augen der Welt nach Simplicissimus=Manier
herabzusetzen, hatte Herr Schnitzle keine ruhige Stunde
Sein österreichisches Empfinden zeigte sich aufgestachelt.
Eine Culturmission blieb zu erfüllen: Die österreichische
Parallele fehlte. Es ging nicht an, nur die deutsche Armee
zu carikiren, während die österreichische bisher solche.
ein
literarischer Ehre entbehrte. Ein Stück? Etwa
Rosenmontag“ ins Oesterreichische übertragen? Man
schreibt Stücke nicht so schnell, und wern sie schon schnell
geschrieben wäre, führt man sie nicht so rasch auf. Man
kennt das vom „Schleier der Beatrice“ her. Aber die
Zeit drängte. Hartieben's Stück im Burgtheater war schon
einige Wochen alt und der österreichische Lieutenant stand
noch immer da, ohne literarisches Zerrbild. Er mußte es
bekommen, zu Weihnachten gerade, wo die Leute ein¬
ander beschenken. Und er bekam es: vierundzwanzig
Spalten lang, in der wahrhafter Literatur immer zu¬
gänglichen „N. Fr. Presse“, knapp unter Paprika¬
Schlesinger's „Weihnachtstraum“
Man muß das neue Denkmal der österreichischen
Armee, das von Schnitzler's Meisterhand entworfene
Standbild des „Lieutenants Gustl“ ein wenig inäher
besehen. Lieutenant Gustl sitzt im Concerisaal. Da er von
Musik, wie alle österreichischen Lieutenante, nichts ver¬
steht, langweilt ihn das „Oratorium“, oder die „Messe“
in der Fräulein Walker und Fräulein Michalek mit¬
wirken, im höchsten Grade und er kommt auf allerlei echt
Schnitzler'sche Gedanken. Ob die „Mädeln“, die da mit¬
singen, lauter „anständige Mädeln“ sind, warum die
„Steffi“, die heute mit ihrem Verehrer „nachtmalen
muß“ ihm heute abgesagt hat, und so weiter. Der Herr
Lieutenant ist natürlich auch Antisemit, verkehrt aber
gerne mit reichen Juden, die Gesellschaften geben. Also
ein gewöhnlicher „Schmarotzer“ der überdies gerade
gestern hundertsechzig Gulden im Spiel verloren hat.
Ein Spieler obendrein, der sich auf den reichen Onkel ver¬
läßt. Lieutenant Gustl richtet seine Gedanken nun auf
andere Dinge. Er hat einen Streit mit einem Doctor ge¬
habt — „sicher ein Socialist!“ — und ihn zum Duell ge¬
fordert. Die Geschichte war „zu dumm“, aber der Oberst
findet sie „absolut correct“ Lieutenant Gustl fühlt sich
als Held, er kennt Cameraden, die den Beleidiger „hätten
durchschlüpfen lassen.“ Herr Lieutenant, hatte der weise
Herr Doctor — am Ende gar Herr Doctor Arthur
Schnitzler selbst — gesagt, Herr Lieutenant, „Sie werden
doch zugeben, daß nicht alle Ihrer Cameraden zum
Militär gegangen sind, ausschließlich um das Vaterland
zu vertheidigen.“ — Herr Schnitzler urtheilt über diesen
Satz selbst ganz treffend: „So eine Frechheit! Das wagt
so ein Mensch einem Officier ins Gesicht zu sagen.
Das Concert geht unter den weiteren Gedanken des
Lieutenants Gustl zu Ende. Er kokettirt noch ein bischen,
schimpft seine Umgebung im Geiste „Idioten“ und
aber, gerade bei der Garderobe, kommt nun der dramati¬
sche Conflict. Da steht ein biederer Bäckermeister
natürlich ein wackerer fortschrittlicher Gewerbetreibender

und kommt mit dem Lieutenant Gustl übereinander.
Der Herr Lieutenant ruft: „Halten Sie's Maul!“ Darauf
der Bäckermeister: „Wie meinen?“ dreht sich um, packt