I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 152

10.
Leutnant Gust
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den Herrn Licutenant beim Säbel und sagt leise: „Herr
Lieutenant, wenn Sie das geringste Aufsehen machen, so
zieh' ich den Säbel aus der Scheide, zerbrich ihn und
schick' die Stück auf Ihr Regimentscommando. Verstehen
Sie mich, Du dummer Bul?“ Und Lientenant Gusil?
Der läßt den höflichen Bäckermeister ruhig ziehen
und „haut ihm nicht den Schädel auseinander,“ weil er
das hätte — gleich thun müssen, und gleich hat er's nicht
thun können, weil — nun, weil eben der Bäckermeister
den Säbelgriff so fest gehalten hat und stärker war. als
der Herr Lieutenant. Aber Lieutenant Gußl that doch
etwas. Das Ehrgefühl steigt jetzt in ihm auf, und während
er über die Aspernbrücke in den Prater wandelt, sieht er
ein, daß nichts übrig bleibt, als sich zu erschießen.
Eine ganze Armec von Gedanken, gottlob nur Synitzler¬
schen Kalibers, zieht ihm durch den Kopf, ungeordnet
ein Sammeljurium von cynischen und bodenlosen Ge¬
meinheiten, die sich zu einem jämmerlichen Bild von Feig¬
heit und Niedertracht vereinigen. Aber das thut ja Liente
nant Gustl, das geht ja ihn an, und der Dichter
Schnitzler hat ja immerhin die „poetische Licenz“ der
Abwechslung halber einmal aus einem Lieutenant der
österreichischen Armee einen Schurken zu machen. Aber
Herr Schnitzler thut noch ein Uebriges. Er läßt keinen
Zweifel darüber, daß er einen Typus gemeint habe, denn
er läßt durchblicken, daß die Armee noch viele andere
solche „Gustl“ hat. An einer Stelle sagt sich nämlich dieser
Herr Lieutenant: „Unsinn! Kein Mensch hat etwas ge¬
hört!“ (Von dem Schimpf nämlich, den der Bäcker¬
meister an Lieutenant Gustl verübt hat.) „Es laufen Viele
herum, denen ärgere Sachen passirt sind, als mir.
Was hat man nicht Alles von dem Deckener erzählt, wie
er sich mit dem Rederow geschossen hat ... und der
Ehrenrath hat entschieden, das Duell darf statt¬
finden.“ Und weiter: dem Cameraden Ringheimer hat
„ein Fleischselcher, wie er ihn mit seiner Frau erwischt
Die Armee des Herrn
hat, eine Ohrfeige gegeben.
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Schnitzler hat aber noch andere Eremplarc.
„ Die
Frau von meinem Hauptmann in Przemysl, das war
ga doch keine anständige Frau . .. ich könnt' schwören
der Libitzky und der Wermutek und der schäbige Stell¬
vertreter, der hat sie auch gehabt.“ Neben diesen „Er¬
iunerungen“ vergißt der Herr Lieutenant auch auf die
„Menscher“ nicht, denen man sonst begegnet, und kommt
endlich zu dem Schlusse, daß es besser wäre, nach Amerika
zu gehen, statt sich zu erschießen, denn auch „Graf Runge,
der wegen einer schmutzigen Geschichte hat fort müssen,
hat jetzt drüben ein Hotel und pfeift auf den ganzen
Schwindel.“
Es ist fast überflüssig, weitere Stichproben von
Herrn Schnitzler's Lieutenant Gustl und seinem Seelen¬
leben zu geben. Nur einige Aphorismen sind so charakteri
stisch, daß sie einen Sonderplatz verdienen: „Ob so ein
Mensch Steffi oder Kunigunde heißt, bleibt sich gleich“.
„Jetzt ist nur die Frage, ob ich mich um Sieben nach
Bahnzeit oder nach Wiener Zeit erschieß.“ Eine Com¬
pagnie geht vorüber und leistet die Ehrenbezeugung. Der
Herr Lieutenant denkt: „Ja, ja. rechts g'schaut! Ist schon
gut; wenn Ihr wüßtet, wie ich auf Euch pfeif!“
Mit dem Ordnen seiner Hinterlassenschaft im Geiste be¬
schäftigt, sagt er sich unter Anderm: „Hm, der Brief vom
Fallsteiner, wenn man den Brief findet, der Bursch
könnt' Unannehmlichkeiten haben —— wo mir der
Fallsteiner die schmutzige Geschichte erzählt.“
Die Krone dieser Lieutenantsgeschichte ist aber ihr
Schluß. Nach langer Irrfahrt kommt der Herr Liente¬
nant Gustl Früh in sein Stammkaffeehaus und erfährt,
daß den Bäckermeister, der ihm gestern „dummer Buh#
gesagt, der Schlag gerührt hat. Darauf fragt der Herr
Lientenant:
„Ist er todt?
„No freilich, Herr Lieutenant; auf'n Fleck ist er
geblieben.
fodt
Darauf der Herr Lientenant: „O herrlich
herrlich. Am End' ist das Alles, wei
ch in der Kirchen g’wesen bin.“ Gleich darauf
muß der Herr Liemenant „sich wirklich zurückhalten, daß
er vor Freude nicht „schreit" oder „auf's Billard springt“.
Dann raucht der Herr Lieutenant Gustl eine
Trabucco, gehi in die Kaserne, läßt sich vom Johann
„kalt abreiben“, drillt die Recruten, beftellt seine Steffi
für Abends und wird morgen seinen Duellgegner, den
Herrn Doctor, zu Krennfleisch hau'n“
Das ist das literarische Denkmal des österreichischen
Lieuienants, entworfen und ausgeführt von Herrn
Sch#itler, im Geiste des „Simplicissimus“ und Otto
Erich Hartleben's. Dieses Gemisch von Unflath, niedrigster
Gesinnung und Verdorbenheit des Herzens, von Feigheit
und Gewissenlosigkeit steckt Herr Schnitzler in eine öster¬
reichische Lieutenantsuniform und stellt es im Feuilleion
der „N. Fr. Presse“ aus. Vierundzwanzig Spalten unter
dem Strich, voller Gedankenstriche und — Strichge¬
danken, ein Panopticum von literarischen Perversitäten
mit dem deutlichen Katalogvermerk: Der österreichische
Militarismus in seiner heutigen Gestalt. Bravo, Herr
Schnitzler! Nun mir noch rasch ein Drame gemacht aus
Lieutenant Gustl's Geschichte und Herrn Schlenther ein¬
gereicht! Der wird sich freuen; nennen Sie's „Rosen¬
dienstag“
Die Armee steht hoch über diesen vierundzwanzig
Spalten Schimpf und Spott. Die Officiere, die „nicht
ausschließlich zum Militär gegangen sind,“ um das
„Vaierland zu vertheidigen, gehören ganz Herrn
Schnitzler. Es wird sie ihm Niemand streitig machen
In der Armee gibt es solche Officiere nicht, weil man
sie eben nicht duldet.
Der Schlag hat Ihren „Bäckermeister“ gekroffen,
Herr Doctor, und nicht — die Armee. Gehen Sie heim
nach dem Lande der „süßen Mädel“, lassen Sie sich vom
Johann „kalt abreiben“ und bedecken Sie sich und diese
literarische Schmutzgeschichte. mit dem „Schleier der
Beatrice“!
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