I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 163

10. Leutnant Gust
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Durch diese bizarre Geschichte nun soll die Ehre
der österreichischen Armee gekränkt worden sein. Der
Armee? Ja, repräsentirt Lieutenaut Gustl die öster¬
reichische Armee? Die Beleidigung unseres Heeres be¬
geht der militärische Ehrenrath, der in „Lieutenanz
Gustl“ einen typischen Vertreter des Officierscorp
sieht, nicht der Dichter, welchen allein das gan
individuelle seelische Problem zur Darstellung
gereizt hat. Wie ein Mensch, der in sich keine Kräft
und Gewalten trägt, die sein Leben bestimmen, sondern
nur äußeren Mächten unterliegt — wie also ein
solcher leerer Meusch durch einen Zufall aus seinemel
elenden Gleichgewicht gebracht, zum Abgrund gedränge
wird und abermals durch einen Zufall dieses Gleich¬
gewicht wieder erlangt — das wollte der Autor zeigen.
Er hat einen Officier zum Helden seiner Geschichte gewählt,
weil eben bei diesem die äußere Macht, der Ehre=Götze, ge¬
geben ist und dem Dichter eine besondere Motivirung, wieso
die Rücksicht auf diese Macht zu einem seelischen Con¬
flict führt, erspart bleibt. Welche Kurzsichtigkeit gehört
dazu, dieses rein technische Moment, welches den Autor
eben einen Officier in den Mittelpunkt seiner Studie
stellen ließ, so zu verkennen und in „Lieutenant Gustl“
ein Pamphlet gegen die Armee zu erblicken! Ist das
wirklich gar so typisch, daß die brutale Civilistenfaust
das arme Officiershascherl bändigt? Ist nicht vielmehl
der Fall typisch, in dem er civile Schädel von dem
Officierssäbel gezüchtigt wird? Lieutenant Gustl ist aller¬
dings kein sehr sympathisches Individuum. Aber weil
der Autor einen unangenehmen Kerl zeichnete, der
Officier ist, deshalb hat er doch wohl nicht erklären
wollen, alle Officiere seien solche unangenehme Kerle.
So viel über das Meritorische der Sache. Wichtiger
scheint es noch, über ihre principielle Seite ein Wort zu
sprechen. Es ist ganz unerhört, daß eine Berufsclasse —
hier die militärische — einen Schriftsteller in Acht und
Bann erklaren darf, weil er einen Vertreter ihres Berufs
in ungünstigem Licht erscheinen ließ. Schon genug der
falschen ethischen und ästhetischen Schranken sind für die künst¬
lerische Bethätigung aufgerichtet; daß sich jetzt außerdem
auch noch eine Classen= und Kastenjustiz da geltend
machen soll, dagegen muß energisch protestirt werden.
Das Dichten ist heutzutage bei der großen Concurrenz
ohnehin kein besonderes Vergnügen mehr; soll es
jetzt für die Dichter auch noch zu einer
socialen Gefahr werden? Ein Arzt, der Literatur treibt,
darf von keinem Arzt in tadelnden Worten sprechen, für
den schriftstellernden Reserveofficier müssen die Officiere,
für den dichtenden Polititer die Politiker untadelhafte
sacrosancte Wesen sein? Sonst wird er von den respectiven
Ehrengerichten aus den Reihen der Berufsgenossenschaft
gestoßen. Gerade in den Kreisen, in welchen ein Autor
durch sein Metier heimisch ist, erlebt und findet er
naturgemäß literarische Stoffe. Und je nach seinem
Temperament, nach der specifischen Art seiner Begabung
können die Beobachtungen, die er da als Psychologe
sammelt, wohl auch satirischer, polemischer Natur sein.
Das müßte sich nun aufhören; das Dichten würde ein
zu riskantes Geschäft, wenn man nicht nur bei den
Zeitungsrecensenten, sondern auch bei seinen Berufs¬
genossen durchfallen müßte.
Ob es klug war — nicht nur literarisch=, sondern
auch militärisch=klug — den Autor des „Lieutenant
Gustl“ zu maßregeln, darüber ließe sich auch Manches
sagen. Jetzt erst, nachdem der Ehrenrath eine solche
Haupt= und Staatsaction aus der kleinen Geschichte vom
„Lieutenant Gustl“ gemacht hat — jetzt erst könnte
mancher Leser der Schnitzler'schen Novelle glauben, daß
er es da nicht mit einem frei von der Phantasie des
Dichters gestellten und gelösten Problem zu thun habe,
sondern daß da ein Eingeweihter aus der Schule ge¬
plaudert hat.
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Ausschnitt
54

Nr. 82
„CÖSERVE
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Ausschnitt aus:
J16 140
vom
(„Lientenant Gustl“.) Der Schriftsteller Dr. Arthur
Schnitzler, der Regimentsarzt in der Reserve war, ist,
wie die „Wr. Allg. Zig.“ mittheilt, von einem militärischen
Ehrenrathe seiner Officierscharge verlustig
erklärt worden. Als Gründe dieses ehrenräthlichen Richter¬
spruches wird angegeben, daß Dr. Schnitzler durch seine
novellistische Studie „Lieutenant Gustl“, der Ehre des öster¬
reichischen Officierscorps nahegetreten sei und daß er weiter
auf eine Kritik dieser schriftstellerischen Arbeit nicht
reagirt habe.
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