I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 172

10. Leutnant Gustl


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Nr. 168.
Kunstbeilagen
des
„Wiener Tagblatt“
Vom nächsten Sonntag angefangen werden wir
jeder Sonntagsnummer des „Wiener Tagblatt“ ein
werthvolles Kunstblatt beilegen. Die Kunstblätter
des „Wiener Tagblatt“ werden hervorragende Werke
der besten neueren Meister bringen, auf der Höhe
des modernen Reproduktionsverfahrens stehen und
gesammelt einen Hausschatz der besten modernen
Gemälde bilden, einzeln aber als Wandschmuck mit
prächtiger Wirkung zu verwenden sein.
Wir beginnen Sonntag den 23. d. mit der
ersten Gratisbeilage, einem doppelseitigen Kunstblatte
„Vor dem Strike
von Michael Munkacsy.
4
Lieutenant Gustl. 72.
Ein Wiener Schriftsteller hat vor einigen
Monaten eine novellistische Charakterstudie ver¬
öffentlicht. Mit großer psychologischer Kenntnif
schilderte er einen Tag aus dem Leben eines
jungen Menschen, der jeden sittlichen Halt verloren
hat. Solche Großstadtpflanzen gibt es viele, und
zwar in allen Ständen, also auch in dem Stande
dem Lieutenant Gustl angehörte. Von dem
Geiste des ehrenwerthen Korps besaß dieser
Lieutenant Gustl nichts als die Empfindung, daß
an der goldenen Quaste an seinem Säbel ein Ehrbegriff
troddelt, den er sich nicht entreißen lassen dürfe.
Sonst herrscht eine Verworrenheit, eine Begriffs¬
verwirrung und sittliche Verwilderung in seiner
Lebensauschauung, daß sogar sein Gottesglaube
zum Fetischthum eines Negers degenerirt ist. Lieu¬
tenant Gustl provozirt einen Streit mit einem hünen¬
haft gebauten, gutmüthigen Bäckermeister. Als der
box 1/9

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Freitag, den 21. Juni 1901.
51. Jehrgan
entnervte Knirps in Montur gegen den riesenstarken
Gestalten, wie der Lieutenant Gustl, kommen v
Handwerker den Säbel ziehen will, zerdrückt ihm
aber sie können sich auf die Dauer nicht behaupt
dieser die Rechte an der Säbelkoppel, überhäuft
Sie sind wie der Unkrautsame, den der Wind
ihn mit Hohn, ist aber zuletzt so gutmüthig, ihn
Blumenbeet wehte und der früher oder später
aus der Klemme zu lassen. Lieutenant Gustl irrt
fernt wird.
einen Tag und eine Nacht schlaflos umher. Wenn
Der Autor des „Lieutenant Gustl“, der an
der Bäckermeister die Geschichte in dem gemein¬
ohne Porte=épée eine Zierde des geistigen Wi
amen Stammcafé erzählt, ist die Lieutenantscharge
bleiben wird, ist unserem Offizierskorps nicht
um Teufel. Tags darauf erzählt dem geknickten
Entferntesten nahegetreten. Aber allerdings
ist
Gigerl in Montur der Marqueur, daß den starken
mit vollem Bewußtsein der brutalen
Vr
Bäckermeister der Schlag getroffen habe und daß
schrift des Paragraph 114 des Militär=Str
derselbe sofort todt gewesen sei. Lieutenant Gustl
gesetzes entgegengetreten, welcher jeden Offizi
jauchzt auf. „Das ist der Lohn dafür, daß ich
unter gewissen Verhältnissen zum Waffengebrau
gestern in der Kirchen g’wesen bin!“ In dieser
gegen Wehrlose bei sonstigem Verlust der Char
Erzählung erblickte nun ein Offiziersehrenrath eine
zwingt. Diese militärische Vorschrift steht im e
Herabwürdigung des österreichischen Offizierskorps,
chiedenen Gegensatz zu der bürgerlichen A
und da der Autor selbst Reserveoffizier und Re¬
fassung, die Denjenigen als Feigling bezeichnet,d
gimentsarzt ist, erklärte man ihn als unwürdig
mit der Waffe in der Faust gegen einen U
fernerhin die Offizierscharge zu bekleiden.
bewaffneten losgeht. Nicht der ritterlich=militäris
Dieses Urtheil wird nicht verfehlen, all¬
Geist im Offizierskorps ist an den peinlich
gemeines Aufsehen wachzurufen. Man wird es
Zusammenstößen schuld, welche in letzt
chwer begreifen, wie die Schilderung eines
Zeit immer öfter sich wiederholten, sondern led
charakterlosen Offiziers die Ehre des gesammten
lich jene unvernünftige Vorschrift des veraltet
Ofsizierskorps tangiren kann. Gewiß gibt es in
und verrosteten Militär=Strofnerfahrens, ein Uebe
jedem Stande Individuen, welche demselben nicht zur
leibsel nachmärzlicher Reaktionszeit, ein würdig
Zierde gereichen. Also auch unter den Offizieren. Die
Denkstein jener Kriegsminister, welche Königgr
leichtfertigen, frivolen Spielarten im Militärstande
verschuldet haben! Es ist eine verdienstvol
haben die Schriftsteller aller Nationen schon in ihren
That, die Schnitzler wirkte, als er dies
Werken geschildert. Man erinnere sich an Spiel¬
Stein ins Rollen brachte. erade ein
hagen, Maupassant, Zola und viele Andere. Aber
Halbidioten und „Armen im Ge': eine Offizier
als Armeetypus haben diese ihren jeweiligen
ausnahme wie Lieutenant Gustl, ußte der Kritik
traurigen Helden, mag er ein Wechselfälscher, ein
dieses unleidlich gewordenen Zustandes auf de
Falschspieler oder ein Feigling gewesen sein
Kampfplan stellen, damit Jebermann das Lächerlich
icherlich nicht aufgefaßt, und auch Arthur Schnitzler
der Vorschrift des Paragraph 114 erkenne.
hat es mit seinem „Lieutenant Gustl“ nicht anders
Lieutenant Gustl zittert vor den Folgen, wenn
gethan. Daß aber die Gestalt des Lieutenant
bekannt würde, daß er von der Waffe keinen G
Gustl Fleisch vom Fleische und Blut vom
brauch gemacht hat. Aber Tausende von gebildete
Blute der Wiener Großstadt ist, das ist allerdings
Offizieren, Zierden des Heeres, zittern gleichfall¬
unleugbar. Es ist eine lebenswahre Gestalt, die
wenn sie sich in einer halbwegs ähnlichen, abe
chon unter uns so Mancher mit freiem Auge
unverschuldeten peinlichen Situation befinder
vandeln sah in der Kärntnerstraße. Aber ein
gerade deshalb,
weil sie von der Waffe G
Fehler ist es, dieses Konterfei als einen dem
brauch machen
müssen. Darin liegt wol
Offiziersstande angethanen Schimpf aufzufassen
der Grund
für die Empfindlichkeit de