I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 171

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10. Leutnant Gust

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* Wien, 20. Juni. Der hiesige Ehrenrat der Landwehr¬
fficiere erklärte den bekannten Schriftsteller Arthur Schnitzler
er Officiercharge verlustig, weil er durch die Gestalt des
eutnants Gustl in einer Novelle den Officierstand verletzt habe.
Schnitzler, der sich durch seine geistvollen Theaterstücke einen Namen
emacht hat, ist Arzt und gehörte als Regimentsarzt der Reserve
em Sanitätsofficiercorps an, welches dem Ehrengericht unterstellt
1.
In der Novelle „Leutnant Gustl“, welche bei S. Fischer
7 Berlin erschienen ist, schildert er in sehr frischen Farben, wie
n junger Leutnant abends beim Ausgange aus einem Concert,
dem er sich arg gelangweilt hat, im Gedränge an der Garde¬
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obe mit einem Bäckermeister, den er vom Kaffeehause her ober¬
" ächlich kennt, in einen kleinen Streit geriet. Der handfeste Meister
„ rückt dem Leutnant die Finger so fest zusammen, daß dieser keine
zewegung nach seinem Degen machen kann und versetzt ihm dann
Aborinige Verbalinjurien. Von den Umstehenden hat niemand etwas
Abowerdöchtiges bemerkt: Die Leute glauben, der junge Officier und
er ältere Civilist hätten sich freundlich begrüßt, die Hand gedrückt
ind einige Mitteilungen gemacht. Leutnant Gustl aber geht ganz
Inherschmettert fort: Er ist beschimpft; er ist entehrt; er kann nicht
vlifficier bleiben; er muß sich totschießen. Die ganze Nacht irrt er
Vodreuz und quer herum, eine Beute peinvoller Grübeleien. Aber,
des
nd das ist sehr fein beobachtet, in diese ernsten quälenden Ge¬
anken mischen sich auch die tollsten Schnurren, die leichtfertigsten
Scherze. Entschlossen, sich zu töten, geht der Leutnant am frühen
Norgen seiner Wohnung zu. Ermüdet durch das stundenlange
mherlaufen, empfindet er Hunger und Durst, tritt in sein Kaffee¬
aus und bestellt Frühstück. Während der Kellner ihn bedient,
agt er: „Na, Herr Leutnant, Sie haben ja auch den Bäcker¬
eister hierneben gekannt?“ Leutnant Gustl erschrickt. Sollte der
hon was wissen? Aber der Kellner fährt fort: „Denken Sie
ch, der ist plötzlich gestorben! Heute Nacht kam er aus einem
oncert heim, stürzte auf der Treppe, vom Schlage getroffen, zu¬
mmen und starb, ohne noch ein Wort zu sprechen. Ja, ja, so
ht's.“ Leutnant Gustl atmet auf. Gerettet! Jetzt kann er
eiter leben, denn — es weiß ja niemand, daß er entehrt ist!
as alles ist unter sorgfältiger Wahrung des Wiener Milieus
it feinster psychologischer Analyse in zierlichster Filigran¬
beit geschildert. Der ehrengerichtliche Proceß wird für
is Buch eine Niesenreclame machen, aber die Arbeit
rdient auch um ihrer selbst willen beachtet zu werden.
aß durch die psychologische Analyse eines jungen Leutnants,
dessen Hirn wahre und falsche Ehrbegriffe durcheinanderwogen,
e Ehre des österreichischen Officierstandes verletzt sein sollte, wird
iemand einsehen. Aber Dr. Schnitzler hat auch eine gewisse Mit¬
huld an dem Urteil: Er weigerte sich, vor dem Ehrenrat zu er¬
scheissen, da er diesem in seiner Eigenschaft als Schriftsteller nicht
unterstehe. Wäre er erschienen und hätte seinen Kameraden Aus¬
kunft über seine Novelle und deren Tendenz erteilt, so hätte man
ihn sicherlich ungeschoren gelassen. Der Proceß lenkt übrigens
auch die allgemeine, nicht nur die literarische, Aufmerksamkeit auf
einen sast gleichzeitig erschienenen Roman desselben Verfassers:
„Frau Bertha Garlan“, der ebenfalls bei S. Fischer in Berlin
erschienen ist. Der Roman behandelt ein erotisches Problem mit
großer Feinheit und Wahrscheinlichkeit.
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Telefon 12801.
Alex. Weigl’s Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte
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Nr. 83
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I. österr. behördl. conc. Bureau für Zeitungsberichte u. Personalnachrichten
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Ausschnitt aus:
„ 216 140
„Leutnant Gustl.“
7—
Dr. Arthur Schnitzler, der Rs. Ussibe ul Haupj
serve war, ist, wie verlautet, von einem militarische
Ehrenrathe seiner Offizierscharge ver¬
lustig erklärt worden Als Gründe dieses
ehrenräthlichen Richterspruches wird angegeben, daß
Dr. Schnitzler durch seine kürzlich veröffentlichte novelli¬
stische Studie „Leutnant Gustl“ der Ehre des öster¬
reichischen Offizierskorps nahegetreten sei und daß er
weiters auf eine in heftigem und persönlichem Tone ge¬
schriebene Kritik dieser schriftstellerischen Arbeit — welche
Kritik in Enem Wiener Tagesblatt zu lesen war — nicht
reagirt habe. Obwohl wir gerade keine Veranlassung
Für
haben, dem Juden Arthur Schnitzler ein Wort zu reden
iclusive
10

Porto.
finden wir die Thatsache, daß er wegen seines „Leutnans
20

ahlbar
Gustl“ die Reserveoffizierscharge verlor, für überaus be¬
50

Voraus.
zeichnend. Denn diese Thatsache, durch welche wahrscheinlich
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festgestellt werden soll, daß der österreichische O siziersstand
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unantastbar und sakrosankt ist, kommt gerade recht,
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in Bozen die unglaubliche Flegelhaftigkeit einiger
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Offiziere große Volkskundgebungen hervorgerufen hat.
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ist nur gut, daß es diese Bozener Vorgänge bewei
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daß der „Leutnant Gustl“ keine unwahre Erfindung
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sondern daß es thatsächlich „Leutnants Gustl“ gibt. Der
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Schnitzler'sche „Leutnant Gustl“ ist bekanntlich ein über¬
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aus unwissender, ungebildeter, aber auch überaus auf¬
des In¬
werden in
geblasener Mensch, dem nach einem Konzerte von einem
Zivilisten in Folge einer Anrempelung „Sie, dummer
Junge“ zugerufen wird. „Leutnant Gustl“ will mit dem
Säbel auf den Zivilisten loshauen. Dieser aber um¬
klammert mit eiserner Faust die Hand des schneidigen
Leutnants und wiederholt noch einmal die bereits er¬
wähnte Bezeichnung. Auf das hin glaubt sich „Leutnant
Gustl“ erschießen zu müssen, thut dies aber nicht, weil
er am nächsten Morgen erfährt, daß jener Zivilist
außer dem und dem „Leutnant Gustl“ Niemand von der
ge¬
geschilderten Szene Kenntniß hat — in der „Nacht
storben ist und das Geheimniß, daß er „Leutnant Gustl“
einen dummen Jungen genannt, mit in's Grab ge¬
nommen hat.