I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 197

10. Leutnant Gust
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„„IIWIIIITT
deln! Oder, wenn Du ihn schon behandelst, muß
er
Gustl erzählt sich während des Konzerts eine Menge
als ein Ausbund von Tugend und Weisheit hin
aus seinem kleinen Leben, auch daß er sich am
gestellt werden! Der Dichter nimmt die Menschen
nächsten Tage mit einem Juristen um eines nichti¬
wie sie sind, wie sie sich ihm darstellen, wie er sie
gen Anlasses willen schlagen wird. Beim Ausgang
braucht. Dem militärischen Ehrengericht gefällt der
aus dem Konzert kommt es im Gedränge zwischen
Lieutenant Gustl nicht. Das begreift sich
Gustl und einem dicken Bäckermeister zu einem Ren¬
kommt da die Standesehre in Frage, und
contre. Man wird grob. Gustl will seine Offiziers¬
Konsequenzen müßte der Standpunkt des Ehren##.
pflicht erfüllen und den Säbel ziehen. Der Bäcker¬
führen?! Dann kann ja auch das Gremium
des
meister ist aber lesig stagh; mit eisernem Griff um¬
Kaufleute zu Gericht sitzen, weil ein betrügerischer
klammert er die Hand, vir den Säbelknauf hält,
aufmann geschildert worden ist, und der Verein der
flüstert dem Lieutenant „Dummer Bub!“ ins Ohr
Handelsangestellten wird ein Vehmgericht etabliren,
und schiebt ihn bei Seite. Die Geschichte hat weiter
weil in einem Roman ein Buchhalter mit der K
sse
ein Aufsehen gemacht, aber Gustl hält sich doch für
durchbrennt. Und die Advokaten, die Aerzte,
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erloren. Der Bäckermeister ist ihm entschwunden,
Universitätsprofessoren, die Künstler — sind nock
ohne daß er ihn für die Insulte niederschlagen
schuftige Exemplare aus ihren Berufen literarisch be¬
konnte. Er ist beschimpft, entehrt und nach seinen
handelt worden?! Und wenn Lieutenant Gustl ein
nilitärischen Ehrbegriff bleibt ih. nun nichts Anderes
Ausbund von Schlechtigkeit wäre, dürfte man kurzer
übrig, als sich zu erschießen. Nun wird die letzte
Hand für seine Thaten und Meinungen den Autor
Nacht eines zum Tode Verurtheilten geschildert. Gustl
perantwortlich machen?
läuft im Prater herum, und was ihm dabei durch
Ah, die Sache steht für den literarisch an¬
den Kopf geht, erzählt er. Er muß sich erschießen, es
gehauchten Ehrenrath so schlimm, daß sie gar nicht
gibt keinen anderen Ausweg. Wie es Tag wird,
schlimmer stehen könnte. Lieutenant Gustl ist nämlich
begibt er sich in ein Kaffeehaus. Er will erst
gar kein Ausbund von Schlechtigkeit, und der Autor
rühstücken, bevor er sich erschießt. Dort erzählt ihm
tritt auch in keiner einzigen Zeile hervor, um eine
der Marqueur, daß den gewissen Bäckermeister in
eigene Meinung auszusprechen. Letzteres erhellt schon
er Nacht der Schlag getroffen habe. Gustl jubelt.
aus der Art, wie die novellistische Studie komponirt
Niemand hat von seiner Schmach erfahren — er dar
ist. Sie besteht nämlich von dem ersten bis zun
weiterleben. Er freut sich nun riefig auf sein Duell
letzten Worte aus einem Monolog, den Lieutenant
nit dem Juristen und schwört, daß er ihn zu Krenn¬
Guste hält. Diese Kunstform verräth ein gewisset
leisch zerhacken werde. — Schluß.
Raffinement, und sie hat neben ihrem Vorzug des
Das ist das Gerippe der Handlung. Man sieht
einheitlichen Tones doch auch ihre bedenklichen und
daraus, daß Gustl — was ja dem militärischen
ermüdenden Schwächen. Die Geschichte beginnt da¬
Areopag als das Schrecklichste hätte erscheinen müssen
mit, daß Lieutenant Gustl sich selber vorerzählt:
wenigstens nicht feig ist. Denn er freut sich auf
Jetzt sitze ich im Konzert und langweile mich. Und
sein Duell. Was ihn drückte, war nur die vermeint¬
Alles, was noch folgt, was er noch erlebt, erzähl
liche Schmach, die er nicht fühnen konnte. In der
er sich selber. Es ist, als hätte der Dichter die
Handlung ist also nichts, was eine Kassirung cum
Gedankenarbeit eines nicht sonderlich bedeutenden
infamia gerechtfertigt erscheinen lassen könnte. Blieber
Gebirns während einiger Stunden photographirt.
also nur noch die Gedanken zu inkriminiren, die dem
lassen, daß er auf seine Wehrfähigkeit bedacht sei.
Er soll nicht auch noch eingreifen wollen in die
Gedankenwelt der Dichter und Denker. Eine mili¬
tärische Jury soll nicht darüber zu Gericht sitzen
dürsen, wie erlesene Geister zu dichten, zu musiziren
zu malen, zu bilden oder zu bauen haben. All¬
Poetenarbeit und alle künstlerische Thätigkeit muf
den Paragraphen seines Reglements entrückt bleiben
Der militärische Ehrenrath hat seine Kompetenzen
weit überschritten, als er sich zum Richter aufwar
ber eine Novelle, und als er um ihretwillen ihre
Urheber strafte. „Lientenant Gustl“ hat nun ein
historische Notorietät erlangt, und wenn er auch son
wielleicht nicht auf die Nachwelt gekommen wär
jetzt wird er es bestimmt, als ein Denkmal für di
Kampf um die geistige Freiheit, der noch gefüh
werden mußte bei Anbruch des XX. Jahrhunder
Das zweite Motiv der Abstrafung, daß
Dichter auf eine schmähende Kritik nicht „reagirt
kommt hier weniger in Betrucht. Denn das brir
wwenigstens keine neue Ueberraschung in die Wi
Der Dichter ist beschimpft worden, das ist richt
und das erforderte Strafe. Man sollte meinen, 1
der Strafe der verfallen müsse, der geschimpft,
anstatt literarisch Kritik zu üben, persönlich geschm
hat. In Wirklichkeit bestcaft wurde aber der Dich
der beschimpft worden ist. Er hätte sich schla
müssen. Der Ehrenrath fragt allerdings nicht,
geschimpft hat und wie das Individuum bescha
sei, das das Recht der Kritik zu einem Recht
Schmähung mißbraucht, ob denn wirklich ein M
von der Bedeutung Schnitzler's sich mit jedem
liebigen Rüpel und Raufbold einlassen solle. E¬
nicht „reagirt“ und nach dem bestehenden ritterli
Ehrenkodex ist er dadurch sachfällig jeworden.
Von unseren Standpunkt können allerdings
umhin, die Nichtbeachtung solcher Kritiken für
kommen korrekt und nur für durchaus vernür
finden.
armen Jungen in seiner Todesungst durch den Kop
chießen. Es mag ja einiges Reglementswidrige dar
unter sein, das ergibt sich aus der Situation, — wie
aber kommt Arthur Schnitzler dazu, dafür persönlich
verantwortlich gemacht zu werden?
Das Motiv, das den Dichter gereizt hat, liegt
ja klar zutage. Es galt einen psychologischen Konflikt
zu entwickeln, der zwar nicht mel neu, aber dock
interessant und wirkungssicher ist. Und wenn man
dem Dichter einen Vorwurf daraus machen wollte
daß er gerabe einen Lieutenant gewählt hat, um a
diesem einen ergreifenden seelischen Kampf zu exempli
ziren, so muß man sagen, daß er in diesem Falt#
doch kaum anders konnte. Es mußte eben ein
Offizier sein, um den Konflikt mit voller Schärfe in
die Erscheinung treten zu lassen und ihn überhaup
plausibel zu machen. Es ging gar nicht anders, und
sicherlich wäre ihm kein Haar gekrümmt worden,
wenn er zu seinem Helden einen — preußischen
Lieutenant gemacht hätte. Davor hat ihn aber sein
literarisches Gewissen bewahrt. Denn das Beste, das
einzig wirklich Gute und Künstlerische an der novel¬
istischen Studie ist die richtig sitzende, mit sou¬
veräner Sicherheit aufgetragene Lokalfarbe. Erst diese
macht das kleine Werk zu einem Kulturbilde von
ernster Bedeutung. Als Munkäcsy in den Avelsstand
rhoben wurde, da telegraphirte ihm Graf Beust, er be¬
glückwünsche zu seiner Nobilitirung — die Aristokratis.
Hier steht die Sache ein wenig anders, beinahe um¬
gekehrt. Arthur Schnitzler ist vor der Welt nicht de¬
gradirt worden, wohl aber haben sich Jene selber
geschadet.
Mit einer stillen Beileidsbezeigung an diesen
seltsamen Gerichtshof kann es aber hier nicht abge¬
han sein.. Vielmehr ist es Pflicht, die Stimme
einem lauten Protest zu erheben. Es sind sehr
ittliche und kulturelle Fragen, die hiebei ins Spiel
kommen. Der Militarismus zieht die besten Kräfte
des Volkes an sich, er muß es sich aber genstne