I, Erzählende Schriften 10, Lieutet Gustl. Novelle, Seite 202

10. Leutnant Gustl
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rZeitung
Ausschnitt aus:
vom 7
7
Kleine Chronik.
Die „Ehre“. Das Problem, das die verschiedenartige
Auffassung des Begriffes der „Ehre“ aufrollt, ist von Schopen¬
hauer bis auf Sudermann und Hartleben schriftstellerisch be¬
handelt worden und hat in jeder Form der Behandlung
das zeitgenössische Interesse in hohem Maße erregt. Und wiie
sich der Mißbrauch jenes Begriffs fortsetzt und fortwirkt, so
reißt auch die Diskussion darüber nicht ab. Zum letzten Mal
hat speziell zum Kapitel „Offiziersehre“ der auch in Deutsch¬
land außerordentlich geschätzte feinsinnige und geistvolle öster¬
reichische Schriftsteller Arthur Schnitzler das Wort er¬
griffen. Er schildert in einer Novelle „Leutnant Gustl“ wie
ein blutjunger leichtsinnig=oberflächlicher Leutnant plötzlich
dadurch, daß er von einem nicht=„satisfaktionsfähigen“ Men¬
schen eine Ohrfeige erhält, die er nicht auf der Stelle mit dem
Säbel rächen kann, „entehrt“ wird und diese „Entehrung“ mit
F
inclusive
dem Selbstmord büßt. Der echte Offizierskonflikt, die ganz
Porto.
zwanglose Fortführung der Auslegung des Offiziersehr¬
Zahlbar
begriffs, die, trotzdem sie auf die Cpitze getrieben scheint, wohl
Voraus
in
schon oft zur Wirklichkeit geworden ist. Wir wollen indessen
nicht darüber uns verbreiten, ob es richtig oder nicht vielmehr
te ist das
ein Wahnwitz ohnegleichen ist, daß durch eine rohe That, die
ieht es den
Ab ohnedies von der Gegenseite nicht verschuldet ist, ein Mensch
III.
Ab
„entehrt“ und daß die „Ehre“ nicht anders wieder herzustellen
sein soll, als mit Selbstvernichtung. Nein, wir wollen lediglich
haltend die
berichten, wie es dem Verfasser dieser interessanten Studie er¬
Morgen¬
In
gangen ist. Schnitzler ist Regimentsarzt der Reserve,
Zeirung“
steht
er
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also im Offiziersrang. Nach Bekanntwerden seiner Schöpfung
tliche Leben
wolsetzte sich der Ehrenrath seines Regiments zusammen, stellte
ittheilungen
de gfest, daß Dr. Schnitzler der Ehre des österreichischen Offizier¬
wLkorps zu nahe getreten sei, und erklärte ihn seiner Offiziers¬
charge für verlustig. Der ehrliche Schilderer bestehender
Zustände, der nur geschrieben hat was thatsächlich vorhanden
ist, nämlich den bestehenden Ehrbegriff und seine „korrekte
Handhabung, wird um der „Ehre“ willen gemaßregelt.
Ausschnitt aus:
napies Wie
1 301
vom
Oesterreich=Ungarn.
□ Wien, 22.Juni1901. Die österreichische Politik hat sich jetzt in
die Landtage zurückgezogen. Im niederösterreichischen, oberöster¬
reichischen und böhmischen wird die Lehrergehaltsfrage die Abgeord¬
neten beschäftigen, Besserungsanträge sind teilweise schon in Kom¬
missionsberatung; Steiermark und Böhmen befassen sich mit
Erweiterung des Landtagswahlrechtes. Im steierischen Landtag
ist ein solcher Antrag von der deutschvölkischen Mehrheit eingebracht
worden, derselbe vermehrt die Zahl der Landtagsmandate um zehn
und giebt davon eine Virilstimme dem Rektor der technischen Hoch¬
schule in Graz, zwei den Städten und sieben den Arbeitern und kleinen
Steuerzahlern unter 8 Kronen. Daß über diese „Arbeiterfreundlichkeit
die Socialdemokraten höhnen, ist natürlich. Im niederöster¬
reichischen Landtag paradieren soeben der deutschvölkische Abg. inelusive
Kolisko und Genossen mit dem Antrage, die erst kürlich an den Mittel¬
Porto.
schulen eingeführten, d. h. angeratenen, österlichen Exercitien
Zahlbar
abzuschaffen, mit der Begründung, daß dieselben rein äußerliche Reli¬
Voraus
gionsbethätigungen und formelle Bußübungen darstellen, also gar
keinen erziehlichen Wert haben, daß man dadurch den Schülern die e ist das
Erholungstage nehme und die ganze Einrichtung nur zur Erhöhung ht es den
des klerikalen Einflusses auf die Mittelschule dienen solle. Natürlich n.
hat der Antragsteller keine Ahnung, was Exercitien sind; es fehlte nur
im Antrag die Drohung, daß, wenn dersellbe nicht angenommen wird
altend die
die Unterzeichner desselben „abfallen“ und „übertreten“ werden.
So
Lorgen¬
hat es ja der Linzer Reichsratsabgeordnete Böheim gemacht.
In
Zeitung“)
oberösterreischen Landtage drohen die Deutschnationalen
che Leben
Obstruktion, wenn die Landtagsmehrheit auf der vom Landesausschusse
stheilungen
ausgearbeiteten, ihnen zu „klerikal“ denkenden Lehrergesetzvorlage be¬
bestehen solle; dieselbe bietet den Lehrern beträchtliche matertelle Vor¬
teile.
— Die Verhandlungen über innerpolitische Fragen ruhen bis
zum September. Dann erst wird der Ministerpräsident sich mit den
Parteien in Verbindung setzen, um die in der Herbstsession zur Er¬
örterung gelangenden Vorlagen vorzubereiten. Die wichtigsten sind
der Staatsvorauschlag und das Quotengesetz. Hierbei ist die Regierung
vor allem auf die Tschechen angewiesen. Deren Stellung ist aber
jetzt garnicht zu bestimmen, da sie wesentlich von der neum Gestal¬
tung des böhmischen Landtages abhängen wird, wie sie sich aus
den bevorstehenden Neuwahlen ergeben wird. Vor seiner Auf¬
lösung wird derselbe noch die Abänderung der Wahlordnung in der
Großgrundbesitzerkurie votieren; denn die Neuwahlen sollen schon
nach dem für den Reichsrat geltenden Wahlsystem durchgeführt wer¬
den. Dadurch erhielten die verfassungstreuen Großgrundbesitzer
21 Mandate, aber auf der anderen Seite würde dadurch der Majori¬
fierung des konservativen Elementes im böhmischen Großgrundbesitze
durch die Deutschliberalen endgültig vorgebeugt werden. Bei diesen Wah¬
len hoffen die Alldeutschen 25 Mann durchzubringen, und jetzt schon be¬
nennen sie ihre Kaudidaten. — Das Militär steht wiede einmal
im Vordergrund. Mehrere Gewaltthätigkeiten von Offizieren und
Mannschaften erregen die öffentliche Meinung. In Bozen hat ein
Offizier — es handelt sich um die Urheberschaft eines offizierfeind¬
lichen Zeitungsartikels — einen stäotischen Beamten schwer mit dem
Sabel verwundet; anderswo haben Husaren eine schreckliche Ausschrei¬
tung gegen eine verheiratete Frau begangen. Auch Berichte über
Rohheiten trunkener Offiziere durchliefen die Blätter. Vor allem
aber beschäftigt jetzt die Presse die Degradierung des bekannten Litte¬
raten Arthur Schnitzler, dessen echt „moderne" Novellen und
„dramatische" Leistungen auch im Deutschen Reiche bekannt sind,
weil er in inem Feuilleton der N. Fr. Pr. den Offiziersstand be¬
leidigt haben sollte unt auf die Kritik eines militärischen Blattes
nicht reagiert hatte. Er wurde deshalb seiner Offizierscharge (er ist
Militärarzt in Reserve) für verlustig erklärt, nachdem er sich unter
Wahrung seines litterarischen Rechtes dem Offiziersehrenrat nicht ge¬

stellt hatte. Die liberale Presse tritt entschieden für Schnitzler ein
derselbe ist Jnde und Mitglied der Konkordia —; aber es muß auch
gesagt werden, wenn Schnitzler gegen den falschen militärischen Ehren¬
begriff vorgeht, welche zum Duell und eventuell sogar zum Selbst¬
mord zwingt, so ist das sein gutes Recht; eine Beleidigung des Offi¬
ziersstandes kann nur darin gefunden werden, daß er seinen „Leutnant
Geill“ mit schlechten Eigenschaften ausstattete, die der Leser leicht als
dem Offiziersstande allgemein eigentümlich ansehen kann, während
Schnitzter noch wirksamer seiner Tendenz gerecht werden konnte, indem
er die Konsequenzen des falschen militarischen Ehrbegriffes an einem
sonst ehrenhaften Offizier zur Anschanung brachte. Schnitzler hatte
sich da aber auf ein für ihn als Inden doppelt heikeles Gebiet be¬
geben; denn der jüdische Offizier genießt in Oesterreich weit mehr
Duldung als in Preußen und Deutschland überhaupt. Im übrigen
hätte die liberale Presse weit größere Entrüstung entwickeln können
gegenüber der Degradierung des Marquis Tacolt und des Haupt¬
manner Grafen Ledochowski, welche dieselbe nur ihrer pflichtmäßigen
Stellungnahme zum Duell verdankten. Die Offiziere, die so empfind¬
lich sind gegen die litterarische und kritische Beleuchtung so manchen
Zustände im Offiziereorps, sollten doch ebenso empfindlich sein gegen
die Zustände selbst und für eine Reform derselben eintreten.