9. Der blinde Geronimo und sei
Bruder
box 1/7
SI
Leitung:
Zeits
—
Bresis:
Sstn
——
71
6. Juni 1915
SERLINEN TAGBLAT7
Ausschnitt aus:
Arthur Schnitzler, „Der blinde Geronimo und sein
31.M0Al 1975
vom:
Bruder“. (S. Fischer Verlag, Berlin.) — Mit diesem Büchleir
hat der Wiener Dichter seine Kunst in hochherziger Weise in der
Dienst der Kriegsfürsorge gestellt: Das gesamte Erträgwis ist dei
in Felde. Erl
ndeten der deutschen und der österreichisch=unga
Die Poesie der Blindheit.
dieser äußeren Bestimmung har
F. E. Arthur Schnitzlerder mitleidige Anatom mensch¬
des Buches, mit dem der Dichte
licher Seelen, hat eine Nobelle geschrieben „Der blinde Gero¬
be gibt, die nicht materieller Ar
nimo“, die jetzt im Verlag S. Fischer, Berlin, neu erschienen ist, und
3 Mitfühlen an ihre Seelen richtet
der man schon deshalb viele Freunde wünschen will, weil der Ertrag
diese kleine Geschichte eine leise
des Buches den Kriegsblinden der deutschen und der
an die Armen, die ihr Gebrecher
österreichisch= ungarischen Armee zugedacht ist.
5 Verbitterung zeugend
Ab
Diese kleine Geschichte, herb im Geschehen, holdselig im Gefühl, ist
früher Kindheit hat Geron
durd
wie ein Frühlingstag, den ein rasches Gewitter kreuzt, und sie findet
ren Bruders Carlo
zen
uns innig empfangsbereit, weil das körperliche Elend von vielen
lrheber des Unglücks
Tausenden vor unserem Auge ist. Was Schnitzler hier dichterisch ver¬
iche Verzweiflung bege
urd
klärt, ist jene bei Blinden oft bemerkte Eigenschaft des Mißtrauens;
ern durch ein Leben, das ganz den
sein Handwerk, und damit jede Aus
sie ist eine Verdunkelung des Gemüts, die der Verdunkelung des Siunes
und begleitet den Blinden, der mi
folgt. Der blinde Geronimo ist als Kind von seinem Bruder Carlo
ttelpfennige erwirbt, auf seinen ruhe
durch einen unglücklichen Bolzenschuß ins Auge getrossen worden.
eckt eines Tages dev leichtfertig
Nun wandenn die beiden schon lange Jahre über die Paßstraße des
n Geronimo den schlummernden Arg¬
Stilsser Jochs, der eine als Sänger, der andere als Geldsammler, und
Sche
trüge; und der Verdächtigte leidet bitter
wohn,
werben um das Mitleid der reisenden Herrschaften. Geronimo, durch
Mißtrauen, unter dem Verlust der
unter de
einen dieser Spender aufgestachelt, glaubt, daß Carlo ein Goldstück
die zum unentbehrlichen Inhalt seines Lebens
brüderlichen L
für sich behalten habe. Carlo wird in dem unerträglichen Verdacht
des Blinden Zweifel in seine Ehrlichkeit zu be¬
Um
geworden
des Diebstahls nun wirklich zum Diebe. Er stiehlt ein Goldstück, um
schwichtigen, wird er in Wahrheit schuldig, begeht er an einen
es dem Bruder gu zu können. Sie werden verhaftet. Da reißt sich
Fremden einen Diebstaßt. Aber schneller, als er gefürchtet, folg
aus Geronimosen der Stachel los Neben dem Mißtrauen hat
die Entdeckung, erreicht ihn der Arm der vergeltenden Gerechtig¬
der blinde Mann auch die Gabe des ###ehens, die ein guter Gott den
keit. Und nun — da er selbst dem Argwohn gegen ihn die
ums Licht Betrogenen gewährt. Er ahni die Zusammenhänge und weiß
stärkste Waffe in die Hand gedrückt, da er völlig daran verzweifeln
jetzt, was Brudertreue zu tun imstande ist. Die knappe Tragik schließt
muß, Glauben zu finden — geschieht das Unerwartete: Der
wie mit einem süßen Gedicht auf die brüderliche Liebe.
Blinde läßt plötzlich die Gitarre fallen, erhebt die Arme, tastet mit
Darum wirkt Schnitzlers Novelle nun auch gleich einem Gesang zu
beiden Händen nach den Wangen des Bruders, nähert die Lippen
Ehren der allgemeinen Bruderpflicht, die an den Blinden
dem Munde Carlos und küßt ihn. Ohne Erklärung hat Gero
dieses Krieges zu erfüllen ist. Mit einem neuen geheimen
nimo plötzlich erkannt, was der Bruder für ihn und seinetwegen
Inhalt, den die wilde Zeit ihr gegeben, ruft sie alle Opfer¬
getan, und Carlo sieht in dem beglückenden Bewußtsein, das Ver¬
lust auf. Auch die dem Buch beigegebene Radierung von
trauen und die Liebe des Brudens wiedergewonnen zu haben
Ferdinand Schmutzer. an Feinheit dem Werk des Dichters
dem Kommenden mit Seelenruhe entgegen. Das alles ist mir
ebenbürtig, hat diesen Nebensinn. Sie zeigt den blinden Geronimo neben
einer schlichten, jede Aufdringlichkeit, jedes Pathos vermeidenden
seinem Bruder im dunkeln Torbogen als Straßensänger. Unsare Kriges¬
aber zu Herzen gehenden Innerlichkeit erzählt. Eine Original¬
blinden vor diesem Bettlerschicksal zu bewahren, ist, wie fnanz#beiß
radierung von Ferdinand Schmutzer ist als ein anziehender
eine Aufgabe, die gelöst werden muß.
künstlerischen Schmuck dem Büchlein beigegeben, das nur 1,50 Mk
bezw. 2 Kronen kostet, aber auch in einer numerierten, vom Antor
und vom Zeichner signierten Vorzugsausgabe zum Preise von
Wa.
4 Mark (5,Kronen) zu haben ist.
Bruder
box 1/7
SI
Leitung:
Zeits
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Bresis:
Sstn
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6. Juni 1915
SERLINEN TAGBLAT7
Ausschnitt aus:
Arthur Schnitzler, „Der blinde Geronimo und sein
31.M0Al 1975
vom:
Bruder“. (S. Fischer Verlag, Berlin.) — Mit diesem Büchleir
hat der Wiener Dichter seine Kunst in hochherziger Weise in der
Dienst der Kriegsfürsorge gestellt: Das gesamte Erträgwis ist dei
in Felde. Erl
ndeten der deutschen und der österreichisch=unga
Die Poesie der Blindheit.
dieser äußeren Bestimmung har
F. E. Arthur Schnitzlerder mitleidige Anatom mensch¬
des Buches, mit dem der Dichte
licher Seelen, hat eine Nobelle geschrieben „Der blinde Gero¬
be gibt, die nicht materieller Ar
nimo“, die jetzt im Verlag S. Fischer, Berlin, neu erschienen ist, und
3 Mitfühlen an ihre Seelen richtet
der man schon deshalb viele Freunde wünschen will, weil der Ertrag
diese kleine Geschichte eine leise
des Buches den Kriegsblinden der deutschen und der
an die Armen, die ihr Gebrecher
österreichisch= ungarischen Armee zugedacht ist.
5 Verbitterung zeugend
Ab
Diese kleine Geschichte, herb im Geschehen, holdselig im Gefühl, ist
früher Kindheit hat Geron
durd
wie ein Frühlingstag, den ein rasches Gewitter kreuzt, und sie findet
ren Bruders Carlo
zen
uns innig empfangsbereit, weil das körperliche Elend von vielen
lrheber des Unglücks
Tausenden vor unserem Auge ist. Was Schnitzler hier dichterisch ver¬
iche Verzweiflung bege
urd
klärt, ist jene bei Blinden oft bemerkte Eigenschaft des Mißtrauens;
ern durch ein Leben, das ganz den
sein Handwerk, und damit jede Aus
sie ist eine Verdunkelung des Gemüts, die der Verdunkelung des Siunes
und begleitet den Blinden, der mi
folgt. Der blinde Geronimo ist als Kind von seinem Bruder Carlo
ttelpfennige erwirbt, auf seinen ruhe
durch einen unglücklichen Bolzenschuß ins Auge getrossen worden.
eckt eines Tages dev leichtfertig
Nun wandenn die beiden schon lange Jahre über die Paßstraße des
n Geronimo den schlummernden Arg¬
Stilsser Jochs, der eine als Sänger, der andere als Geldsammler, und
Sche
trüge; und der Verdächtigte leidet bitter
wohn,
werben um das Mitleid der reisenden Herrschaften. Geronimo, durch
Mißtrauen, unter dem Verlust der
unter de
einen dieser Spender aufgestachelt, glaubt, daß Carlo ein Goldstück
die zum unentbehrlichen Inhalt seines Lebens
brüderlichen L
für sich behalten habe. Carlo wird in dem unerträglichen Verdacht
des Blinden Zweifel in seine Ehrlichkeit zu be¬
Um
geworden
des Diebstahls nun wirklich zum Diebe. Er stiehlt ein Goldstück, um
schwichtigen, wird er in Wahrheit schuldig, begeht er an einen
es dem Bruder gu zu können. Sie werden verhaftet. Da reißt sich
Fremden einen Diebstaßt. Aber schneller, als er gefürchtet, folg
aus Geronimosen der Stachel los Neben dem Mißtrauen hat
die Entdeckung, erreicht ihn der Arm der vergeltenden Gerechtig¬
der blinde Mann auch die Gabe des ###ehens, die ein guter Gott den
keit. Und nun — da er selbst dem Argwohn gegen ihn die
ums Licht Betrogenen gewährt. Er ahni die Zusammenhänge und weiß
stärkste Waffe in die Hand gedrückt, da er völlig daran verzweifeln
jetzt, was Brudertreue zu tun imstande ist. Die knappe Tragik schließt
muß, Glauben zu finden — geschieht das Unerwartete: Der
wie mit einem süßen Gedicht auf die brüderliche Liebe.
Blinde läßt plötzlich die Gitarre fallen, erhebt die Arme, tastet mit
Darum wirkt Schnitzlers Novelle nun auch gleich einem Gesang zu
beiden Händen nach den Wangen des Bruders, nähert die Lippen
Ehren der allgemeinen Bruderpflicht, die an den Blinden
dem Munde Carlos und küßt ihn. Ohne Erklärung hat Gero
dieses Krieges zu erfüllen ist. Mit einem neuen geheimen
nimo plötzlich erkannt, was der Bruder für ihn und seinetwegen
Inhalt, den die wilde Zeit ihr gegeben, ruft sie alle Opfer¬
getan, und Carlo sieht in dem beglückenden Bewußtsein, das Ver¬
lust auf. Auch die dem Buch beigegebene Radierung von
trauen und die Liebe des Brudens wiedergewonnen zu haben
Ferdinand Schmutzer. an Feinheit dem Werk des Dichters
dem Kommenden mit Seelenruhe entgegen. Das alles ist mir
ebenbürtig, hat diesen Nebensinn. Sie zeigt den blinden Geronimo neben
einer schlichten, jede Aufdringlichkeit, jedes Pathos vermeidenden
seinem Bruder im dunkeln Torbogen als Straßensänger. Unsare Kriges¬
aber zu Herzen gehenden Innerlichkeit erzählt. Eine Original¬
blinden vor diesem Bettlerschicksal zu bewahren, ist, wie fnanz#beiß
radierung von Ferdinand Schmutzer ist als ein anziehender
eine Aufgabe, die gelöst werden muß.
künstlerischen Schmuck dem Büchlein beigegeben, das nur 1,50 Mk
bezw. 2 Kronen kostet, aber auch in einer numerierten, vom Antor
und vom Zeichner signierten Vorzugsausgabe zum Preise von
Wa.
4 Mark (5,Kronen) zu haben ist.