„Die Welt=Literatur“ 1917 Nr. 19 Arthur Schufpler: Der bllnde 6eronlmo und sein brucker Der Chrentag
seinen Rock. „Gut genug, warm genug; jetzt
Dämmerung auf die Straße hinaus. Er trat
der fort! ... Und doch, vielleicht braucht es nur
kommen wir nach dem Süden.“
zum Wirt hin und sagte: „Wir wollen Abschied
einen guten Griff und es ist geglückt ... Und er
Carlo begriff nicht, daß Geronimo sich gar
nehmen.“
nähert sich dem Bett neben der Tür; hier auf dem
nicht zu freuen schien, daß er sich nicht entschul¬
Sessel liegt etwas
— er fühlt danach — es ist
„Ah, geht ihr schon heut?“ fragte der Wirt.
digte. Und er redete weiter: „Geronimo, war es
ein Revolver ... Carlo zuckt zusammen ... Ob
„Ja. Es friert schon zu arg, wenn man jetzt
denn nicht recht von mir? Warum freust du dich
er ihn nicht lieber gleich behalten sollte? Denn
im Hof steht, und der Wind zieht durch.“
denn nicht? Nun haben wir es doch, nicht wahr?
warum hat dieser Mensch den Revolver bereit¬
„Nun, grüß mir den Baldetti, wenn du nach
Nun haben wir es ganz. Wenn ich dir's oben
liegen? Wenn er erwacht und ihn bemerkt
Bormio hinunterkommst, und er soll nicht ver¬
gesagt hätte, wer weiß . .. Oh, es ist gut, daß
Doch nein er würde ja sagen: Es ist drei Uhr,
ich dir's nicht gesagt habe — gewiß!
gessen, mir das Oel zu schicken.“
gnädiger Herr, aufstehn! . .. Und er läßt den Re¬
Da schrie Geronimo: „Hör' auf zu lügen,
volver liegen.
„Ja, ich will ihn grüßen. Im übrigen — das
Carlo, ich habe genug davon!“
Nachtlager von heut.“ Er griff in den Sack.
Und er schleicht tiefer ins Zimmer. Hier auf
Carlo blieb stehen und ließ den Arm des
dem andern Sessel unter den Wäschestücken
* * „
„Laß sein, Carlo,“ sagte der Wirt.
„Die
Bruders los. „Ich lüge nicht.“
er
Himmel! das ist sie ... das ist eine Börse
zwanzig Zentesimi schenk ich deinem Bruder;
Immer
„Ich weiß doch, daß du lügst!
hört
hält sie in der Hand! ... In diesem Moment
ich hab' ihm ja auch zugehört. Guten Morgen.
lügst du! ... Schon hundertmal hast du ge¬
Be¬
er ein leises Krachen. Mit einer raschen
Dank,“ sagte Carlo. „Im übrigen, so eilig
Auch das hast du für dich behalten
logen!...
wegung streckt er sich der Länge nach zu Füßen
haben wir's nicht. Wir sehen dich noch, wenn
wollen, aber Angst hast du bekommen, das
des Bettes hin... Noch einmal dieses Krachen
du von den Hütten zurückkommst; Bormio bleibt
—
ein schweres Aufatmen — ein Räuspern
dann
am selben Fleck stehen, nicht wahr?" Er lachte
Carlo senkte den Kopf und antwortete nichts.
wieder Stille, tiefe Stille. Carlo bleibt auf dem
und ging die Holzstufen hinauf.
Er faßte wieder den Arm des Blinden und ging
Boden liegen, die Börse in der Hand, und wartet.
mit ihm weiter. Es tat ihm weh, daß Geronimo
Es rührt sich nichts mehr. Schon fällt der Däm¬
so sprach; aber er war eigentlich erstaunt, daß er
mer blaß ins Zimmer herein. Carlo wagt nicht
nicht trauriger war.
aufzustehen, sondern kriecht auf dem Boden vor¬
wärts bis zur Tür, die weit genug offen steht,
Die Nebel zerteilten sich. Nach langem Schwei¬
um ihn durchzulassen, kriecht weiter bis auf den
gen sprach Geronimo: „Es wird warm.“
Gang hinaus, und hier erst erhebt er sich lang¬
Unverlangte
es
sagte es gleichgültig, selbstverständlich, wie er
sam, mit einem tiefen Atemzug. Er öffnet die
schon hundertmal gesagt, und Carlo fühlte
Manuskripte
Börse; sie ist dreifach geteilt: links und rechts
diesem Augenblick: für Geronimo hatte
sich
nur kleine Silberstücke. Nun öffnet Carlo den
nichts geändert. Für Geronimo war er immer
werden nur zurückgesandt, wenn Rück¬
mittleren Teil, der durch einen Schieber noch¬
ein Dieb gewesen.
porto belgefügt ist. Wir bitten vorerst von
mals verschlossen ist, und fühlt drei Zwanzig¬
„Hast du schon Hunger?“ fragte er.
allen Einsendungen absehen zu wollen.
frankenstücke. Einen Augenblick denkt er daran,
Geronimo nickte, zugleich nahm er ein Stück
zwei davon zu nehmen, aber rasch weist er diese
Verlag: „Die Welt=Literatur“
Käse und Brot aus der Rocktasche und aß davon.
Versuchung von sich, nimmt nur ein Goldstück
München 1.
Und sie gingen weiter.
heraus und schließt die Börse zu. Dann kniet er
Die Post von Bormio begegnete ihnen; der
nieder, blickt durch die Spalte in die Kammer, in
Kutscher rief sie an: „Schon hinunter?“
der es wieder völlig still ist, und dann gibt er der
kamen noch andere Wagen, die alle aufwärts
Börse einen Stoß, so daß sie bis unter das zweite
fuhren.
Bett gleitet. Wenn der Fremde aufwacht, wird
„Luft aus dem Tal,“ sagte Geronimo und im
er glauben müssen, daß sie vom Sessel herunte
gleichen Augenblick, nach einer raschen Wendung,
und sagte:
Geronimo stand mitten
Da
gefallen ist. Carlo erhebt sich langsam
lag das Veltlin zu ihren Füßen.
Nun, ich bin bereit zu gehen
knarrt der Boden leise, und im gleichen Augen¬
Wahrhaftig — nichts hat sich geändert, dachte
blick hört er eine Stimme von drinnen: „Was
„Gleich,“ sagte Carlo.
Carlo
Nun hab' ich gar für ihn gestohlen
** *
ist's? Was gibt's denn?" Carlo macht rasch
Aus einer alten Kommode, die in ein
und auch das ist umsonst gewesen.
zwei Schritte rückwärts, mit verhaltenem Atem,
wenigen
Winkel des Raumes stand nahm er ihre
und gleitet in seine eigene Kammer. Er ist in
die Nebel unter ihnen wurden immer dünner,
Habseligkeiten und packte sie in ein Bündel
Sicherheit und lauscht... Noch einmal kracht drü¬
Und
Glanz der Sonne riß Löcher hinein.
Dann sagte er: „Ein schöner Tag, aber sehr
ben das Bett, und dann ist alles still. Zwischen
Carlo dachte: Vielleicht war es doch nicht
klug.
kalt.“
seinen Fingern hält er das Goldstück. Es ist ge¬
so rasch das Wirtshaus zu verlassen
Die
„Ich weiß,“ sagte Geronimode verließen
lungen — gelungen! Er hat die zwanzig Fran¬
Börse liegt unter dem Bett, das ist jedenfalls
die Kammer.
ken, und er kann seinem Bruder sagen: „Siehst
das
verdächtig ... Aber wie gleichgültig war
„Geh leise, sagte Carlo, hier fhlafen die
du nun daß ich kein Dieb bin!“ Und sie werden
alles! Was konnte ihm noch Schlimmes
ge¬
zwei, die gestern Abend gekommen sind.“ Behut¬
sich noch heute auf die Wanderschaft machen
schehen? Sein Bruder, dem er das Licht
sam schritten sie hinunter. „Der Wirt läßt dich
gegen den Süden zu, nach Bormio, dann wei¬
Augen zerstört, glaubte sich von ihm bestohlen
grüßen,“ sagte Carlo; „er hat uns die zwanzig
und glaubte es schon jahrelang und wird
Zentesimi für heut Nacht geschenkt. Nun ist er
Edole ... nach Breno ... an den See von Iseo
immer glauben — was konnte ihm noch Schlim¬
bei den Hütten draußen und kommt erst in zwei
wie voriges Jahr ... Das wird durchaus nicht
mes geschehen?
Stunden wieder. Wir werden ihn ja im nächsten
verdächtig sein, denn schon vorgestern hat er selbst
Da unter ihnen lag das große weiße Hotel
Jahre wiedersehen.“
zum Wirt gesagt: „In ein paar Tagen gehen wir
wie in Morgenglanz gebadet, und tiefer unten,
Geronimo antwortete nicht. Sie traten auf
hinunter.“
wo das Tal sich zu weiten beginnt, lang hinge¬
die Landstraße, die im Dämmerschein vor ihnen
streckt, das Dorf. Schweigend gingen die beiden
Immer lichter wird es das ganze Zimmer
lag. Carlo ergriff den linken Arm seines Bruders,
weiter, und immer lag Carlos Hand auf dem
liegt in grauem Dämmer da. Ah, wenn Gero¬
und beide schritten schweigend talabwärts. Schon
Arm des Blinden. Sie gingen an dem
Park
so
nimo nur bald aufwachte! Es wandert sich
nach kurzer Wanderung waren sie an der Stelle,
Ter¬
des Hotels vorüber, und Carlo sah auf der
gut in der Frühe! Noch vor Sonnenaufgang
wo die Straße in langgezogenen Kehren weiter¬
rasse Gäste in lichten Sommergewändern
sitzen
werden sie fortgehen. Einen guten Morgen
zulaufen beginnt. Nebel stiegen nach aufwärts,
und frühstücken. „Wo willst du rasten?
fragte
dem Wirt, dem Knecht und Maria auch, und
ihnen entgegen, und über ihnen die Höhen
Carlo.
Und erst wenn sie zwei
dann fort, fort
** *
schienen von den Wolken wie eingeschlungen.
Stunden weit sind, schon nahe dem Tale, wird
„Nun, im „Adler“ wie immer.“
Und Carlo dachte: Nun will ich's ihm sagen.
er es Geronimo sagen.
Als sie bei dem kleinen Wirtshause am Ende
Carlo sprach aber kein Wort, sondern nahm
des Dorfes angelangt waren, kehrten sie ein. Sie
Geronimo reckt und dehnt sich. Carlo ruft
das Goldstück aus der Tasche und reichte es dem
setzten sich in die Schenke und ließen sich Wein
ihn an: „Geronimo!“
Bruder; dieser nahm es zwischen die Finger der
geben.
„Nun, was gibt's?“ Und er stützt sich mit
rechten Hand, dann führte er es an die Wange
„Was macht ihr so früh bei uns?“ fragte der
beiden Händen und setzt sich auf.
und an die Stirn, endlich nickte er. „Ich hab's
Wirt.
„Geronimo, wir wollen aufstehen.“
ja gewußt,“ sagte er.
Carlo erschrak ein wenig bei dieser Frage.
„Warum?“ Und er richtet die toten Augen
„Ist's denn so früh? Der zehnte oder elfte Sep¬
„Nun ja,“ erwiderte Carlo und sah Geronimo
auf den Bruder. Carlo weiß, daß Geronimo
tember — nicht?“
befremdet an.
sich jetzt des gestrigen Vorfalls besinnt, aber er
„Im vergangenen Jahr war es gewiß viel
„Auch wenn der Fremde mir nichts gesagt
weiß auch, daß der keine Silbe darüber reden
spater, als ihr herunterkamt.“
hätte, ich hätte es doch gewußt.“
wird, ehe er wieder betrunken ist.
„Es ist so kalt oben,“ sagte Carlo. „Heut
Nacht haben wir gefroren. Ja richtig, ich soll
„Nun ja,“ sagte Carlo ratlos. „Aber du ver¬
„Es ist kalt, Geronimo wir wollen fort. Es
dir bestellen, du mochtest nicht vergessen, das Oel
stehst doch warum ich da oben vor den anderen
wird heuer nicht mehr besser; ich denke. wir
ich habe gefürchtet, daß du das Ganze auf
hinaufzuschicken.“
gehen. Zu Mittag können wir in Boladore
—.—
Und sieh, Geronimo, es wäre doch
einmal
Die Luft in der Schenke war dumpf und
sein.“
an der Zeit, hab' ich mir gedacht, daß du dir
schwül. Eine sonderbare Unruhe befiel Carlo;
Geronimo erhob sich. Die Geräusche des er¬
einen neuen Rock kaufst und ein Hemd und
er wollte gern wieder im Freien sein auf der
wachenden Hauses wurden vernehmbar. Unten
Schuhe auch, glaube ich; darum habe ich
großen Straße, die nach Tirano, nach Edole. nach
im Hof sprach der Wirt mit dem Knecht. Carlo
dem See von Iseo, überallhin, in die Ferne
Der Blinde schüttelte heftig den Kopf. „Wo¬
stand auf und begab sich hinunter. Er war
führt! Plötzlich stand er auf.
zu?“ Und er strich mit der einen Hand über
immer früh wach und' ging oft schon in der
seinen Rock. „Gut genug, warm genug; jetzt
Dämmerung auf die Straße hinaus. Er trat
der fort! ... Und doch, vielleicht braucht es nur
kommen wir nach dem Süden.“
zum Wirt hin und sagte: „Wir wollen Abschied
einen guten Griff und es ist geglückt ... Und er
Carlo begriff nicht, daß Geronimo sich gar
nehmen.“
nähert sich dem Bett neben der Tür; hier auf dem
nicht zu freuen schien, daß er sich nicht entschul¬
Sessel liegt etwas
— er fühlt danach — es ist
„Ah, geht ihr schon heut?“ fragte der Wirt.
digte. Und er redete weiter: „Geronimo, war es
ein Revolver ... Carlo zuckt zusammen ... Ob
„Ja. Es friert schon zu arg, wenn man jetzt
denn nicht recht von mir? Warum freust du dich
er ihn nicht lieber gleich behalten sollte? Denn
im Hof steht, und der Wind zieht durch.“
denn nicht? Nun haben wir es doch, nicht wahr?
warum hat dieser Mensch den Revolver bereit¬
„Nun, grüß mir den Baldetti, wenn du nach
Nun haben wir es ganz. Wenn ich dir's oben
liegen? Wenn er erwacht und ihn bemerkt
Bormio hinunterkommst, und er soll nicht ver¬
gesagt hätte, wer weiß . .. Oh, es ist gut, daß
Doch nein er würde ja sagen: Es ist drei Uhr,
ich dir's nicht gesagt habe — gewiß!
gessen, mir das Oel zu schicken.“
gnädiger Herr, aufstehn! . .. Und er läßt den Re¬
Da schrie Geronimo: „Hör' auf zu lügen,
volver liegen.
„Ja, ich will ihn grüßen. Im übrigen — das
Carlo, ich habe genug davon!“
Nachtlager von heut.“ Er griff in den Sack.
Und er schleicht tiefer ins Zimmer. Hier auf
Carlo blieb stehen und ließ den Arm des
dem andern Sessel unter den Wäschestücken
* * „
„Laß sein, Carlo,“ sagte der Wirt.
„Die
Bruders los. „Ich lüge nicht.“
er
Himmel! das ist sie ... das ist eine Börse
zwanzig Zentesimi schenk ich deinem Bruder;
Immer
„Ich weiß doch, daß du lügst!
hört
hält sie in der Hand! ... In diesem Moment
ich hab' ihm ja auch zugehört. Guten Morgen.
lügst du! ... Schon hundertmal hast du ge¬
Be¬
er ein leises Krachen. Mit einer raschen
Dank,“ sagte Carlo. „Im übrigen, so eilig
Auch das hast du für dich behalten
logen!...
wegung streckt er sich der Länge nach zu Füßen
haben wir's nicht. Wir sehen dich noch, wenn
wollen, aber Angst hast du bekommen, das
des Bettes hin... Noch einmal dieses Krachen
du von den Hütten zurückkommst; Bormio bleibt
—
ein schweres Aufatmen — ein Räuspern
dann
am selben Fleck stehen, nicht wahr?" Er lachte
Carlo senkte den Kopf und antwortete nichts.
wieder Stille, tiefe Stille. Carlo bleibt auf dem
und ging die Holzstufen hinauf.
Er faßte wieder den Arm des Blinden und ging
Boden liegen, die Börse in der Hand, und wartet.
mit ihm weiter. Es tat ihm weh, daß Geronimo
Es rührt sich nichts mehr. Schon fällt der Däm¬
so sprach; aber er war eigentlich erstaunt, daß er
mer blaß ins Zimmer herein. Carlo wagt nicht
nicht trauriger war.
aufzustehen, sondern kriecht auf dem Boden vor¬
wärts bis zur Tür, die weit genug offen steht,
Die Nebel zerteilten sich. Nach langem Schwei¬
um ihn durchzulassen, kriecht weiter bis auf den
gen sprach Geronimo: „Es wird warm.“
Gang hinaus, und hier erst erhebt er sich lang¬
Unverlangte
es
sagte es gleichgültig, selbstverständlich, wie er
sam, mit einem tiefen Atemzug. Er öffnet die
schon hundertmal gesagt, und Carlo fühlte
Manuskripte
Börse; sie ist dreifach geteilt: links und rechts
diesem Augenblick: für Geronimo hatte
sich
nur kleine Silberstücke. Nun öffnet Carlo den
nichts geändert. Für Geronimo war er immer
werden nur zurückgesandt, wenn Rück¬
mittleren Teil, der durch einen Schieber noch¬
ein Dieb gewesen.
porto belgefügt ist. Wir bitten vorerst von
mals verschlossen ist, und fühlt drei Zwanzig¬
„Hast du schon Hunger?“ fragte er.
allen Einsendungen absehen zu wollen.
frankenstücke. Einen Augenblick denkt er daran,
Geronimo nickte, zugleich nahm er ein Stück
zwei davon zu nehmen, aber rasch weist er diese
Verlag: „Die Welt=Literatur“
Käse und Brot aus der Rocktasche und aß davon.
Versuchung von sich, nimmt nur ein Goldstück
München 1.
Und sie gingen weiter.
heraus und schließt die Börse zu. Dann kniet er
Die Post von Bormio begegnete ihnen; der
nieder, blickt durch die Spalte in die Kammer, in
Kutscher rief sie an: „Schon hinunter?“
der es wieder völlig still ist, und dann gibt er der
kamen noch andere Wagen, die alle aufwärts
Börse einen Stoß, so daß sie bis unter das zweite
fuhren.
Bett gleitet. Wenn der Fremde aufwacht, wird
„Luft aus dem Tal,“ sagte Geronimo und im
er glauben müssen, daß sie vom Sessel herunte
gleichen Augenblick, nach einer raschen Wendung,
und sagte:
Geronimo stand mitten
Da
gefallen ist. Carlo erhebt sich langsam
lag das Veltlin zu ihren Füßen.
Nun, ich bin bereit zu gehen
knarrt der Boden leise, und im gleichen Augen¬
Wahrhaftig — nichts hat sich geändert, dachte
blick hört er eine Stimme von drinnen: „Was
„Gleich,“ sagte Carlo.
Carlo
Nun hab' ich gar für ihn gestohlen
** *
ist's? Was gibt's denn?" Carlo macht rasch
Aus einer alten Kommode, die in ein
und auch das ist umsonst gewesen.
zwei Schritte rückwärts, mit verhaltenem Atem,
wenigen
Winkel des Raumes stand nahm er ihre
und gleitet in seine eigene Kammer. Er ist in
die Nebel unter ihnen wurden immer dünner,
Habseligkeiten und packte sie in ein Bündel
Sicherheit und lauscht... Noch einmal kracht drü¬
Und
Glanz der Sonne riß Löcher hinein.
Dann sagte er: „Ein schöner Tag, aber sehr
ben das Bett, und dann ist alles still. Zwischen
Carlo dachte: Vielleicht war es doch nicht
klug.
kalt.“
seinen Fingern hält er das Goldstück. Es ist ge¬
so rasch das Wirtshaus zu verlassen
Die
„Ich weiß,“ sagte Geronimode verließen
lungen — gelungen! Er hat die zwanzig Fran¬
Börse liegt unter dem Bett, das ist jedenfalls
die Kammer.
ken, und er kann seinem Bruder sagen: „Siehst
das
verdächtig ... Aber wie gleichgültig war
„Geh leise, sagte Carlo, hier fhlafen die
du nun daß ich kein Dieb bin!“ Und sie werden
alles! Was konnte ihm noch Schlimmes
ge¬
zwei, die gestern Abend gekommen sind.“ Behut¬
sich noch heute auf die Wanderschaft machen
schehen? Sein Bruder, dem er das Licht
sam schritten sie hinunter. „Der Wirt läßt dich
gegen den Süden zu, nach Bormio, dann wei¬
Augen zerstört, glaubte sich von ihm bestohlen
grüßen,“ sagte Carlo; „er hat uns die zwanzig
und glaubte es schon jahrelang und wird
Zentesimi für heut Nacht geschenkt. Nun ist er
Edole ... nach Breno ... an den See von Iseo
immer glauben — was konnte ihm noch Schlim¬
bei den Hütten draußen und kommt erst in zwei
wie voriges Jahr ... Das wird durchaus nicht
mes geschehen?
Stunden wieder. Wir werden ihn ja im nächsten
verdächtig sein, denn schon vorgestern hat er selbst
Da unter ihnen lag das große weiße Hotel
Jahre wiedersehen.“
zum Wirt gesagt: „In ein paar Tagen gehen wir
wie in Morgenglanz gebadet, und tiefer unten,
Geronimo antwortete nicht. Sie traten auf
hinunter.“
wo das Tal sich zu weiten beginnt, lang hinge¬
die Landstraße, die im Dämmerschein vor ihnen
streckt, das Dorf. Schweigend gingen die beiden
Immer lichter wird es das ganze Zimmer
lag. Carlo ergriff den linken Arm seines Bruders,
weiter, und immer lag Carlos Hand auf dem
liegt in grauem Dämmer da. Ah, wenn Gero¬
und beide schritten schweigend talabwärts. Schon
Arm des Blinden. Sie gingen an dem
Park
so
nimo nur bald aufwachte! Es wandert sich
nach kurzer Wanderung waren sie an der Stelle,
Ter¬
des Hotels vorüber, und Carlo sah auf der
gut in der Frühe! Noch vor Sonnenaufgang
wo die Straße in langgezogenen Kehren weiter¬
rasse Gäste in lichten Sommergewändern
sitzen
werden sie fortgehen. Einen guten Morgen
zulaufen beginnt. Nebel stiegen nach aufwärts,
und frühstücken. „Wo willst du rasten?
fragte
dem Wirt, dem Knecht und Maria auch, und
ihnen entgegen, und über ihnen die Höhen
Carlo.
Und erst wenn sie zwei
dann fort, fort
** *
schienen von den Wolken wie eingeschlungen.
Stunden weit sind, schon nahe dem Tale, wird
„Nun, im „Adler“ wie immer.“
Und Carlo dachte: Nun will ich's ihm sagen.
er es Geronimo sagen.
Als sie bei dem kleinen Wirtshause am Ende
Carlo sprach aber kein Wort, sondern nahm
des Dorfes angelangt waren, kehrten sie ein. Sie
Geronimo reckt und dehnt sich. Carlo ruft
das Goldstück aus der Tasche und reichte es dem
setzten sich in die Schenke und ließen sich Wein
ihn an: „Geronimo!“
Bruder; dieser nahm es zwischen die Finger der
geben.
„Nun, was gibt's?“ Und er stützt sich mit
rechten Hand, dann führte er es an die Wange
„Was macht ihr so früh bei uns?“ fragte der
beiden Händen und setzt sich auf.
und an die Stirn, endlich nickte er. „Ich hab's
Wirt.
„Geronimo, wir wollen aufstehen.“
ja gewußt,“ sagte er.
Carlo erschrak ein wenig bei dieser Frage.
„Warum?“ Und er richtet die toten Augen
„Ist's denn so früh? Der zehnte oder elfte Sep¬
„Nun ja,“ erwiderte Carlo und sah Geronimo
auf den Bruder. Carlo weiß, daß Geronimo
tember — nicht?“
befremdet an.
sich jetzt des gestrigen Vorfalls besinnt, aber er
„Im vergangenen Jahr war es gewiß viel
„Auch wenn der Fremde mir nichts gesagt
weiß auch, daß der keine Silbe darüber reden
spater, als ihr herunterkamt.“
hätte, ich hätte es doch gewußt.“
wird, ehe er wieder betrunken ist.
„Es ist so kalt oben,“ sagte Carlo. „Heut
Nacht haben wir gefroren. Ja richtig, ich soll
„Nun ja,“ sagte Carlo ratlos. „Aber du ver¬
„Es ist kalt, Geronimo wir wollen fort. Es
dir bestellen, du mochtest nicht vergessen, das Oel
stehst doch warum ich da oben vor den anderen
wird heuer nicht mehr besser; ich denke. wir
ich habe gefürchtet, daß du das Ganze auf
hinaufzuschicken.“
gehen. Zu Mittag können wir in Boladore
—.—
Und sieh, Geronimo, es wäre doch
einmal
Die Luft in der Schenke war dumpf und
sein.“
an der Zeit, hab' ich mir gedacht, daß du dir
schwül. Eine sonderbare Unruhe befiel Carlo;
Geronimo erhob sich. Die Geräusche des er¬
einen neuen Rock kaufst und ein Hemd und
er wollte gern wieder im Freien sein auf der
wachenden Hauses wurden vernehmbar. Unten
Schuhe auch, glaube ich; darum habe ich
großen Straße, die nach Tirano, nach Edole. nach
im Hof sprach der Wirt mit dem Knecht. Carlo
dem See von Iseo, überallhin, in die Ferne
Der Blinde schüttelte heftig den Kopf. „Wo¬
stand auf und begab sich hinunter. Er war
führt! Plötzlich stand er auf.
zu?“ Und er strich mit der einen Hand über
immer früh wach und' ging oft schon in der