I, Erzählende Schriften 9, Der blinde Geronimo und sein Bruder, Seite 14

„die Welt=Literatur“ 1917 Nr. 19 Arthur Schnitzler: Der blinde Geronimo und sein brucker Der Ehrentag
„Oh, es ist nicht notwendig.“
„Erstens,“ fuhr August fort, „seh' ich über¬
die Schritte und Stimmen der Choristen, die an
haupt nicht ein, warum alles etwas zu bedeuten
ihm vorüber von der Bühne in den Ankleide¬
„Also nehmen Sie Platz.“
haben soll.
raum eilten; dann wurde es wieder still. Roland
„Bin so frei.“
war froh, daß er allein war; die neue Operette
Emerich schien enttäuscht, Fred lachte. „Und
„Ich habe Sie gebeten ins Kaffeehaus zu
war ihm beinahe lieb, weil von den zwei
zweitens,
“ setzte August rasch und gereizten
kommen damit wir noch ein letztesmal . .. aber
Kollegen, mit denen er sonst die Garderobe zu
Tones hinzu, „wenn ihr zwei überhaupt die
wollen Sie sich nicht doch etwas geben lassen?
teilen hatte, keiner beschäftigt war. Das waren
Fähigkeit hättet, der Sache auf den Grund zu
Da ist grad' der Kellner.“
nämlich Menschen, mit denen er sich nicht ver¬
gehen, so würdet ihr gar nicht fragen. Ich will
„Bringen Sie mir eine Melange,“ sagte Herr
tand; zufriedene Leute, die ihre geringe Kunst
ja nicht grad' behaupten, daß ich von vornherein
Dobrdal und nahm die Pelzmütze ab, die er auf
seit jeher als brave Handwerker betrieben hatten
an etwas anderes gedacht habe, als einmal einen
den Tisch legte.
und nichts von ihr verlangten als ein beschei¬
guten Spaß in Szene, zu setzen: aber es ist mehr,
denes Auslangen, das sie ihnen auch gewährte.
es ist etwas Gutes, étwas ja ich möchte sagen,
Emerich nahm sie vorsichtig in die Hand und
Roland wußte wohl, daß er heute als ihres¬
legte sie auf einen Sessel.
Sinniges, was wir tun, indem wir einmal
so
gleichen gelten mußte, aber er fühlte zugleich,
einen armen Teufel eine Freud' machen, an den
„Danke sehr,“ sagte Herr Dobrdal.
daß er in Wahrheit durchaus nicht zu ihnen ge¬
im allgemeinen kein Mensch denkt. Die Großen
„Also,“ begann August aufs neue, „wieviel
hörte. Er hätte was ganz anderes werden
werden genug gefeiert, find' ich; aber zum
Leute haben Sie drin?“
können, wenn er Glück gehabt hätte. Daran
Theaterspielen braucht man die Kleinen grad
„Vierzig, und gut verteilt!“
dachte er jetzt, als er geschminkt vor dem Spiegel
so notwendig.“
saß; wie er Stunde für Stunde daran dachte.
„Auch im Parkett?“
„Das ist richtig,“ warf Emerich ein.
Noch heute, nach zehnjährigem Engagement an
„Natürlich, mit der Galerie allein machen wir
„Darum hat mein Spaß einen tieferen Sinn,
diesem Theater, konnte er es nicht ohne ein
nichts. Das Parkett ist doch das Wichtigste.“
und wenn die Leut im Theater heut abends
dumpfes Gefühl des Grolles und der Scham be¬
darauf eingehen, woran ja gar nicht zu zweifeln
„Und sehen Sie die Leute noch, bevor die Sache
treten und niemals hatte er das zu verbergen
angeht?“
ist, und mitapplaudieren, so werden sie, vielleicht
gewußt. So hatten seine Kollegen bald mit dem
ohne es zu ahnen, in der Person des Herrn
seinen Spürsinn niederer Menschen herausge¬
„Natürlich, ich hab' doch alle Sitze im Sack.“
Roland all den kleinen Leuten eine Ovation
funden, wo er am empfindlichsten zu treffen war,
„Das ist gut. Also hören Sie, Herr Dobrdal.
bringen, die sie gewöhnlich vergessen.“
und jede Aeußerung seines Wesens: die Art, wie
Wir rekapitulieren noch einmal: Im ersten Akt
„Gewiß ohne es zu ahnen,“ sogte Fred. „Denn
er leise und müde zu reden, wie er langsam
nichts. Ja, es wäre mir sogar angenehm,
du hast's ja auch vor fünf Minuten noch nicht
und scheinbar stolz einherzuschreiten pflegte, ja
wenn nach Schluß des Aktes der Applaus lauer
geahnt, was du eigentlich für ein edler Mensch
elbst eine gewisse Gewohnheit, den Kopf nach
wäre als sonst.“
bist.
der Seite zu wenden und dabei die Augen halb
„Herr von Witte, das wird nicht gehn. Der
zu schließen, wurden als komische Zeichen seiner
„Der Emerich hat ganz recht gehabt,“ bemerkte
Direktor besteht auf drei Hervorrufen.“
Unzufriedenheit gedeutet. Ob er einmal Talent
August rasch.
„Das ist mir unangenehm.“
gehabt, das wußte man nicht, auch war nie die
Emerich machte ein wichtiges Gesicht und
Rede davon gewesen: die Rollen, in denen er
„Aber wissen Sie was, Herr von Witte, das
fragte sich, worin er wohl recht gehabt hätte.
seit Jahren auftrat, waren die von Pagen, Die¬
Parkett werd' ich feiern lassen nach dem ersten
„Daß man dir nämlich überhaupt nichts er¬
nern, Knechten, Verschworenen, die ohne nähere
Akt.“
zählen soll,“ fuhr August fort; worauf Emerich
Bezeichnung auf dem Zettel standen; ja meistens
Schön. Also ietzt kommt der zweite Akt
erschrak und Fred mit einer Art verständnisloser
war er zweiter Knecht oder dritter Verschwo¬
und über den müssen wir reden. Da ist zuerst
Zärtlichkeit ansah.
rener. Es war kein Grund anzunehmen daß er
der Chor.“
„Du verdirbst einem zu allem die Laune,
mehr Anlaß hatte, sich zu beklagen, als einer
„Ich weiß doch, Herr von Witte.“
sagte August.
von den anderen, die zu gleichen Rollen auser¬
„Bitte, hören Sie nur. Nach dem Chor bleibt
lesen waren wie er; sie sahen auf eine ähnliche
„Ich versteh' dich wirklich nicht,“ lachte Fred.
Vergangenheit zurück wie R und und hatten
bekanntlich die Blandini allein auf der Szene
„Du bist so erregt, als wenn du dich irgendwie
und ist fürchterlich traurig; dann wirft sie sich
auf kleinen Bühnen vor Jahren erste Helden,
getrofsen fühltest. Alles Edle geschieht ja unbe¬
auf den Diwan. In dem Augenblick tritt Herr
Liebhaber oder Intriganten gespielt. Vielleicht
wußt, sonst wär' es gar nicht edel. Irgendeinem
Roland auf.“
auch war mancher unter ihnen, der sich mit
ordinären Kerl fällt ein Spaß ein, und er wird
schmerzlichen Empfindungen jener Zeit er¬
naturgemäß eine Gemeinheit,
" —
dir fällt ein
„Und jetzt geht's los,“ setzte Dobrdal hinzu.
innerte; vielleicht wäre diese schmerzliche Er¬
Spaß ein, und er wird naturgemäß eine gute
„Roland?“ rief Fred aus.
innerung auch manchem anzumerken gewesen;
Tat.
„Aber das ist ja der Witz,“ sagte Emerich leise.
aber alle Scherze, alle Bosheiten kamen an ihn
August sah ihn mit einem bösen Blick an.
„Im Augenblick,“ —
fuhr August fort, „wo der
herangeflogen, weil man sah, daß er am meisten
Wirst du uns vielleicht das Vergnügen rauben.
Herr Roland auftritt — donnernder Applaus.“
darunter litt. Anfangs hatte er sich zu wehren
in deiner Gesellschaft der Vorstellung beizu¬
gesucht; er versuchte, Neckereien zu erwidern,
„Schön,“ sagte Dobrdal.
wohnen?“
aber er war zu ungeschickt gewesen; er wollte
„In diesen Applaus,“ sagte August, mischen
„Durchaus nicht,“ antwortete Fred harmlos:
grob werden, aber er hatte nicht den rechten Mut
sich bereits Bravorufe; wahrend der Applaus
„außerdem hast du mich ja auch eingeladen, nach¬
dazu gefunden. So begann er, sich alles ruhig
fortdauert, werden aus dem Orchester Kränze
her mit dir, Emerich und der Blandini zu
gefallen zu lassen, wurde verschlossen, und man
heraufgereicht. Jetzt hat der Roland zu sagen.
hörte oft tagelang kein Wort aus seinem Munde.
Schöne Dame . .. oder schönes Weib
.. dieses
„Ich hatte vergessen.“
Auch das paßte so gut wie alles andere zu dem
Geschmeide sendet Euch mein Herr. Darauf hat
„Aber ich nicht.“
Bild, das nun einmal von ihm feststand; auch
das war der komische Stolz des „verkannten
„Es ist Zeit, zu gehen,“ sagte August.
Roland an der Tür. Dann tritt die Blandini
Genies“ Sein Ruf war allmählich über den
auf den Roland zu und gibt ihm das Geschmeide
Sie zahlten, verließen das Lokal und fuhren
engen Kreis hinausgedrungen, in dem er wirkte;
zurück.“
in3 Theater. Emerich betrachtete auf dem Wege
alle Welt, die in der Stadt sich für das Bühnen¬
bald den einen, bald den andern und ahnte, daß
„Wie die Blandini schon ist,“ bemerkte Emerich.
leben interessierte, kannte seinen Namen, um den
hier zwei Menschen in „„gendeinem wichtigen
August betrachtete ihn düster. Emerich er¬
so viele Scherze schwirrten; die Reporter in
Punkt nicht ganz gleichel=Ansicht wären.
So
rötete; dann fuhr August fort: „Der Roland
geistsprühenden Notizen, das Publikam in launi¬
faßte er sich, als sie ausstiegen und die Treppe
nimmt das Geschmeide und sagt: Was soll ich
gen Gesprächen bediente sich des Namens Roland,
zum Logengang hinaufschritten, ein Herz und
— oder so was
meinem Herrn ausrichten
um den Typus des unbedeutenden, aber einge¬
sagte: „Kinder, seid's doch gescheit!.
liches. Darauf die Blandini: Nichts. —
Nun
bildeten Mimen kurz zu bezeichnen. So war
August antwortete nichts. Fred aber drückte
verbeugt sich der Roland und geht ab. — Und
dieser Namen in seiner Art populär geworden,
Emerich die Hand und sagte: „Ich werde ver¬
jetzt: kolossaler Applaus.
und in einem anderen Sinne als Roland früher
suchen.“
einmal gehofft, schien seine Sehsucht nach Ruhm
„Jubel,“ setzte Dobrdal hinzu.
Die Logentüre wurde geöffnet, und den drei
in Erfüllung zu gehen. Nun war er so weit, daß
„Richtig: Jubel, Toben; Rufe: heraus'
Freunden klangen die ersten Akkorde der Ouver¬
er die Unbekannten beneidete. Alle die durften
Und jetzt dürfen Sie Ihre Leute einfach nicht
türe lustig entgegen.
noch hoffen, daß ihr Schicksal eine erfreuliche
aufhören lassen, bis der Roland herauskommen
Wendung nähme; sie konnten irgend einmal
— Sie haben mich
und sich verbeugen muß.
II.
aus ihrem Dunkel in eine würdige Beleuchtung
doch verstanden, Herr Dobrdal?“
heraustreten. Ihm war das für alle Zeit ver¬
Herr von Witte, Sie können sich auf mich ver¬
Der erste Akt war zu Ende.
sagt. Vor zwei Jahren hatte er das letztemal
lassen!“
gewagt, den Direktor um eine anständige Rolle
Friedrich Roland saß in der Garderobe, allein.
Somit,“ schloß August, „sind wir vorläufig
zu bitten. Der hatte ihn lachend abgewiesen, und
Er war mit einem phantastischen Kostüm ange¬
fertig.“
Roland hatte ihn verstanden. Dann dachte er
tan — schwarzrotsamtenes Wams und dunkel¬
noch einmal, ein letztes, daran die Stadt zu ver¬
Dobrdal verstand, trank eilig den Rest seiner
blaue Trikots — und trug eine Perücke von herr¬
lassen, um wieder in die Provinz hinauszu¬
lichen, kastanienbraunen Locken, auf der ein
Melange aus, erhob sich, verbeugte sich und ging.
wandern, wo er in den ersten zehn Jahren
Barett saß. Den Degen hatte er über die Knie
„Jetzt möcht' ich doch endlich wissen,“ sagte
seiner Laufbahn umhergezogen; aber die Agenten
gelegt und starrte in den Spiegel, aus dem ihm
Fred, „was das alles zu bedeuten hat.“
erklärten alle, es sei zu spät, und die Erfah¬
sein jugendlich rot geschminktes Gesicht mit dem
„Das werd' ich dir sagen,“ erwiderte August.
rungen, die er seinerzeit als Heldenspieler in
„Bin neugierig,“ sagte Fred.
kleinen böhmischen und mährischen Städtchen ge¬
belache regtungslos shon seit Veninn des Stit.
kes da. Jetzt hörte er durch die geschlossene Tür
sammelt, waren auch nicht ermutigend genug,
Emerich horchte gespannt auf.