I, Erzählende Schriften 9, Der blinde Geronimo und sein Bruder, Seite 16

„Die Welt=Literatur“ 1917 Nr. 19 Arthur Schnitzler: Der blinde Verontmo und sein brudker; der Ehrentag
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„Darf ich um Aufklärung bitten?“ fragte
ie;
sie nachher bessere Freunde sein würden als
„Wir müßten dem Roland
für
August.
mit diesem Scherz dachte er Herrn Roland
„Fang' mir nicht wieder davon an, der Spaß
wo
Sie antwortete nicht.
die Blandini endgültig dahin zu verweisen,
ist vorbei, die Leute haben sich amüsiert, es war
„Woher bist du gekommen?“
sein Platz war. Er hatte sich vor Beginn des
Schluß.
— und jetzt ...
was Neues
Sie schwieg.
Theaters vorgestellt, daß sie ihm vor seinen
“ sagte Emerich. „Aber ich
„Ja, schon gut,
„Warst du mit ihm?“
Freunden um den Hals fallen und hm wie in
mein', wir sollten ihm, dem Roland, morgen
sagte sie; „aber ich such' ihn.“
„Nein“.
früheren, glücklichen Zeiten sagen würde: „Du
was schicken.“
„Was?
bist doch mein süßes und gescheites Afferl!“
„Geld?“ fragte Fred.
„Ja.“
Aber schon im Theater hatte er gemerkt, daß die
„Freilich, Geld, es gehört sich eigentlich, findst
„Bist du seine Geliebte?
Sache anders auszufallen schien, als er ge¬
nicht, Gustl?“
„Nein; aber verlaß dich drauf, heute werd'
wünscht. Während des Applaussturmes nach
„Das können wir ja tun,“ antwortete August
ich
's noch.“
dem Eintreten des Roland hatte die Blandini
kurz.
August fuhr mit der Hand nach der Signal¬
einen bösen Blick in die Loge geworfen, wo er
Fred sah vor sich hin. Alle schwiegen. Plötzlich
pfeife für den Kutscher.
mit seinen zwei Freunden saß, und als Roland
„Ich fahre hin.“
stand August auf.
Sie zog ihm heftig den Arm herunter.
so
zum letztenmal abging, hatte sie die Augen
„Ins Theater?“ fragte Emerich.
August schaute durchs Fenster hinaus: sie
verloren nach jener Tür gerichtet, daß August
„Nein. Zu ihr. Im Theater kann sie ja nicht
fuhren über den Ring.
einen mächtig anwachsenden Zorn im Herzen
mehr sein das ist ausgeschlossen.“
Albertine sah ihn von der Seite an.
fühlte. Und jetzt, je näher er dem Hause kam,
„So hältst du es doch für möglich, daß sie deine
Interessiert's dich, wohin wir fahren?“
in dem die Blandini wohnte. um so weniger ver¬
Einladung vergessen hat?“
August bebte und erwiderte nichts. Sie sprach
hehlte er sich, wovor er in Wahrheit zitterte:...
„Was willst denn immer,“ sagte August ärger¬
weiter; grausam und mit Behagen.
sie beide zusammen zu finden. Er beschleunigte
lich, indem er den Winterrock anzog.
— und er
„Ich habe nach dem Theater auf ihn gewartet;
noch um diese Ecke
die Schritte —
„Kommit du bestimmt zurück?“ fragte Emerich.
aber er war schon fort . . . dann bin ich in seine
stand vor dem Haustor. Es war eine der
„Ja, bestimmt; mit ihr. Auf Wiedersehen.“
Wohnung, aber er war nicht zu Haus. Dann
breiten Straßen hinter dem Ring; ringsum
Er entfernte sich rasch. Er mußte an der Tür
bin ich in das Wirtshaus, wo er manchmal hin¬
war kein Mensch zu sehen. Er lauschte und
der anderen kleinen Zimmer vorbei; aus einem
zugehen pflegt; — da war er auch nicht. Und
hörte über das beschneite Pflaster das gedämpfte
klang ihm ein Walzer nach, den irgendein musi¬
weißt du, warum ich jetzt bei mir zu Haus war?
seine
Geräusch eines heranrollenden Wagens;
kalischer Mensch auf einem harten Klavier
Weil ich überall, bei ihm und auch im Wirts¬
Hand, die eben die Klingel drücken wollte, hielt
schlecht spielte. August trat ins Freie. Die
haus den Auftrag gegeben habe, man soll ihn
inne, und er wartete.
Straße war still, aber nicht dunkel. Der Schnee,
sofort zu mir schicken. Und jetzt fahren wir
Der Wagen fuhr um die Ecke, hielt vor dem
der auf der Straße lag, verbreitete eine matte,
wieder ins Theater, weil ich keine Ruh' hab',
Haustor. Er kannte ihn gut, er hatte ihn ja
gleichmäßige Helligkeit Noch immer schneite es
verstehst du?“
bevor ich ihn find' —
selbst für die Blandini gemietet. Rasch trat er
in großen, langsamen Flocken. August Witte ent¬
August sprach kein Wort; aber er hätte sie
beiseite; es war ihm, als wäre seine ganze Er¬
schloß sich, zu Fuß zu gehen er fühlte, daß er
gern erwürgt.
regung geschwunden. Denn er war fest über¬
erregt war, und hoffte, daß ihn die milde, weiße
Der Wagen rollte über die Donaubrücke, noch
zeugt, daß sie im nächsten Moment mit Roland
Nacht beruhigen würde. Er hatte einen Mo¬
ein paar Minuten und er hielt in einer schmalen
war
aus dem Wagen steigen würde — und dann
ment Lust für seine üble Stimmung Fred ver¬
Gasse, an der kleinen Hintertür des Theater¬

Der
eben alles entschieden und alles aus.
antwortlich zu machen, der mit seiner ablehnen¬
gebäudes, die zur Bühne führt. Die Blandini
Schlag öffnete sich, eine Dame stieg aus dem
den, beinahe höhnischen Art den ganzen Abend
sprang aus dem Wagen; August ihr nach. Die
Wagen und schlug die Tür hinter sich zu. Es
von Anfang an verdorben hatte.
Tür war längst geschlossen. Ein Gewölbewächter,
war die Blandini. August eilte herbei und
Freilich, daß die Blandini ausgeblieben war,
der eben vorbeiging, sah neugierig die iunge
schaute rasch durch das Fenster in den Wagen
das konnte er Fred nicht zum Vorwurf machen,
Dame an, die um Mitternacht hier an der Glocke
hinein. Er war leer. August atmete auf. Dann
so gern er es auch getan hätte — dafür mußte
zog. Nach ein paar Sekunden wurde die kleine
rief er: „Albine!“ — Sie wandte sich rasch um,
ein anderer Grund da sein. Wahrscheinlich war
Tür geöffnet, und der Portier erschien mit einer
im Moment, da sie ihn erkannte, machte sie einen
— Im übrigen, hatte er
sie bös auf ihn; schön.
Fräulein
Laterne in der Hand
. „Jessas,
Schritt auf ihn zu. „Traust du dich her?“
denn was anderes wollen? Es wäre ihm gar
Blandini, was ist denn? Was ist denn gescheh'n?
„Ah, das ist gut,“ rief August der sich plötzlich
nicht eingefallen, den Streich von heute abend
Haben S' was da vergessen?“
seiner Rechte neu bewußt wurde, „ob ich mich
auszusinnen und auszuführen, wenn ihn nicht
„Leuchten Sie mir nur.“
trau? Wo steckst du denn? Was machst denn
die Blandini selbst dazu gereizt hätte, die seit
August stand hinter ihr.
Was
du? Ich wart' zwei Stunden auf dich!
einiger Zeit von diesem armseligen Statisten zu
„Der Herr hat nichts da zu tun,“ sagte die
heißt denn das?“
behaupten pflegte, er hätte den interessantesten
Blandini; „sperren Sie zu.“
„Mein Lieber, du kannst lang warten,“ sagte
Kopf, den sie je gesehen, und hätte sicher viel
Sie stieß August zurück, schloß selbst die Tür,
die Blandini, „wir zwei sind fertig miteinander.“
mehr Talent als alle anderen. Anfangs war es
und der Portier versperrte sie. Während sie mit
„Warum?“
wohl nur ein Scherz gewesen, wenn sie das
dem Portier durch den schmalen, niederen Gang
„Fragst noch?“
sagte; aber als August unvorsichtigerweise zu
eilte der zur Bühne führte, fragte sie ihn:
„Erstens schrei nicht; der Kutscher braucht das
widersprechen anfing, beharrte sie eigensinnig
„Haben Sie den Roland weggehen sehen?“
nicht zu wissen — und zweitens
auf ihrer Meinung bis sie endlich erklärte, aus
Der Portier dachte nach. „Ja, Fräulein, jetzt
In diesem Augenblick öffnete sich die Haus¬
August spräche die Eifersucht. — Das machte ihn
ist sicher niemand mehr in der Garderobe. Vor
tür; die Blandini eilte in den Flur und schlug
ganz wütend. Auf Herrn Roland eifersüchtig!
zwei Stunden hab' ich schon zugesperrt.“
die Tür hinter sich zu. August bebte vor Zorn.
Ah, er wußte schon ganz gut, auf wen er
„Haben Sie ihn weggehen gesehen?“ wieder¬
wollte sich vor dem Kutscher und dem
Aber er
eifersüchtig zu sein hatte. Der Komiker mußte
holte sie beinahe flehend.
nicht blamieren und blieb ganz ruhig
Portier
von allem Anfang an als Rivale hingenommen
Sie standen nun auf der großen, dunklen
Er überlegte. Was sollte er tund
* * *
stehen.
werden; daran war nichts zu ändern
Bühne. Von der Laterne, die der Portier in
— Ihr nacheilen? — Sich der Gefahr
Warten?
über diesen Herrn Roland wollte er sich wahr¬
der Hand hielt, fiel ein Lichtkegel auf den weißen
aussetzen, von ihr nicht empfangen zu werden?
haftig nicht weiter ärgern. Jedesmal nahm er
Souffleurkasten. Die Kulissen, zu beiden Seiten
Morgen da auf= und abgehen? Ihr in
Bis
zum
sich vor, nicht mehr von ihm mit der Blandini
im Dunkel, schienen ins Unermeßliche hinauf¬
auf der Straße einen Skandal machen?
der
Früh,
zu reden — und kaum war er fünf Minuten mit
zuwachsen. Der eiserne Vorhang stand da wie
so zornig, daß er sein eigenes lautes,
Er war
ihr zusammen, so fing der Zank wieder an.
eine Riesenwand.
beinahe schnaubendes Atlien hörte. — Nach zwei
die
Er fühlte, daß es nicht klug war; er trieb
gesehen“ sagte der Portier.
„Ja
Minuten öffnete sich das Haustor von neuem,
das
Blandini geradezu in irgend etwas hinein,
ich weiß mich wirklich nicht zu erinnern,
die
und Albine erschien.
er längst fürchtete. — Jetzt, wie er so durch
ich bitt' schön, Fräulein, es gehen da so viel Leut'
Sie eilte zum Wagenschlag und rief dem
Straßen eilte, wußte er was er fürchtete. Jetzt
an einem vorbei, man schaut doch nicht einen
Kutscher etwas zu. August eilte ihr nach und
wußte er, daß der Anlaß zu dem Streich von

jeden an; nicht wahr?“
packte sie beim Arm. „Wohin?“
heute Abend nicht die Lust am Spaß gewesen
Die Blandini blieb noch einen Moment nach¬
„Was gehts dich an?“ Sie machte sich los von
war: auch nicht die Absicht, dem Herrn Roland
sinnend stehen, dann eilte sie rasch über die
ihm und sprang in den Wagen; er ihr nach.
eine besondere Freude zu machen, obwohl er fest
Bühne bis hinter die Kulissen, zu der kleinen
In meinem Wagen werd' ich doch wohl
davon überzeugt war, daß Herr Roland erfreut
Stiege. Sie setzte den Fuß auf die ersten Stufen.
mitfahren dürfen,“ stieß er zwischen den Zähnen
sein werde; nein — er hatte die stille Hoffnung
„Aber Fräulein,“ rief der Portier, der ihr mit
hervor.
gehegt daß er den kleinen Schauspieler für die
der Laterne nacheilte, „da ist ja die Herren¬
„Bitte“
Blandini lächerlich und unmöglich machen, daß
garderobe.“
Der Wagen rollte fort.
sie über den lustigen Einfall Augusts lachen und
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ins Feld
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