I, Erzählende Schriften 8, Die Toten schweigen, Seite 37

8. Die Toten schweigen

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Zusammenkunft mit dem Premierminister
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gehört auch ein gewisses Geschick dazu. Ja,
wenn ihr es versuchen wolltet, sändet ihr es
garnicht so leicht. Auch einige Ausgelassen¬
heit ist dafür erforderlich, aber daß es eine
Ausgeburt orgiastischer Wildheit, lästerlichen
Uebermuts oder sündhaften Zügellosigkeit ist,
wird van nicht gerade behaupten können. Und
nicht einmal Pater Abraham a Santa
Clara hätte darob sein Sodom und Gemorrha
gedonnert. Voraus gesetzt daß er nock lebte..
Ja, wir sind mehr z frieden mit unseren
jungen Herren. Denn Junger=Herr=Sein ist
sozusagen eine Situation, ein vorübergehendes
Lebensalter und ein Ergebnis der Umstände,
aber es ist keine Lebensauffassung, kein Cha¬
raktermerkmal und kein innerer Wesensdrang.
Das soll ungefahr sagen: der junge Herr von
Wien hat keine organische Fortsetzung in weiter
hinausgedrückten Jahren, er wandelt sich nicht
in den Junggesellen auf Lebenszeit um. Der
junge Herr hört einfach auf. Man ist es eine
Weile. Und dann ist man es nicht. Seine
vergeistigtere Fortentfaltung, die Felix Pop¬
penberg am reizvollsten abgeschildert und Alex
Castell im „Eheband“ jüngst erst dichteri
dargestellt hat, ist nicht auf Wiener Boden
auf diesem behäbigen und animalischen Erd¬
fleck gewachsen Herr von Sala, der nun auch
m Burge#e#ter, zeln Jahre nach seiner Er¬
chaffung, die eigentlich eine Erfindung war,
inen „Ansamen Weg“ nach abwärts geht, er
t eigentlich nicht auf Wiener Erde geboren.
r hat den kühlen Duft der Fremde, eine nörd¬
here Form. Er ist eine importierte Speziali¬
t.
Der junge Herr ist also etwas sehr Ver¬
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lung in Athen zu verbieten, weil sie erregte

gängliches. Aber was ihm an zeitlicher Aus¬
dehnung fehlt, macht er gleichsam räumlich
wett. Alle, die heute in der Kunst, in der
Politik, und sogar viele, die in der Wissenschaft
repräsentativ sind, waren einmal solche junge
Herren, führten dieses leichte und beschwingte
Leben und wurden von der lässigen Gebärde
der Wiener Eleganz bestrickt. Die Wiener Dich¬
ter, die Schöpfer des „Anatol“, sind elegant.
Man kann sie garnicht anders denken. Wie
man den Apostel der „Weber“ wiederum sich
nicht mit der weltmännischen Allure des
Dandy vorzustellen vermochte. Der junge
Hauptmann hatte nichts vom „jungen Herrn“
im Wiener Sinne. Der Hauptmann von
fünfzig Jahren, der mit der goldenen Gloric
eines Weltruhms auch ein auskömmliches
Einkommen errungen hat, läßt allerdings wohl
bei einem guten Schneider arbeiten. Aber das
Wort elegant drängt sich bei seinem Porträt
zu allerletzt auf die Lippen. Dies aber, just
dieses Wort schwingt wie ein Orgelpunkt durch
die Wiener Literatur. Die Gepflegtheit des
äußeren Menschen stand vom Beginn an hoch
im Kurs. Einer aus diesem Kreis, der heute
ein wundervoller Dichter ist, war ihr arbiter
elegantiarum, und — ein Witzwort erzählt
es
— wie er stets die Kleider seiner Brüder
in Apoll billigte oder unmöglich fand,
so
soll er einmal mit dem nämlichen Wort nach
sleptischer Prüfung einer Waldwiese seinen Bei¬
all ausgedrückt haben: „Das kann so blei¬
ben.“ Die Geschichten vom jungen Herren,
die uns Schnitzler, Dörmann und Auernhei¬
heimer erzählthaben, waren alle ein wenig
auch Autobiographie.
der ganzen Individualität des Täters, aus der

Sie sind darüber hinaus. Wie der junge
Herr in der Wirklichkeit immer wieder darüber
hinauskommt. Ohne tragische Verwirrung,
ohne Seelenrevolten, beinahe schmerzlos. Denn
der junge Herr von Wien hat unter der Luftig¬
keit seiner Kavalierlaunen einen sehr festen
und soliden Grund in einem bürgerliche Beruf.
Der junge Herr „ist“ etwas. Freilich läßt er
es sich nicht merken. Er tritt vor, klappt die
Absätze einander und sagt mit einer g’schnap¬
pigen Kürze: „Wiesinger!“ Man hört sörmlich
das Rufzeichen hinter dem Namen und es
wirkt einfach lapidar. Seinen Doktor oder In¬
genieurtitel, seine Offizierscharge oder sein
Adelsprädikat verschweigt er. Anders wäre es
nicht fashion. Und einer, der sich umständlich
mit Titulaturen legitimiert, beweißt schon da¬
mit, daß er nicht dazu gehört und nicht für
voll gilt. Wiesinger und damit basta. Alles
andere hat den Dunst der Arbeit. Indessen
sitzt der junge Herr im Ministerium oder in
einer Bank, in der Statthalterei oder in einer
Advokatenkanzlei, je nach Pedegree, Beziehun¬
gen oder Konfession. Und sein Chef ist sehr
zufrieden mit ihm.
Die jungen Herren von Wien sind sehr
vorsichtig, wie ja auch ihr Dichter Dr. med.
Arthur Schnitzler, erst eine hübsche Weile
nach meinem ersten Burgtheater=Erfolg den
Aerzteberuf an den Nagel gehängt hat. Schon
jenseits der Dreizig. Und dann ist man kein
junger Herr mehr. Aber schön, wundervoll
schön, war es doch, und es ist eine Lust, daß
wieder, und so Jahr um Jahr, der Frühling
blüht.
Dr. Hans Wautoch=Wien¬