I, Erzählende Schriften 4, Der Witwer, Seite 1

4. Der Witver
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erenenen

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Wiener Allgemeine Zeitung
de Zimmer.
Inhalt aller dieser Briefe zunichte machen und die Wahrheit,
aran gedacht,
die ihm plötzlich geworden, zum Irrisume wandeln könnte.
der Dunkel¬

Und wie endlich seine Hände innehalten, ist ihm, als
trauter Duft
wäre es nach einem ungeheueren Lärm mit einemmal ganz
still geworden . . . Noch hat er die Erinnerung aller jener
ze Gemach in
Geräusche: wie die zierlichen Geräthschaften auf dem Schreib¬
vermag, da
tisch klangen . . . wie die Lade knarrte . . . wie das Schloß
klappte ... wie das Papier knitterte und rauschte... den Ton
se Thränen,
seiner hastigen Schritte ... sein rasches, stöhnendes Athmen
fund schwer.
nun aber ist kein Laut mehr im Gemach. Und er staunt nur,
hime auf dem
wie er das mit einem Schlage so völlig begreift, obwohl er
ben, trocknet
doch nie daran gedacht. Er möchte es lieber so wenig ver¬
Armleuchters
steben, wie den Tod; er sehnt sich nach dem bebenden heißen
r steht. Und
Schmerz, wie ihn das Unfaßliche bringt, und hat doch nur
Ecken, der
die Empfindung einer unsäglichen Klarheit, die in all' seine
seht hier aus
Sinne zu strömen scheint, so daß er die Dinge im Zimmer
ist und
sie
mit schärferen Linien sieht als früher und die tiefe Stille zu
hat sie auf¬
horen meint, die um ihn ist. Und langsam geht er zum
en
Divan hin, setzt sich nieder und sinnt ...
der Dinge
Was ist denn geschehen?
ls wüßten
Es hat sich wieder einmal zugetragen, was alle Tage
nliches ge¬
geschieht, und er ist Einer von denen gewesen, über die
hat er es
Manche lachen. Und er wird ja auch gewiß — morgen oder
so mäch¬
in wenigen Stunden schon — wird er all' das furchtbare
nach sei¬
empfinden, das jeder Mensch in solchen Fällen empfinden
nun vor¬
muß . . . er ahnt es ja, wie sie über ihn kommen wird, die
reden wird,
namenlose Wuth, daß dieses Weib zu früh für seine Rache
noch etwas
gestorben; und wenn der Andere wiederkehrt, so wird er ihn
nur endlich
mit diesen Händen niederschlagen wie einen Hund. Ah, wie
er da sein.
sehnt er sich nach diesen wilden und ehrlichen Gefühlen
fiele Wochen
und wie wohler wird ihm dann sein als jetzt, da die
muß. Und
Gedanken sich stumpf und schwer durch seine Seele
n und, wie
schleppen ...
brechen, die
Jetzt weiß er nur, daß er plötzlich Alles verloren hat,
nd Abends
daß er sein Leben ganz von vorne beginnen muß wie ein
den dunklen
Kind; denn er kann ja von seinen Erinnerungen keine mehr
den da zu¬
brauchen. Er müßte jeder erst die Maske herunterreißen, mit
ie sie es ja
der sie ihn genarrt. Denn er hat nichts gesehen, gar nichts,
rem frischen
hat geglaubt und vertraut, und der beste Freund, wie in der
ig Gefallen
Komo#ie, hat ihn betrogen ... Wäre es nur der, gerade
esagt hatte
der nicht gewesen! Er weiß es ja und hat es ja selbst
n diese Ge¬
erfahren, daß es Wallungen des Blutes gibt, die ihre Wellen
Alltäglichkeit
kaum bis in die Seele treiben, und es ist ihm, als wenn er
jetzt werden
der Todten Alles verzeihen könnte, was sie wieder rasch
vergessen hätte, irgend wen, den er nicht gekannt, irgend
nd her, bis
Einen, der ihm wenigstens nichts bedeutet hätte
hritte
zu
nur diesen nicht, den er so lieb gehabt hat wie keinen andern
Schreibtisch,
Menschen und mit dem ihn ja mehr verbindet, als ihn je
teiner Art
mit seinem eigenen Weib verbunden, die ihm niemals auf
Die vor ihm
den dunkleren Pfaden seines Geistes gefolgt ist; die ihm
t, hat immer
Lust und Behagen, aber nie die tiefe Freude des Verstehens
rstiele, das
gegeben. Und hat er es denn nicht immer gewußt, daß
mit dem
die Frauen leere und verlogene Geschöpfe sind, und ist es
Goldschnur
ihm denn nie in den Sinn gekommen, daß sein Weib ein
and, wendet
Weib ist, wie alle anderen, leer, verlogen und mit der Lust
hren Platz,
zu verführen? Und hat er denn nie gedacht, daß sein Freund
Dann öffnet
den Weibern gegenüber, so hoch er sonst gestanden
m
offenen
sein mag, ein Mann ist wie andere Männer, und
sie zu
810
dem Rausch eines Augenblicks erliegen konnte?
111
onn
verrathen es nicht malch schenen Worte dieser glühenden und
m
Namen.
zitternden Briefe, daß er anfangs mit sich gekämpft, daß er
die ver¬
e,
versucht hat, sich loszureißen, daß er endlich dieses Weib an¬
nur immer
gebetet und daß er gelitten hat? ... Unheimlich ist es ihm
gedanken¬
veinahe, wie ihm Alles das so klar wird, als stünde ein
will
Fremder da, ihm's zu erzählen. Und er kann nicht rasen,
Hand
zur
ehr er sich darnach sehnt; er versteht es einfach, wie er
ben er ver¬
es eben immer bei Anderen verstanden hat. Und wie er nun
ht er, von
daran denkt, daß seine Frau da draußen liegt, auf dem stillen
die Briefe
Friedhof, da weiß er auch, daß er sie nie wird hassen können,
der oben
und daß aller kindische Zorn, selbst wenn er noch über die
sie, noch
weißen Mauern hinüberflattern könnte, doch auf dem Grabe
tliche Auf¬
selbst mit lahmen Flügeln hinsinken würde. Und er erkennt,
ben in das
wie manches Wort, das sich kümmerlich als Phrase fristet
und spricht
in einem grellen Augenblicke seine ewige Wahrheit zu er¬
ein wirres,
kennen gibt, denn plötzlich geht ihm der tiefe Sinn eines
Wortes auf, das ihm früher schal geklungen: Der Tod ver¬
öhnt. Und er weiß es: wenn er jetzt mit einemmale jenem
fe zwischen
Anderen gegenüberstände, er würde nicht nach gewaltigen und
m vorüber,
strafenden Worten suchen, die ihm wie eine lächerliche
lesen. Nur
Wichtigthuerei irdischer Kleinlichkeit der Hoheit des Todes
daß er
gegenüber orschienen

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25. December 1894.
Nr. 5039
Jahres, in denen
... es begonnen hat? Ja, das hat er
bemerkt, und hei sich auch wohl zuweilen gedacht: Es sind
Weihergeschichten, die ihn quälen — und sich gefreut, wenn
er den Freund in ernste Gespräche ziehen und über diese
kleinlichen Leiden erheben konnte.. Und jetzt, wie er
dieses ganze vergangene Jahr rasch an sich vorübergleiten
läßt, merkt er nicht mit einemmal, daß die frühere Heiterkeit
des Freundes nie wieder ganz zurückgekommen ist, die er sich
nur allmälig daran gewöhnt hatte, wie an Alles, das all¬
mälig kommt und nicht mehr schwindet? ...
Und ein seltsames Gefühl quillt in seiner Seele empor,
das er sich anfangs kaum zu begreifen traut, eine tiefe Milde
ein großes Mitleid für diesen Mann, über den eine
elende Leidenschaft wie ein Schicksal hereingebrochen ist; der
in diesem Augenblicke vielleicht, nein, gewiß mehr leidet als
er; für diesen Mann, dem ja ein Weib gestorben, die er
geliebt hat, und der vor einen Freund treten soll, den er
betrogen.
Und er kann ihn nicht hassen; denn er hat ihn noch
lieb.
Er weiß ja, daß es anders wäre, wenn
— sie noch
lebte.
Da wäre auch diese Schuld etwas, das von ihrem
Dasein und Lächeln den Schein des Wichtigen liehe. Nun
aber verschlingt dieses unerbittliche Zuendesein Alles, was
an jenem erbärmlichen Abenteuer bedeutungsvoll erscheinen
wollte
In die tiefe Stille des Gemaches zieht ein leises Belen
Schritte auf der Treppe. — Er lauscht athemlos; er
hört
das Schlagen seines Pulses.
Draußen geht die Thür.
Einen Augenblick ist ihm,
als stürze Alles wieder hin,
was er in seiner Seele aufgebaut; aber im nächsten steht es
wieder fest.
— Und er weiß, was er ihm sagen wird, wenn
er hereintritt: Ich hab' es verstanden — bleib'!
Eine Stimme draußen, die Stimme des Freundes.
Und plötzlich fährt ihm durch den Kopf, daß dieser
Mann jetzt, ein ahnungsloser, da hereintreten wird, daß er
selbst es ihm erst wird sagen müssen.
Und er möchte sich vom Divan erheben, die Thür ver¬
schließen — denn er fühlt, daß er keine Silbe wird sprechen
können. Und er kann sich ja nicht einmal bewegen, er ist wie
erstarrt. Er wird ihm nichts, kein Wort wird er ihm heute
sagen, morgen erst ... morgen
Es flüstert draußen. Richard kann die leise Frage ver¬
tehen: „Ist er allein?“
Er wird ihm nichts, kein Wort wird er ihm heute
sagen; morgen erst — oder später ...
Die Thür öffnet sich, der Freund ist da. Er ist sehr
blaß und bleibt eine Weile stehen, als müßte er sich sammeln,
dann eilt er auf Richard zu und setzt sich neben ihn auf den
Divan, nimmt seine beiden Hände, drückt sie fest, — will
sprechen, doch versagt ihm die Stimme.
Richard sieht ihn starr an, läßt ihm seine Hände. So
sitzen sie eine ganze Weile stumm da.
Mein armer Freund, sagt endlich Hugo ganz leise.
Richard nickt nur mit dem Kopf, er kann nicht reden.
Wenn er ein Wort herausbrächte, könnte er ihm doch nur
sagen: Ich weiß es ...
Nach ein paar Secunden beginnt Hugo von Neuem
Ich wollte schon heute Früh da sein. Aber ich habe Dein
Telegramm erst spät Abends gefunden, als ich nachhause kam.
Ich dachte es, erwiderte Richarb und wundert sich
selbst, wie laut und ruhig er spricht. Er schaut dem Andern
tief in die Augen.. . Und plötzlich fällt ihm ein, daß dort
auf dem Clavier — die Briefe liegen. Hugo braucht nur auf¬
zustehen, ein paar Schritte zu machen — und sieht sie...
und weiß Alles. Unwillkürlich faßt Richard die Hände des
Freundes — das darf noch nicht sein; er ist es, der vor der
Entdeckung zittert.
Und wieder beginnt Hugo zu sprechen. Mit leisen, zarten
Worten, in denen er es vermeidet, den Namen der Todten
auszusprechen, frägt er nach ihrer Krankheit, nach ihrem
Sterben. Und Richard antwortet. Er wundert sich anfangs,
daß er das kann; daß er die widerlichen und gewöhnlichen
Worte für all das Traurige der letzten Tage findet. Und ab
und zu streift sein Blick das Gesicht des Freundes, der blaß,
mit zuckenden Lippen lauscht.
Wie Richard innehält, schüttelt der Andere den Kopf,
als hätte er Unbegreifliches, Unmögliches vernommen. Dann
sagt er: Es war mir furchtbar heute nicht bei Dir sein zu