I, Erzählende Schriften 4, Der Witwer, Seite 4

4. Der Witver
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schreiben pflegte, die kleinen Gouverts mit ihrem Mono¬
gramm, die schmalen langen Visitkarten mit ihrem Namen.
Dann greift er mechanisch an die kleine Seitenlade, die ver¬
sperrt ist. Er merkt es anfangs gar nicht, zieht nur immer
wieder, ohne zu denken. Allmälig aber wird das gedanken¬
lose Rütteln ihm bewußt, und er müht sich, und will
endlich öffnen, und nimmt die kleinen Schlüssel zur Hand
die auf dem Schreibtisch liegen. Gleich der erste, den er ver¬
sucht, paßt auch; die Lade ist offen. Und nun sieht er, von
blauen Bändern sorgfältig zusammengehalten, die Briefe
liegen, die er selbst an sie geschrieben. Gleich den, der oben
liegt, erkennt er wieder. Es ist sein erster Brief an sie, noch
aus der Zeit der Brautschaft. Und wie er die zärtliche Auf¬
schrift liest, Worte, die wieder ein trügerisches Leben in das
verödete Gemach zaubern, da athmet er schwer auf und spricht
dann leise vor sich hin, immer wieder dasselbe: ein wirres,
entsetztes: Nein ... nein ... nein
Und er löst das Seidenband und läßt die Briefe zwischen
den Fingern gleiten. Abgerissene Worte fliegen vor ihm vorüber,
kaum hat er den Muth, einen der Briefe ganz zu lesen. Nur
den letzten, der ein paar kurze Sätze enthält — daß er
erst spät Abends aus der Stadt herauskommen werde
daß er sich unsäglich freue, das liebe, süße Gesicht wieder¬
— und
zusehen — den liest er sorgsam, Silbe für Silbe
wundert sich sehr; denn ihm ist, als hätte er diese zärtlichen
Worte vor vielen Jahren geschrieben — nicht vor einer
Woche, und es ist doch nicht länger her.
Er zieht die Lade weiter heraus, zu sehen, ob er noch
was fände.
Noch einige Päckchen liegen da, alle mit blauen Seiden¬
bändern umwunden, und unwillkürlich lächelt er traurig. Da
sind Briefe von ihrer Schwester, die in Paris lebt — er hat
sic immer gleich mit ihr lesen müssen; da sind auch Briefe
ihrer Mutter mit dieser eigenthümlich männlichen Schrift,
über die er sich stets gewundert hat. Auch Briefe mit Schrift¬
zügen liegen da, die er nicht gleich erkennt; er löst das
Seidenband und sieht nach der Unterschrift
— sie kommen
von einer ihrer Freundinen, einer, die heute auch da
gewesen ist, sehr blaß und verweint. — Und ganz hinten
liegt noch ein Päckchen, das er herausnimmt wie die anderen
und betrachtet. — Was für eine Schrift? Eine unbekannte.

Nein, keine unbekannte .. .. Es ist Hugo's Schrift. Und
das erste Wort, das Richard liest, noch bevor das blaue
Seidenband herabgerissen ist, macht ihn für einen Augenblick
erstarren .... Mit großen Augen schaut er um sich, ob
denn im Zimmer noch alles ist, wie es gewesen, und schaut
dann auf die Decke hinauf und dann wieder auf die Briefe,
die stumm vor ihm liegen und ihm doch in der nächsten Minute
Alles sagen sollen, was das erste Wort ahnen ließ
* * *
will das Band entfernen — es ist ihm, als wehrte es sich,
die Hände zittern ihm und er reißt es endlich gewaltsam
ausemander. Dann steht er auf. Er nimmt das Päckchen in
beide Hände und geht zum Clavier hin, auf dessen glänzend
schwarzen Deckel das Licht von den sieben Kerzen des Arm¬
leuchters fällt. Und, mit beiden Händen auf das Clavier ge¬
stützt, liest er sie, die vielen kurzen Briefe mit der kleinen ver¬
schnörkelten Schrift, einen nach dem andern, nach jedem von
neuem begierig, als wenn er der erste wäre. Und alle liest er
sie, bis zum letzten, der aus jenem Orte an der Nordsee ge¬
kommen ist — vor ein paar Tagen. Er wirst ihn zu den
übrigen und wühlt unter ihnen allen, als suche er noch
etwas, als könne irgend was zwischen diesen Blättern auf¬
flattern, das er noch nicht entdeckt, irgend etwas, das den
Verrathen es nicht manch scheuen Worte dieser glühenden und
er
zitternden Briefe, daß er anfangs mit sich gekämpft, daß
an¬
versucht hat, sich loszureißen, daß er endlich dieses Weib
gebetet und daß er gelitten hat? ... Unheimlich ist es ihm
ein
beinahe, wie ihm Alles das so klar wird, als stünde
Fremder da, ihm's zu erzählen. Und er kann nicht rasen,
so
ehr er sich darnach sehnt; er versteht es einfach, wie er
es eben immer bei Anderen verstanden hat. Und wie er nun
daran denkt, daß seine Frau da draußen liegt, auf dem stillen
Friedhof, da weiß er auch, daß er sie nie wird hassen können,
und daß aller kindische Zorn, selbst wenn er noch über die
weißen Mauern hinüberflattern könnte, doch auf dem Grabe
elbst mit lahmen Flügern hinsinken würde. Und er erkennt,
wie manches Wort, das sich kümmerlich als Phrase fristet,
in einem grellen Augenblicke seine ewige Wahrheit zu er¬
kennen gibt, denn plötzlich geht ihm der tiefe Sinn eines
Wortes auf, das ihm früher schal geklungen: Der Tod ver¬
söhnt. Und er weiß es: wenn er jetzt mit einemmale jenem
Anderen gegenüberstände, er würde nicht nach gewaltigen und
strafenden Worten suchen, die ihm wie eine lächerliche
Wichtigthuerei irdischer Kleinlichkeit der Hoheit des Todes
gegenüber erschienen — nein, er würde ihm ruhig sagen:
Geh', ich hasse Dich nicht.
Er kann ihn nicht hassen, er sieht zu klar. So tief
kann er in andere Seelen schauen, daß es ihn beinahe be¬
fremdet. Es ist, als wäre es gar nicht mehr sein Erlebniß
er fühlt es als einen zufälligen Umstand, daß diese
Geschichte gerade ihm begegnet ist. Er kann eigentlich nur
eines nicht verstehen: daß er es nicht immer, nicht gleich von
Anfang an gewußt und — begriffen hat. Es war Alles so
einfach, so selbstverständlich, und aus denselben Gründen
kommend wie in tausend anderen Fällen. Er erinnert sich
seiner Frau, wie er sie im ersten, zweiten Jahre seiner
Ehe gekannt, dieses zärtlichen, beinahe wilden Geschöpfes,
das ihm damals mehr eine Geliebte gewesen ist, als eine
Gattin. Und hat er denn wirklich geglaubt, daß dieses
blühende und verlangende Wesen, weil über ihn die ge¬
dankenlose Müdigkeit der Ehe kam — eine andere geworden
ist? Hat er diese Flammen für vlötzlich erloschen gehalten,
weil er sich nicht mehr nach ihnen sehnte? Und daß es
gerade
— Jener war, der ihr gefiel, war das etwa
verwunderlich? Wie oft, wenn er seinem jüngeren Freunde
gegenübersaß, der trotz seiner dreißig Jahre noch die Frische
und Weichheit des Jünglings in den Zügen und in der
Stimme hatte — wie oft ist es ihm da durch den Sinn
gefahren: Der muß den Weibern wohl gefallen können. ...
Und nun erinnert er sich auch, wie im vorigen Jahre,
gerade damals, als ... es begonnen haben mußte, wie
Hugo damals eine ganze Zeit hindurch ihn seltener besuchen
kam als sonst. . .. Und er, der richtige Ehemann, hat es
ihm damals gesagt: Warum kommst Du denn nicht mehr zu
uns? Und hat ihn selbst manchmal aus dem Bureau abge¬
holt, hat ihn mit herausgenommen auf's Land, und, wenn
er fortwollte, het er selbst ihn zurückgehalten mit freund¬
schaftlich scheltenden Worten. Und niemals hat er was be¬
merkt, nie das geringste geahnt. Hat er denn die Blicke der
Beiden nicht gesehen, die sich feucht und heiß begegneten?
Hat er das Beben ihrer Stimmen nicht belauscht, wenn sie
zu einander redeten? Hat er das bange Schweigen nicht zu
deuten gewußt, das zuweilen über ihnen war, wenn sie in den
Alleen des Gartens hin= und herspazierten? Und hat er
denn nicht bemerkt, wie Hugo so oft zerstreut, lannisch und
traurig gewesen ist — seit jenen Sommertagen des vorigcn!
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