31. Im Spiel der Sonnerluefte
M.
N. uh
Mu
Agus Suisse et Intemationel de la Presse S. A.
23, Rue du Rhöne - GENEVE
Adr. télégr.: Coupures-Genéve — Tél. 44.005
Bureau International de coupures de journaux.
Traductions de et en toutes langnes.
—
Correspondants dans toutes ies grandes villes.
Extrait du Journal:
Adresse:
Dariegen were ede —n
SCHNTZLER-URAUFFUHRUNG.
„Ipiel der Sommerlüfte“ im Wiener Deutschen
Vollkstheater.
Arthur Schnitzlers „Spiel der Sommerlüfte“ eine
wohlgesetzte und zärtliche' Sonate, etklingt in jenem Menschen¬
raume, den wir seit dreissig Jahren so gut kennen: da ist das
junge Geschöpf, die Schauspielerin, die ins Leben hinaus will,
und der Gymnasiast, der sierim Handgelenk packt. Der halbe
Bräutigam, der verzichten muss. Der Offizier, der im Duell
fast fällt. Derletwas eitle Bildhauer, der die Scele seiner Frau
unbefriedigt lässt; ein guter Geistlicher, der diese Seele strei¬
chelt und den Körper nicht uimmt. All dies wohlbekannte Ge¬
schick aber bleibt untragisch, die Sommerlüfte sind es. die es
zum Tönen gebracht haben — und zum eigentlichen Helden des
Kammerspiels rückt ein Nachtgewitler auf, das mit Regen¬
rauschen und pompösem Donnerschlag droht, ohne zu strafen,
und reinigt, ohne zu vernichten. Am ersten Frühherbsttage steht
die kleine Welt der Herzen und des Wiener Waldes unver¬
mindert da, und unzerstört. Der Herr des Donuers ging ferne
vorüber.
Es spricht für die innige Meisterschaft Arthur Schnitzlers,
dass diese Dinge — so fern unserer geistigen Problematik —
allein durch die Kraft des Seelischen uns anzurühren vermögen.
Schwerstes Meuschenunglück ist im vergangenen Jahre über das
liebe Haupt Arthur Schnitzlers niedergefahren. Wenn das
Sterben des Teuersten, wenn ein Vaterschmerz genügen könnte,
aus einem leisen Dichter einen Patheliker zu machen: so wäre,
hier die Gelegenheit gewesen. Aber Schnitzler, sich selber treu,
zeigte den Blitz und vermied den Einseblag. Auf. solchen
linden Sonatenton, auf solche im vorhinein fühlbare Erlösung
aus Krampf und Furcht, war auch die Aufführung des Deutschen
Volkstheaters gestellt, Mit dem aus Gelassenheit und Baugnis
eine Einheit schaffenden Moissi als Priester, mit Hans Olden
als Vorkriegsleulnant aus dem Regiment Schnitzler, und mit der
rührenden Luise Ullrich. (Das ist eine Naive — also elwas
sehr Seltenes.) Und auch ein Regen war da, der vier Tage
vor Weihnachten, in einer steruklaren Frostuacht, besonders
schön rauschte: Das „Tbealer ersetzt die Jahreszeiten.
I. E. J.
box 34/4
1062-0e 4. 29. 0 29 h. 391
Der neue Schnitzler
„Im Spiel der Sommerlüfte“
Wien, 21. Dezember
Schnitzlers neues Werk „Im Spiel der Sommerlüfte“ ist, wie
der Franzose sagt, eine bluctte. Nur wie von fern berührt er
diesmal erotische Probleme; es gibt keinen tragischen Ausgang;
da auch zur Zeit der k. k. Leutnants Mädchen nicht immer gleich
sterben, Duelle nicht den tödlichen Ausgang nehmen mußten. Und
wo die Moral zu kurz kommt, geschieht es mit soviel duldsamer
Ironie, daß man an posthume Läuterung einer versunkenen Welt
in den Augen ihres zum Glück überlebenden Dichters glauben
könnte.
Sommerhäuschen des akademischen Bildhauers Vinzenz Fried¬
lein im Wiener Wald. Der Professor muß oft nach der Stadt
fahren, zu Werkstatt und Modellen; Frau Josefa betreut den
Sohn und schlechten Hellenisten, dazu die Nichte, die Gusti, die
demnächst im Innsbrucker Theater als Julia debütieren wird,
arme Halbweise, hübsch, hektisch, verlobt mit dem Spitalhilfsarzt
Dr. Faber, der die Sache ernst nimmt und doch mit seinen fünfzig
Gulden monatlich nicht heiraten kann. Hochwürden, der Kaplan
Ferdinand Holl, kommt oft in den Garten der Künstlervilla, um
an der Resignation der Frau Josefa beschaulichen Anteil zu
nehmen. Sein Pruder, der Leutnant Robert Holl, trifft aus
Innsbruck auf kurzen Besuch ein, freut sich auf die künftige Julia.
Der junge Eduard verliebt sich in die Base, der er beim Rollen¬
studium als Romco das Stichwort geben kann; sie behandelt ihn
als Schulbub, mit Mitleid. Der Kaplan hat einen zurückgelasse¬
nen Brief des Bruders gefunden; Duell im Morgengrauen; Ab¬
schied, wenn er fällt. So ist der priesterliche Ferdinand zu Frau
Josefa gegangen und aus dem Beichtiger ein Beichtender ge¬
worden; in seiner Verzweiflung beichtet er Zweifel. Eine große
menschliche, nicht religionsfeindliche Szene, aus der er an ein
Sterbebett im Dorfe zu eilen hat.
Im Frühlicht kommen Romeo und Julia aus der Schutzhütte
vom Berge zurück. Aus dem Schuljungen ist ein junger Mann
geworden. Das Duell verlief glimpflich; der Bruder Kaplan
dankt Frau Josefa für menschlichen Zuspruch. In der Zeitung
steht schon, daß die Gusti nach Innsbruck engagiert ist, und der
eifersüchtige Sommerverlobte und Spitalhilfsarzt wird von der
Julia nett und fast schmerzlos abgedankt. Ihr Nomeo ist schon
mit dem Kaplan auf dem Weg zum Botanisieren und so kann sie
an den geretteten Innsbrucker Leutnant denken, der ihr ganz gut
gefiel. Der akademische Bildhauer kommt aus Wien zurück, und
es zeigt sich, daß es mit den Modellen gar nicht so ernst war —
Frau Josefa wird ihren Künstler ganze vierzehn Tage für sich
haben und vielleicht gar für eine Italienreise.
Moissi war ein Kaplan reinster Demut, Frau Terwin die
sommerliche Professorengattin, die am Plichtweg bleibt und anderen
zu sagen wagt, daß es nicht immer der bichtige sein muß. Dr. Beer
ließ ein eigens gebautes Wiener Wald=Haus auf der Drehbühne
von allen Seiten bewundern. Schnitzler tat gut daran, mit
diesem leichten Aquarell, das fernab ist von der Richtung seiner
letzten gesellschaftlichen „Komödie der Verführung“ die Burg zu
meiden und die Uraufführung dem Deutschen Volks¬
theater zu überlassen. Das Publikum war dem wunderbar,
geschickten psychologischen Gynäkologen Dr. Schnitzler wieder ein¬
mal von Herzen verbunden.
Karl Lahm.,
M.
N. uh
Mu
Agus Suisse et Intemationel de la Presse S. A.
23, Rue du Rhöne - GENEVE
Adr. télégr.: Coupures-Genéve — Tél. 44.005
Bureau International de coupures de journaux.
Traductions de et en toutes langnes.
—
Correspondants dans toutes ies grandes villes.
Extrait du Journal:
Adresse:
Dariegen were ede —n
SCHNTZLER-URAUFFUHRUNG.
„Ipiel der Sommerlüfte“ im Wiener Deutschen
Vollkstheater.
Arthur Schnitzlers „Spiel der Sommerlüfte“ eine
wohlgesetzte und zärtliche' Sonate, etklingt in jenem Menschen¬
raume, den wir seit dreissig Jahren so gut kennen: da ist das
junge Geschöpf, die Schauspielerin, die ins Leben hinaus will,
und der Gymnasiast, der sierim Handgelenk packt. Der halbe
Bräutigam, der verzichten muss. Der Offizier, der im Duell
fast fällt. Derletwas eitle Bildhauer, der die Scele seiner Frau
unbefriedigt lässt; ein guter Geistlicher, der diese Seele strei¬
chelt und den Körper nicht uimmt. All dies wohlbekannte Ge¬
schick aber bleibt untragisch, die Sommerlüfte sind es. die es
zum Tönen gebracht haben — und zum eigentlichen Helden des
Kammerspiels rückt ein Nachtgewitler auf, das mit Regen¬
rauschen und pompösem Donnerschlag droht, ohne zu strafen,
und reinigt, ohne zu vernichten. Am ersten Frühherbsttage steht
die kleine Welt der Herzen und des Wiener Waldes unver¬
mindert da, und unzerstört. Der Herr des Donuers ging ferne
vorüber.
Es spricht für die innige Meisterschaft Arthur Schnitzlers,
dass diese Dinge — so fern unserer geistigen Problematik —
allein durch die Kraft des Seelischen uns anzurühren vermögen.
Schwerstes Meuschenunglück ist im vergangenen Jahre über das
liebe Haupt Arthur Schnitzlers niedergefahren. Wenn das
Sterben des Teuersten, wenn ein Vaterschmerz genügen könnte,
aus einem leisen Dichter einen Patheliker zu machen: so wäre,
hier die Gelegenheit gewesen. Aber Schnitzler, sich selber treu,
zeigte den Blitz und vermied den Einseblag. Auf. solchen
linden Sonatenton, auf solche im vorhinein fühlbare Erlösung
aus Krampf und Furcht, war auch die Aufführung des Deutschen
Volkstheaters gestellt, Mit dem aus Gelassenheit und Baugnis
eine Einheit schaffenden Moissi als Priester, mit Hans Olden
als Vorkriegsleulnant aus dem Regiment Schnitzler, und mit der
rührenden Luise Ullrich. (Das ist eine Naive — also elwas
sehr Seltenes.) Und auch ein Regen war da, der vier Tage
vor Weihnachten, in einer steruklaren Frostuacht, besonders
schön rauschte: Das „Tbealer ersetzt die Jahreszeiten.
I. E. J.
box 34/4
1062-0e 4. 29. 0 29 h. 391
Der neue Schnitzler
„Im Spiel der Sommerlüfte“
Wien, 21. Dezember
Schnitzlers neues Werk „Im Spiel der Sommerlüfte“ ist, wie
der Franzose sagt, eine bluctte. Nur wie von fern berührt er
diesmal erotische Probleme; es gibt keinen tragischen Ausgang;
da auch zur Zeit der k. k. Leutnants Mädchen nicht immer gleich
sterben, Duelle nicht den tödlichen Ausgang nehmen mußten. Und
wo die Moral zu kurz kommt, geschieht es mit soviel duldsamer
Ironie, daß man an posthume Läuterung einer versunkenen Welt
in den Augen ihres zum Glück überlebenden Dichters glauben
könnte.
Sommerhäuschen des akademischen Bildhauers Vinzenz Fried¬
lein im Wiener Wald. Der Professor muß oft nach der Stadt
fahren, zu Werkstatt und Modellen; Frau Josefa betreut den
Sohn und schlechten Hellenisten, dazu die Nichte, die Gusti, die
demnächst im Innsbrucker Theater als Julia debütieren wird,
arme Halbweise, hübsch, hektisch, verlobt mit dem Spitalhilfsarzt
Dr. Faber, der die Sache ernst nimmt und doch mit seinen fünfzig
Gulden monatlich nicht heiraten kann. Hochwürden, der Kaplan
Ferdinand Holl, kommt oft in den Garten der Künstlervilla, um
an der Resignation der Frau Josefa beschaulichen Anteil zu
nehmen. Sein Pruder, der Leutnant Robert Holl, trifft aus
Innsbruck auf kurzen Besuch ein, freut sich auf die künftige Julia.
Der junge Eduard verliebt sich in die Base, der er beim Rollen¬
studium als Romco das Stichwort geben kann; sie behandelt ihn
als Schulbub, mit Mitleid. Der Kaplan hat einen zurückgelasse¬
nen Brief des Bruders gefunden; Duell im Morgengrauen; Ab¬
schied, wenn er fällt. So ist der priesterliche Ferdinand zu Frau
Josefa gegangen und aus dem Beichtiger ein Beichtender ge¬
worden; in seiner Verzweiflung beichtet er Zweifel. Eine große
menschliche, nicht religionsfeindliche Szene, aus der er an ein
Sterbebett im Dorfe zu eilen hat.
Im Frühlicht kommen Romeo und Julia aus der Schutzhütte
vom Berge zurück. Aus dem Schuljungen ist ein junger Mann
geworden. Das Duell verlief glimpflich; der Bruder Kaplan
dankt Frau Josefa für menschlichen Zuspruch. In der Zeitung
steht schon, daß die Gusti nach Innsbruck engagiert ist, und der
eifersüchtige Sommerverlobte und Spitalhilfsarzt wird von der
Julia nett und fast schmerzlos abgedankt. Ihr Nomeo ist schon
mit dem Kaplan auf dem Weg zum Botanisieren und so kann sie
an den geretteten Innsbrucker Leutnant denken, der ihr ganz gut
gefiel. Der akademische Bildhauer kommt aus Wien zurück, und
es zeigt sich, daß es mit den Modellen gar nicht so ernst war —
Frau Josefa wird ihren Künstler ganze vierzehn Tage für sich
haben und vielleicht gar für eine Italienreise.
Moissi war ein Kaplan reinster Demut, Frau Terwin die
sommerliche Professorengattin, die am Plichtweg bleibt und anderen
zu sagen wagt, daß es nicht immer der bichtige sein muß. Dr. Beer
ließ ein eigens gebautes Wiener Wald=Haus auf der Drehbühne
von allen Seiten bewundern. Schnitzler tat gut daran, mit
diesem leichten Aquarell, das fernab ist von der Richtung seiner
letzten gesellschaftlichen „Komödie der Verführung“ die Burg zu
meiden und die Uraufführung dem Deutschen Volks¬
theater zu überlassen. Das Publikum war dem wunderbar,
geschickten psychologischen Gynäkologen Dr. Schnitzler wieder ein¬
mal von Herzen verbunden.
Karl Lahm.,