S
31. Im. Spielder Sonnerluefte
Rhein-Westfälische Ztg., Essen
Nr.
657
2 6 HEr. 1929
Schnitzler: „Im Spiel der Sommerlüste“
Uraufführung im Wiener Deutschen
Volkstheater
* Wien, 23. Dezember.
Es gab eine Zelt, darin nars Stück von Arthur Schnitzler
für das literarische Wien ein Kreignis bedeutete, heute ist es
eine Art gesellschaftliche#Verp#schtung, die absolviert werden muß.
Arthur Schnitzterst ing Hau aus Arzt und sollte auf die sicht¬
baren Alterserscheinungen semer eigenen Muse achtgeben. Hätte
er es getan, sö hätten die Sommerlüfte ihr Spiel vielleicht ver¬
tagt, denn ihnen fehlt vollends das, was die Schnitzlersche Dra¬
matik auch für jene, die ihr in ihrer ganzen Anlage, vor allem
aber in ihrer ewigen erotischen Wiederkehr ablehnend gegenüber¬
gestanden sind, zu einem Anreiz psychologischer Ueberlegung zu
machen pflegte. Schnitzlers müde Dramatik, die sich auf den
Höhepunkten seines Schaffens, mit einer in der Wurzel zumeist
gutmütigen Wienerischen Dekadenz ganz glücklich zu paaren
pflegte, hat sich in diesem seinem neuesten Werk zu einer aus¬
gesprochenen Langeweile und Schläfrigkeit gesteigert. Es sind
wohl dieselben Menschen und dieselben seelischen Konflikte, das¬
selbe Spiel zusammengemischt aus Hemmungslosigkeit, jugend¬
lichem Ueberschwang, Neugier und genießerischer Nonchalance, aber
doch fehlt ihnen der Hauch der Ursprünglichken, die Wienerische
Feschheit, die gewisse Lebensfreude, die aufleuchten muß, wenn
diese Art Gesellschaftskritik Bestand haben will.
Der Dichter hat sich zum Schauplatz der Handlung ein Som¬
merhäuschen im Wiener Wald erwählt, das Heim eines berühm¬
ten Bildhauers, der viel seine eigenen Wege geht, weil er in die
Liebe zu seiner Kunst auch die Liebe zu seinen Modellen ein¬
geschlossen hat. Er bleibt nur Episode und geht somit auch an
zwei Frauenleben in seiner unmittelbaren Nähe nur ferne vor¬
über, an dem seiner eigenen Frau, die mit ihrem siebzehnjährigen
Sohn nicht altern möchte und aus derem sanften zurückgedräng¬
ten Triebleben doch so etwas wie Lebensbejahung hervorbrechen
möchte, und an einer jungen Nichte, die, Absolventin einer Schau¬
spielschule mit dem ersten Engagement in der Tasche, praktischer
L# enskunde sich befleißigt und ihr Rollenstudium plastisch zu
gestalten sucht. Ein braver Arzt geht ob seiner spießerischen
Eifersucht an ihr zwar nicht zugrunde, aber durch die Mitte ab.
Mit dem sehr jungen Vetter begibt sich dank dem zum Gewitter¬
sturm ausgearteten Sommerlüftespiel in einer entgegenkommen¬
den Hütte allerlei Allzumenschliches, und wenn die kleine Gusti
nach Innsbruck abfährt, so weiß man, daß sie bei einem k. u. k.
Leutnant, der nebenbei ein Duell glücklich erledigt, vorerst gut
aufgehoben sein wird. Hier hüpft wieder einmal das gute alte
„süße Mädel“ im Girardihut und in langen Kleidern vor seinem
dichterischen Nährvater mit viel gutem Willen, aber unzureichen¬
der Begabung über die Schnitzlersche Bühne.
— Durch dieses
Treiben zieht als Hauptperson ein geistlicher Herr seine Straße,
Freund des Hauses, Erzieher des jungen Sohnes und Bruder
des k. u. k. Leutnants aus Innsbruck. Ein Brief, in dem sein
Bruder für alle Fälle von ihm Abschied nimmt, falls ihm bei 1#
box 34/4
seinem Ehrenhandel etwas Menschliches zustoßen sollte, gibt ihm
Gelegenheit für eine unendlich lange, biswenen zu dramatischen
Ansätzen sich steigernde Unterhaltung mit der abgeklärten Frau des
Hauses. Es kommt zu einer gegenseitigen Beichte, bei der sich die
Frau auf das Beispiel des Kaplans stützen möchte, der mit seinen
Wünschen für die Rettung des Bruders der Vorsehung in das
Handwerk pfuschen will. Auch die einsam Gewordene, die in ihrer
Nichte die selbst gewählte Freiheit ahnt, verlangt es nach einem
Erleben mit einer gleich gestimmten Seele. Vielleicht ist es der
Kaplan? Während draußen der Donner grollt und Gatte und
Sohn fernab geborgen nach verbotenen Früchten naschen, ringen
die zwei Menschen gegen einander, um, sich gegenseitig den Weg
zur Selbstüberwindung bahnend, wieder in das alte Geleise der
Entsagung und der Pflichterfüllung einzumünden.
Den Kaplan spielt Moissi und gibt mit seiner schauspiele¬
rischen Kunst dem ganzen Stück Folie, die es sonst entbehrt. Man
könnte diese Szene aus dem Ganzen herausschneiden und sich an
ihrer Problematik Genüge sein lassen. Und doch ist sie zu wenig,
um für das übrige dramatische Geschehen, das blutleer bleibt,
einen soliden Unterbau zu bilden.
Die Darstellung bemühte sich anerkennenswert. Neben Moissi
Frau Terwin als Frau und Mutter und Fräulein Ullrich;
als das wiederauferstandene süße Mädel, ein wenig Genie, ein
wenig Leidenschaft, ein wenig Backfischlein mit einem Spritzer!
unbewußter Verderbtheit. Von allem, wie gesagt, zu wenig, um
aus den Verzettelungen ein Ganzes zu machen.
Die Aufnahme des Stückes war freundlich, selbstverständlicht
ließ das Wiener Premieren=Publikum seinen Arthur Schnitzler
nicht im Stich. Aber es kostete doch einige Mül, sich zu Daylk
und Beifall durchzuringen.
Dr. Hans Hartmeren.—
31. Im. Spielder Sonnerluefte
Rhein-Westfälische Ztg., Essen
Nr.
657
2 6 HEr. 1929
Schnitzler: „Im Spiel der Sommerlüste“
Uraufführung im Wiener Deutschen
Volkstheater
* Wien, 23. Dezember.
Es gab eine Zelt, darin nars Stück von Arthur Schnitzler
für das literarische Wien ein Kreignis bedeutete, heute ist es
eine Art gesellschaftliche#Verp#schtung, die absolviert werden muß.
Arthur Schnitzterst ing Hau aus Arzt und sollte auf die sicht¬
baren Alterserscheinungen semer eigenen Muse achtgeben. Hätte
er es getan, sö hätten die Sommerlüfte ihr Spiel vielleicht ver¬
tagt, denn ihnen fehlt vollends das, was die Schnitzlersche Dra¬
matik auch für jene, die ihr in ihrer ganzen Anlage, vor allem
aber in ihrer ewigen erotischen Wiederkehr ablehnend gegenüber¬
gestanden sind, zu einem Anreiz psychologischer Ueberlegung zu
machen pflegte. Schnitzlers müde Dramatik, die sich auf den
Höhepunkten seines Schaffens, mit einer in der Wurzel zumeist
gutmütigen Wienerischen Dekadenz ganz glücklich zu paaren
pflegte, hat sich in diesem seinem neuesten Werk zu einer aus¬
gesprochenen Langeweile und Schläfrigkeit gesteigert. Es sind
wohl dieselben Menschen und dieselben seelischen Konflikte, das¬
selbe Spiel zusammengemischt aus Hemmungslosigkeit, jugend¬
lichem Ueberschwang, Neugier und genießerischer Nonchalance, aber
doch fehlt ihnen der Hauch der Ursprünglichken, die Wienerische
Feschheit, die gewisse Lebensfreude, die aufleuchten muß, wenn
diese Art Gesellschaftskritik Bestand haben will.
Der Dichter hat sich zum Schauplatz der Handlung ein Som¬
merhäuschen im Wiener Wald erwählt, das Heim eines berühm¬
ten Bildhauers, der viel seine eigenen Wege geht, weil er in die
Liebe zu seiner Kunst auch die Liebe zu seinen Modellen ein¬
geschlossen hat. Er bleibt nur Episode und geht somit auch an
zwei Frauenleben in seiner unmittelbaren Nähe nur ferne vor¬
über, an dem seiner eigenen Frau, die mit ihrem siebzehnjährigen
Sohn nicht altern möchte und aus derem sanften zurückgedräng¬
ten Triebleben doch so etwas wie Lebensbejahung hervorbrechen
möchte, und an einer jungen Nichte, die, Absolventin einer Schau¬
spielschule mit dem ersten Engagement in der Tasche, praktischer
L# enskunde sich befleißigt und ihr Rollenstudium plastisch zu
gestalten sucht. Ein braver Arzt geht ob seiner spießerischen
Eifersucht an ihr zwar nicht zugrunde, aber durch die Mitte ab.
Mit dem sehr jungen Vetter begibt sich dank dem zum Gewitter¬
sturm ausgearteten Sommerlüftespiel in einer entgegenkommen¬
den Hütte allerlei Allzumenschliches, und wenn die kleine Gusti
nach Innsbruck abfährt, so weiß man, daß sie bei einem k. u. k.
Leutnant, der nebenbei ein Duell glücklich erledigt, vorerst gut
aufgehoben sein wird. Hier hüpft wieder einmal das gute alte
„süße Mädel“ im Girardihut und in langen Kleidern vor seinem
dichterischen Nährvater mit viel gutem Willen, aber unzureichen¬
der Begabung über die Schnitzlersche Bühne.
— Durch dieses
Treiben zieht als Hauptperson ein geistlicher Herr seine Straße,
Freund des Hauses, Erzieher des jungen Sohnes und Bruder
des k. u. k. Leutnants aus Innsbruck. Ein Brief, in dem sein
Bruder für alle Fälle von ihm Abschied nimmt, falls ihm bei 1#
box 34/4
seinem Ehrenhandel etwas Menschliches zustoßen sollte, gibt ihm
Gelegenheit für eine unendlich lange, biswenen zu dramatischen
Ansätzen sich steigernde Unterhaltung mit der abgeklärten Frau des
Hauses. Es kommt zu einer gegenseitigen Beichte, bei der sich die
Frau auf das Beispiel des Kaplans stützen möchte, der mit seinen
Wünschen für die Rettung des Bruders der Vorsehung in das
Handwerk pfuschen will. Auch die einsam Gewordene, die in ihrer
Nichte die selbst gewählte Freiheit ahnt, verlangt es nach einem
Erleben mit einer gleich gestimmten Seele. Vielleicht ist es der
Kaplan? Während draußen der Donner grollt und Gatte und
Sohn fernab geborgen nach verbotenen Früchten naschen, ringen
die zwei Menschen gegen einander, um, sich gegenseitig den Weg
zur Selbstüberwindung bahnend, wieder in das alte Geleise der
Entsagung und der Pflichterfüllung einzumünden.
Den Kaplan spielt Moissi und gibt mit seiner schauspiele¬
rischen Kunst dem ganzen Stück Folie, die es sonst entbehrt. Man
könnte diese Szene aus dem Ganzen herausschneiden und sich an
ihrer Problematik Genüge sein lassen. Und doch ist sie zu wenig,
um für das übrige dramatische Geschehen, das blutleer bleibt,
einen soliden Unterbau zu bilden.
Die Darstellung bemühte sich anerkennenswert. Neben Moissi
Frau Terwin als Frau und Mutter und Fräulein Ullrich;
als das wiederauferstandene süße Mädel, ein wenig Genie, ein
wenig Leidenschaft, ein wenig Backfischlein mit einem Spritzer!
unbewußter Verderbtheit. Von allem, wie gesagt, zu wenig, um
aus den Verzettelungen ein Ganzes zu machen.
Die Aufnahme des Stückes war freundlich, selbstverständlicht
ließ das Wiener Premieren=Publikum seinen Arthur Schnitzler
nicht im Stich. Aber es kostete doch einige Mül, sich zu Daylk
und Beifall durchzuringen.
Dr. Hans Hartmeren.—