31. Im Spielder Somneriuefte
Der neue Schnißler.
90
„Im Spiel der Sommerlüfte“.
Uraufführung im Wiener Deutschen Volkstheater.
Es gab eine Zeit, da ein neues Stück von Schnitzler für das
literarische Wien ein Ereignis bedeutete, heute ist es eine Art
gesellschaftliche Verpflichtung, die absolviert werden muß. Arthur
Schnitzler ist von Hause aus Arzt und sollte auf die sichtbaren
Alterserscheinungen seiner eigenen Muse acht geben. Hätte er es
getan, so hätten die Sommerlüfte ihr Spiel vielleicht vertagt; denn
ihnen fehlt vollends das, was die Schnitzlersche Dramatik auch
für jene, die ihr in ihrer ganzen Anlage, vor allem aber in ihrer
ewigen erotischen Wiederkehr ablehnend gegenübergestanden sind,
zu einem Anreiz psychologischer Überlegung zu machen pflegte.
Schnitzlers müde Dramatik, die sich auf den Höhepunkten seines
Schaffens, mit einer in der Wurzel zumeist gutmütigen wienerischen
Dekadenz ganz glücklich zu paaren pflegte, hat sich in diesem seinem
neuesten Werk zu einer ausgesprochenen Langeweile und Schläf¬
rigkeit gesteigert. Es sind wohl dieselben Menschen und dieselben
seelischen Konflikte, dasselbe Spiel zusammengemischt aus
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Hemmungslosigkeit, jugendlichem Überschwang, Neugier und
genießerischer Nonchalance, aber doch fehlt ihnen der Hauch der
Ursprünglichkeit, die wienerische Feschheit, die gewisse Lebensfreude,
die aufleuchten muß, wenn diese Art Gesellschaftskritik Bestand
haben soll.
Der Dichter hat sich zum Schauplatz der Handlung ein
Sommerhäuschen im Wiener Wald erwählt, das Heim eines be¬
rühmten Bildhauers, der viel seine eigenen Wege geht, weil er
in die Liebe zu seiner Kunst auch die Liebe zu seinen Modellen
eingeschlossen hat. Er bleibt nur Episode und geht somit auch an
zwei Frauenleben in seiner unmittelbaren Nähe nur ferne vor¬
über, an dem seiner eigenen Frau, die mit ihrem siebzehnjährigen
Sohn nicht altern möchte und aus deren sanftem zurückgedrängten
Triebleben doch so etwas wie Lebensbejahung hervorbrechen möchte,
und an einer jungen Nichte, die, Absolventin einer Schauspiel¬
schule mit dem ersten Engagement in der Tasche, praktischer
Lebenskunde sich befleißigt und ihr Rollenstudium plastisch zu
gestalten sucht. Ein braver Arzt geht ob seiner spießerischen Eifer¬
sucht an ihr zwar nicht zugrunde, aber durch die Mitte ab. Mit dem
sehr jungen Vetter begibt sich dank dem zum Gewittersturm aus¬
gearteten Sommerlüftespiel in einer entgegenkommenden Hütte
allerlei Allzumenschliches, und wenn die kleine Gusti nach Inns¬
bruck abfährt, so weiß man, daß sie bei einem k. u. k. Leutnant,
der nebstbei ein Duell glücklich erledigt, vorerst gut aufgehoben
sein wird. Hier hüpft wieder einmal das gute alte „süße Mädel“
im Girardihut und in langen Kleidern vor seinem dichterischen
Nährvater mit viel gutem Willen, aber unzureichender Begabung
über die Schnitzlersche Bühne. Durch dieses Treiben zieht als
Hauptperson ein geistlicher Herr seine Straße, Freund des Hauses,
Erzieher des jungen Sohnes und Bruder des k. u. k. Leutnants
aus Innsbruck. Ein Brief, in dem sein Bruder für alle Fälle
von ihm Abschied nimmt, falls ihm bei seinem Ehrenhandel etwas
Menschliches zustoßen sollte, gibt ihm Gelegenheit für eine unend¬
lich lange, bisweilen zu dramatischen Ansätzen sich steigernde
Unterhaltung mit der abgeklärten Frau des Hauses. Es kommt zu
einer gegenseitigen Beichte, bei der sich die Frau auf das Beispiel
des Kaplans stützen möchte, der mit seinen Wünschen für die
Rettung des Bruders der Vorsehung in das Handwerk pfuschen will.
Auch die einsam Gewordene, die in ihrer Nichte die selbstgewählte
Freiheit ahnt, verlangt es nach einem Erleben mit einer gleich¬
gestimmten Seele. Vielleicht ist es der Kaplan? Während draußen
der Donner grollt und Gatte und Sohn fernab an verbotenen
Früchten naschen, ringen die zwei Menschen gegeneinander, um,
sich gegenseitig den Weg zur Selbstüberwindung bahnend, wieder
in das alte Geleise der Entsagung und der Pflichterfüllung ein¬
zumünden.
Den Kaplin spielt Moissi und gibt mit seiner schauspiele¬
rischen Kunst dem ganzen Stück Folie, die es sonst entbehrt. Man
könnte diese Szene aus dem Ganzen herausschneiden und sich an
ihrer Problematik Genüge sein lassen. Und doch ist sie zu wenig.
um für das übrige dramatische Geschehen, das blutleer bleibt, einen
soliden Unterbau zu bilden.
Die Darstellung bemühte sich anerkennenswert. Neben Moissi
Frau Terwin als Frau und Mutier und Fräulein Ullrich als das
wiederauferstandene süße Mädel ein wenig Genie, ein wenig
Leidenschaft, ein wenig Backfischlein mit einem Spritzer
unbewußter Verderbtheit. Von allem, wie gesagt, zu wenig, um
aus den Verzettelungen ein Ganzes zu machen.
Die Aufnahme des Stückes war freundlich, selbstverständlich
ließ das Wiener Premieren=Publikum seinen Arthur Schnitzler
nicht im Stich, aber es kostete doch einige Mühe, sich zu Dank und
Beifall durchzuringen.
Dr. Hans Harimelgs
Mb MALW., %.35
2v.##. 1927.
Der neue Schnißler.
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„Im Spiel der Sommerlüfte“.
Uraufführung im Wiener Deutschen Volkstheater.
Es gab eine Zeit, da ein neues Stück von Schnitzler für das
literarische Wien ein Ereignis bedeutete, heute ist es eine Art
gesellschaftliche Verpflichtung, die absolviert werden muß. Arthur
Schnitzler ist von Hause aus Arzt und sollte auf die sichtbaren
Alterserscheinungen seiner eigenen Muse acht geben. Hätte er es
getan, so hätten die Sommerlüfte ihr Spiel vielleicht vertagt; denn
ihnen fehlt vollends das, was die Schnitzlersche Dramatik auch
für jene, die ihr in ihrer ganzen Anlage, vor allem aber in ihrer
ewigen erotischen Wiederkehr ablehnend gegenübergestanden sind,
zu einem Anreiz psychologischer Überlegung zu machen pflegte.
Schnitzlers müde Dramatik, die sich auf den Höhepunkten seines
Schaffens, mit einer in der Wurzel zumeist gutmütigen wienerischen
Dekadenz ganz glücklich zu paaren pflegte, hat sich in diesem seinem
neuesten Werk zu einer ausgesprochenen Langeweile und Schläf¬
rigkeit gesteigert. Es sind wohl dieselben Menschen und dieselben
seelischen Konflikte, dasselbe Spiel zusammengemischt aus
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Hemmungslosigkeit, jugendlichem Überschwang, Neugier und
genießerischer Nonchalance, aber doch fehlt ihnen der Hauch der
Ursprünglichkeit, die wienerische Feschheit, die gewisse Lebensfreude,
die aufleuchten muß, wenn diese Art Gesellschaftskritik Bestand
haben soll.
Der Dichter hat sich zum Schauplatz der Handlung ein
Sommerhäuschen im Wiener Wald erwählt, das Heim eines be¬
rühmten Bildhauers, der viel seine eigenen Wege geht, weil er
in die Liebe zu seiner Kunst auch die Liebe zu seinen Modellen
eingeschlossen hat. Er bleibt nur Episode und geht somit auch an
zwei Frauenleben in seiner unmittelbaren Nähe nur ferne vor¬
über, an dem seiner eigenen Frau, die mit ihrem siebzehnjährigen
Sohn nicht altern möchte und aus deren sanftem zurückgedrängten
Triebleben doch so etwas wie Lebensbejahung hervorbrechen möchte,
und an einer jungen Nichte, die, Absolventin einer Schauspiel¬
schule mit dem ersten Engagement in der Tasche, praktischer
Lebenskunde sich befleißigt und ihr Rollenstudium plastisch zu
gestalten sucht. Ein braver Arzt geht ob seiner spießerischen Eifer¬
sucht an ihr zwar nicht zugrunde, aber durch die Mitte ab. Mit dem
sehr jungen Vetter begibt sich dank dem zum Gewittersturm aus¬
gearteten Sommerlüftespiel in einer entgegenkommenden Hütte
allerlei Allzumenschliches, und wenn die kleine Gusti nach Inns¬
bruck abfährt, so weiß man, daß sie bei einem k. u. k. Leutnant,
der nebstbei ein Duell glücklich erledigt, vorerst gut aufgehoben
sein wird. Hier hüpft wieder einmal das gute alte „süße Mädel“
im Girardihut und in langen Kleidern vor seinem dichterischen
Nährvater mit viel gutem Willen, aber unzureichender Begabung
über die Schnitzlersche Bühne. Durch dieses Treiben zieht als
Hauptperson ein geistlicher Herr seine Straße, Freund des Hauses,
Erzieher des jungen Sohnes und Bruder des k. u. k. Leutnants
aus Innsbruck. Ein Brief, in dem sein Bruder für alle Fälle
von ihm Abschied nimmt, falls ihm bei seinem Ehrenhandel etwas
Menschliches zustoßen sollte, gibt ihm Gelegenheit für eine unend¬
lich lange, bisweilen zu dramatischen Ansätzen sich steigernde
Unterhaltung mit der abgeklärten Frau des Hauses. Es kommt zu
einer gegenseitigen Beichte, bei der sich die Frau auf das Beispiel
des Kaplans stützen möchte, der mit seinen Wünschen für die
Rettung des Bruders der Vorsehung in das Handwerk pfuschen will.
Auch die einsam Gewordene, die in ihrer Nichte die selbstgewählte
Freiheit ahnt, verlangt es nach einem Erleben mit einer gleich¬
gestimmten Seele. Vielleicht ist es der Kaplan? Während draußen
der Donner grollt und Gatte und Sohn fernab an verbotenen
Früchten naschen, ringen die zwei Menschen gegeneinander, um,
sich gegenseitig den Weg zur Selbstüberwindung bahnend, wieder
in das alte Geleise der Entsagung und der Pflichterfüllung ein¬
zumünden.
Den Kaplin spielt Moissi und gibt mit seiner schauspiele¬
rischen Kunst dem ganzen Stück Folie, die es sonst entbehrt. Man
könnte diese Szene aus dem Ganzen herausschneiden und sich an
ihrer Problematik Genüge sein lassen. Und doch ist sie zu wenig.
um für das übrige dramatische Geschehen, das blutleer bleibt, einen
soliden Unterbau zu bilden.
Die Darstellung bemühte sich anerkennenswert. Neben Moissi
Frau Terwin als Frau und Mutier und Fräulein Ullrich als das
wiederauferstandene süße Mädel ein wenig Genie, ein wenig
Leidenschaft, ein wenig Backfischlein mit einem Spritzer
unbewußter Verderbtheit. Von allem, wie gesagt, zu wenig, um
aus den Verzettelungen ein Ganzes zu machen.
Die Aufnahme des Stückes war freundlich, selbstverständlich
ließ das Wiener Premieren=Publikum seinen Arthur Schnitzler
nicht im Stich, aber es kostete doch einige Mühe, sich zu Dank und
Beifall durchzuringen.
Dr. Hans Harimelgs
Mb MALW., %.35
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