II, Theaterstücke 31, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 84

31. Im Spielder Sonnerluefte
Die Uraufführung von Arthur Schnitzler „Im
Spiel der Sommerlüfte“ am Deutschen Volks¬
theater unter Mitwirkung von Moissi und Regieleitung
von Direktor Beer war ein großer Erfolg. Schnitzlers
neuestes Stück ist mit einer Kammersymphonie zu ver¬
gleichen. Leichtbeschwingte Musik ohne Forte, ohne
grellen Anstrich, zarte Töne, vorzüglicher Aufbau,
reizende, dabei geistreiche Durchführung der Themen.
Die Vorgänge auf der Bühne werden von entsprechen¬
den Naturerscheinungen begleitet und wie ein auf¬
steigendes Gewitter, das zunächst gefährlich aussicht,
beruhigend abklingt, so lösen sich auch alle Konflikte
des Stückes harmonisch im schönsten Pianissimo.
Schnitzler bringt uns in seinem Stücke, das in einer
Sommerfrische im Wiener Walde spielt, durchaus ge¬
lungene Gestalten: den Bildhauer Friedlein, der ein
grofter Könner in künstlerischen Dingen, aber auch im
geheimen Hintergehen seiner noch jugendlichen Frau
ist. Diese selbst fühlt sich unverstanden und spinnt
daher zarte Liebesfäden zu dem schönen Kaplan, dem
Erzieher ihres Sohnes. Dieser Sohn entbrennt wieder
in Liebe zu seiner Base, obwohl er noch ein Schuljunge
ist, und die Base hält es gleich mit vier Männern, die
ihr den Hof machen Schnitzler wartet also in diesem
Stücke geradezu verschwenderisch mit Liebesware auf.
Mit der Rolle des Kaplans hat Moissi eine eigenartige.
wenngleich nicht immer glaubhafte Gestalt geschaffen,
die ihm von der Wiener Kritik allzu sehr verübelt
wurde.
Dr. jur. et phfl.
HUGO R. FLEISCHMANN
= WIEN =
III. Neulinggasse Nr. 11
34
Aussehit aus.
1e Lterstur, Stuttgart
Nr. 5
vom:
„Im Spiel der Sommerlüfte.“ In drei Auf¬
zügen. Von Arthur Schnitzler. (Uraufführung im
Deutschen Volkstheater am 21. Dezember 1929.)
Wenn die Herren Stehkragen, Girardihüte oder den
Waffenrock, die Damen lange Kleider und lange Haare
tragen, wenn Gehälter in Gulden ausbezahlt werden,
Gymnasiasten aus Griechisch durchfallen können, Ka¬
pläne Botanik treiben und der Neubau eines Theaters
seinen Giebelfries mit dem Triumphzug des Dionysos
schmückt — dann offenbar umgibt uns eine halkyo¬
nische Vergangenheit oder Vorvergangenheit, die be¬
kannte moderne Pastorale, in der, wie Schnitzler uns
wieder einmal glauben machen könnte, abgesehen von
ein bißchen Kunst nur eines zog, nur eines wog, nur
eines das Leben erfüllte und bis zum Überfließen, nur
eines das Leben lohnte und auch den Tod: die Liebe,
nein das Lieben. Wie auf einer Tapete späten Mittel¬
alters oder bei einem Petrarchisten ein richtiger
Triumph des Liebesgottes, hinter dessen Wagen die
Gefangenen einherschreiten, liebend und geliebt,
liebenswert und liebenswürdig, wohlbekannt und den¬
noch neu, kreuz und quer durch Rosenketten so leicht
gefesselt, daß es nur eines Rucks bedarf und alte Bin¬
dungen fallen, um durch neue ersetzt zu werden. Zu
solch einem Ruck genügt schon das von dem pretiösen
Titel unterstrichene Spiel der Sommerlüfte; wenn
hier der Sturm der Leidenschaften wüten will, gleich
wird auch er zu solchem Spiel der Sommerlüfte abge¬
dämpft. Und Sitte und Gesetz und Sittengesetz, zwar
mit großen Fragezeichen versehen, schneiden diesmal
erheblich besser ab, als wohl sonst bei Schnitzler. Mag
die betreffende Erörterung sich auch etwas lang ge¬
stalten, sie liegt auf so hoher Ebene, daß wir ihrer
nicht entraten möchten und den erotischen Reigen
gerne durch christliche und durch weltliche Resignation
ergänzt sehen. Überraschungen freilich hat das anmutige
Spiel nicht zu bieten, es wäre denn die, daß die Hand
seines Schöpfers noch immer mit alter Leichtigkeit und
Sicherheit gestaltet und lenkt.
Robert F. Arnold