Schnitzler im Kulturbund
Montag Trüh ist man zufällig auf dem Anhalter Bahnhof, da
hemerkt man vor dem direkten Wagen Prag Wien Rosa
##i inmitten eines großen Kreises, der freundschaftlich
und herzlich von ihr Abschied nimmnt. Die Künstlerin, die
mehrere Wochen hindurch der Mittelpunkt des Theaters des
Kusfarbundes war, verläßt Berlin
ein Zeichen, daß das
Repertoire sich ändert. Die zu so früher Stunde —
Abfahrt
7.54 Uhr = iu sie stehen, sind ihre Kollegen und Kolleginnen,
die Schanspieler vom Kulturbund. Plier merkt man, daß imter
diesen jüdischen Schauspielern, die, aus ihrer früheren Um¬
gebung herausgerissen, plotzlich unter ganz änderen Verhält¬
nissen spielen müssen und zum Teil vielleicht jetzt erst
erfahren haben, was Jndesein bedentet, so etwas wie eine Ge¬
meinschaft entstanden ist. Die Valetti war einst der Liebling
vieler Berliner, jetzt begleiten sie nur Juden, es mag
schmerzlich sein, aber es ist fast syinbolisch für uns alle:
manches wurde verloren, aber auch manches gewonnen, und
es hängt davon ab, was wir aus dem neuen, dem jüdischen
Gemeinschaftsgefchl zu machen vermögen.
Vom Bahnhof geht es wahrscheinlich zur letzten Probe,
und abends sicllt ma: dieselben Meuschen auf der Bühne in
der Sommerlüfte“, Es ist das
Schnitzlers „Im Spi
letzte Stück, das #e1 tler vor seinem Tode schrieb, der
alternde Schnitzler, dr. doch unverbrüchlich noch in derselben
Welt leht wie sein eigenes Schauspiel, in der Welt um 1000,
in jener Atmosphäre des franzisks, osefinischen Oesterreich, in
der die österreichische Eigenart zu einer liebenswürdigen,
weichen, untragischen Entfaltung kam, obwohl die Grund¬
lagen, auf denen diese Weit ruhte, bereits erbebten. So sehr
die Erinnerung an diese Welt denen, die sie miterlebt haben
und ihr schöne Stunden verdanken, wert sein mag, der heuti¬
gen Jugend, der Nachkriegsgeneration, hat sie wohl wenig zu
sagen. Die leichte Melanchoile, die Müdigkeit und Todes¬
äbnung, die uns aus der Literatur jenes Wien, in manchen
Gedichten Hofmannsthals, in den Novellen und Dramen Arthur
Schntiers entgegenwehen, tragen deutlich die Spuren des
Verzichtes und der Auflösung. Dieser Atmosphäre hat sich
ein jüdisches Element sehr stark eingeprägt. Denn dae
alte Volk der Judien mit seiner Gefühls- und Versiandes¬
intensität, das nun in der Spanne eines Jahrhunderts die ganze
europäische Bildung ausgenommen hatte und sich selbst immer
mehr hinsinken ließ, hatte nichts von der Tlärte, die zu Er¬
mannung und Taten treibt, wolll aber ein tiefes Verständnis
für die geheimen Regungen der Seele und — über alle Zweisel
hinweg — ein seines Empfinden für die Reize und die Schön¬
heit des Lebens, das mit allen seinen Konflikten zugleich unter
der Verspektive der Jahrtausende wie ein Traum vorüberzicht.
vielleicht kein Zufall, daß der repräsentative Dichter
dieses Wien der Jude Artlur Schnitzler war; aber wir Juden
müssen uns auch erinnern, daß dieser Schnitzler der Jugend¬
freund eines anderen Wiener Literaten, Thcodor Herzi's,
Wal, uat dem er einmal ein denkwürdiges Gespräch über
die Judenfrage hatte. Diesel Theodor Verzl, der auch die
Wiener Pomantik nicht verlengnen konnte, hatte andere
Träume als das Spiel der Sommerlüfte.
Dieses Spiel, das nun vor uns vorüberzicht, ist ein Spiel
von Liebe, Genuß und Verzicht, typisch geschene Figuren,
Situationen und Konflikte des alltäglichen Lebens, alles im
Gewande des Wienertums von 1000. Die „Handllung“ ist
dunn, mehr hingehaucht als dramatisch, der Gegenstand ist
zu „unbedeutend“, es ist wolll Schnitzlers schwächstes Stück,
aber doch auch voll keiner Pointen und kluger Giespräche
(Buchausgabe bei S. icher Verlag, Berlin). Im Vordergrunde
des Interesses stehen ei der Aufführung des Kulturbundes
die beiden Frauen, jer iy Schaffer ist die reise Frau an
der Schwelle des Alue;, die an dem Werk, dem der Mann
sich widmen muß, keinen vollen Anteil nehmen kann und
sich darum einsam fühlt; in dem Moment, wo ihr Mann eie
ihr wieder voll zuwendet, ist die Aufechtung, die in Gestalt
einer Zuneigung zum Kaplan sich geregt hatte, verklogen.
Neben ihr Mira Rosowsky als entzückende 10jährige Gusti,
in die sich alle Männer mehr oder weniger ernsthaft verlieben
und die dieser Situation sehr gut gewachsen ist. Beide Frauen
waren in Erscheinung und Spiel ausgezeichnet. Wenn Schnitz¬
ler Frau Josefa zu der angehenden Schauspielerin Gusti sagen
läßt, sie würde schon Erfolg haben „mit dem Giesichtl und der
Figur“ und von Talent“ nicht reden will, so kann man von
den zwei Schauspielerinnen dieser Aufführung sagen, daß sie
all dies in hohem Maß besitzen, und darum auch den ver¬
dienten Erfolg finden. Den Professor, der auf der Höhe des
Mannesalters mit überlegener Lebenskiugheit auf das wech¬
seinde Liebesspiel binabschaut, obwohll er selbst innerlich
nicht ganz unberührt ist, gibt Fritz Wisten mit der nötigen
weichen Würde. Als unglucklicher Liebhaber stellte sich ein
neuer Schauspieler, Walther Mertner, vor, der durch seine
undankbare Rolle handicapped war. Den Kaplan gab Martin
Brandt mit großer innerer Bewegtheit. Die religiösen Fra¬
gen, die in seinem Gesprach mit Fran Josefa hervorbrechen,
sind wohl nicht nur „christliche“ es sind Fragen der mensch¬
lichen Existenz überhaupt, mit denen jede Religion ferig in
werden hat. Trotzlem fragen wir uns, warum der Kulturbund
gerade ein Stuck gewählt hat, in dem ein christlicher Kaplan
die Hauptligur ist. In dem Dialog, dem Hehepunkt des
Stückes, ucht es um die degenübersteilung menschlicher und
göttlicher Weisheit und um die Aufgabe, Gott auch dort ge¬
treu zu sein, wo sein Ratschluß den Merschen unverstämtlich
oder dem eigenen Wunsch entgegengesett ist. Das ethische
und theolonische Problem der Rolle des Bösen in der Welt
(und in Gottes Heilsplan) wird hier von dem Skeptiker
„Im Spiel der Sommerlüfte
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□
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*
SU
Lra
Fotos: Links oben: Eduard (Friedeberg) und Pros. Friedlein (Wisten)
Josesa Friedlein (Schaffer) — Unten: Dr. Faber (Hertner). Gusti Pflegner
Zeichnungen: Links unten: Josesa Friedlein (Schaffer) und Kaplan H#
Gusti Pflegner (Rosowsky) und Leutnant Holl (Lenart) im I. Akt -
Potos und Mon
Gusti Pflegner (Rosowsky) im II. Akt.
Schnitzler gerade nur angedeutet. Die Frau ertappt den Priester
Nächste
bei seiner eigenen Schwäche, aber der Zweifel, der dann aus
ihm hervorbricht und den er niederkämpft, wird ebenso wenig
tragisch wie sonst irgendetwas in diesem Stück. Den Sohn
Friedrich
Eduard gibt keinz Friedeberg, ein junger Schauspieler,
der, wie mitgeteilt wurde, hier zum ersten Male auf der
Pilsna
Bühne stcht. Er hat das Jungenhafte, die Mischung von Un¬
Providence
gelenkigkeit, Lebensabnung und Verspieltheit sehr gut heraus¬
Helonan
gebracht. Ernst Leuart hatte diesmal nur die kleine Rolle des
Helouan
Lentnants zu betrenen. Außerdem wirkten in Nebenrollen
Gierusalemme
Cina Petruschka, Lieselotte Jacobi, Ruth Anselm, Ernst Ra¬
Sohinx
den. Die Regie führte Hott und bewährt Fritz Jessner, Bühnen¬
Pilsna
bild und Kostume stammen von Heinz Condell, der bemüht
Tevere
war, den Stil jener Zeit von 1000 zu treffen. Im ganzen war es
Tevere
ein gelungener und unbeschwerter Abend,
— freilich schr
Mariette Pacha
Mi—r.
fern von der Weit, in der wir leben.
Gierusalemme
Providence
Hebräische Lehrer gesucht. Für einen größeren Ort in
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Montag Trüh ist man zufällig auf dem Anhalter Bahnhof, da
hemerkt man vor dem direkten Wagen Prag Wien Rosa
##i inmitten eines großen Kreises, der freundschaftlich
und herzlich von ihr Abschied nimmnt. Die Künstlerin, die
mehrere Wochen hindurch der Mittelpunkt des Theaters des
Kusfarbundes war, verläßt Berlin
ein Zeichen, daß das
Repertoire sich ändert. Die zu so früher Stunde —
Abfahrt
7.54 Uhr = iu sie stehen, sind ihre Kollegen und Kolleginnen,
die Schanspieler vom Kulturbund. Plier merkt man, daß imter
diesen jüdischen Schauspielern, die, aus ihrer früheren Um¬
gebung herausgerissen, plotzlich unter ganz änderen Verhält¬
nissen spielen müssen und zum Teil vielleicht jetzt erst
erfahren haben, was Jndesein bedentet, so etwas wie eine Ge¬
meinschaft entstanden ist. Die Valetti war einst der Liebling
vieler Berliner, jetzt begleiten sie nur Juden, es mag
schmerzlich sein, aber es ist fast syinbolisch für uns alle:
manches wurde verloren, aber auch manches gewonnen, und
es hängt davon ab, was wir aus dem neuen, dem jüdischen
Gemeinschaftsgefchl zu machen vermögen.
Vom Bahnhof geht es wahrscheinlich zur letzten Probe,
und abends sicllt ma: dieselben Meuschen auf der Bühne in
der Sommerlüfte“, Es ist das
Schnitzlers „Im Spi
letzte Stück, das #e1 tler vor seinem Tode schrieb, der
alternde Schnitzler, dr. doch unverbrüchlich noch in derselben
Welt leht wie sein eigenes Schauspiel, in der Welt um 1000,
in jener Atmosphäre des franzisks, osefinischen Oesterreich, in
der die österreichische Eigenart zu einer liebenswürdigen,
weichen, untragischen Entfaltung kam, obwohl die Grund¬
lagen, auf denen diese Weit ruhte, bereits erbebten. So sehr
die Erinnerung an diese Welt denen, die sie miterlebt haben
und ihr schöne Stunden verdanken, wert sein mag, der heuti¬
gen Jugend, der Nachkriegsgeneration, hat sie wohl wenig zu
sagen. Die leichte Melanchoile, die Müdigkeit und Todes¬
äbnung, die uns aus der Literatur jenes Wien, in manchen
Gedichten Hofmannsthals, in den Novellen und Dramen Arthur
Schntiers entgegenwehen, tragen deutlich die Spuren des
Verzichtes und der Auflösung. Dieser Atmosphäre hat sich
ein jüdisches Element sehr stark eingeprägt. Denn dae
alte Volk der Judien mit seiner Gefühls- und Versiandes¬
intensität, das nun in der Spanne eines Jahrhunderts die ganze
europäische Bildung ausgenommen hatte und sich selbst immer
mehr hinsinken ließ, hatte nichts von der Tlärte, die zu Er¬
mannung und Taten treibt, wolll aber ein tiefes Verständnis
für die geheimen Regungen der Seele und — über alle Zweisel
hinweg — ein seines Empfinden für die Reize und die Schön¬
heit des Lebens, das mit allen seinen Konflikten zugleich unter
der Verspektive der Jahrtausende wie ein Traum vorüberzicht.
vielleicht kein Zufall, daß der repräsentative Dichter
dieses Wien der Jude Artlur Schnitzler war; aber wir Juden
müssen uns auch erinnern, daß dieser Schnitzler der Jugend¬
freund eines anderen Wiener Literaten, Thcodor Herzi's,
Wal, uat dem er einmal ein denkwürdiges Gespräch über
die Judenfrage hatte. Diesel Theodor Verzl, der auch die
Wiener Pomantik nicht verlengnen konnte, hatte andere
Träume als das Spiel der Sommerlüfte.
Dieses Spiel, das nun vor uns vorüberzicht, ist ein Spiel
von Liebe, Genuß und Verzicht, typisch geschene Figuren,
Situationen und Konflikte des alltäglichen Lebens, alles im
Gewande des Wienertums von 1000. Die „Handllung“ ist
dunn, mehr hingehaucht als dramatisch, der Gegenstand ist
zu „unbedeutend“, es ist wolll Schnitzlers schwächstes Stück,
aber doch auch voll keiner Pointen und kluger Giespräche
(Buchausgabe bei S. icher Verlag, Berlin). Im Vordergrunde
des Interesses stehen ei der Aufführung des Kulturbundes
die beiden Frauen, jer iy Schaffer ist die reise Frau an
der Schwelle des Alue;, die an dem Werk, dem der Mann
sich widmen muß, keinen vollen Anteil nehmen kann und
sich darum einsam fühlt; in dem Moment, wo ihr Mann eie
ihr wieder voll zuwendet, ist die Aufechtung, die in Gestalt
einer Zuneigung zum Kaplan sich geregt hatte, verklogen.
Neben ihr Mira Rosowsky als entzückende 10jährige Gusti,
in die sich alle Männer mehr oder weniger ernsthaft verlieben
und die dieser Situation sehr gut gewachsen ist. Beide Frauen
waren in Erscheinung und Spiel ausgezeichnet. Wenn Schnitz¬
ler Frau Josefa zu der angehenden Schauspielerin Gusti sagen
läßt, sie würde schon Erfolg haben „mit dem Giesichtl und der
Figur“ und von Talent“ nicht reden will, so kann man von
den zwei Schauspielerinnen dieser Aufführung sagen, daß sie
all dies in hohem Maß besitzen, und darum auch den ver¬
dienten Erfolg finden. Den Professor, der auf der Höhe des
Mannesalters mit überlegener Lebenskiugheit auf das wech¬
seinde Liebesspiel binabschaut, obwohll er selbst innerlich
nicht ganz unberührt ist, gibt Fritz Wisten mit der nötigen
weichen Würde. Als unglucklicher Liebhaber stellte sich ein
neuer Schauspieler, Walther Mertner, vor, der durch seine
undankbare Rolle handicapped war. Den Kaplan gab Martin
Brandt mit großer innerer Bewegtheit. Die religiösen Fra¬
gen, die in seinem Gesprach mit Fran Josefa hervorbrechen,
sind wohl nicht nur „christliche“ es sind Fragen der mensch¬
lichen Existenz überhaupt, mit denen jede Religion ferig in
werden hat. Trotzlem fragen wir uns, warum der Kulturbund
gerade ein Stuck gewählt hat, in dem ein christlicher Kaplan
die Hauptligur ist. In dem Dialog, dem Hehepunkt des
Stückes, ucht es um die degenübersteilung menschlicher und
göttlicher Weisheit und um die Aufgabe, Gott auch dort ge¬
treu zu sein, wo sein Ratschluß den Merschen unverstämtlich
oder dem eigenen Wunsch entgegengesett ist. Das ethische
und theolonische Problem der Rolle des Bösen in der Welt
(und in Gottes Heilsplan) wird hier von dem Skeptiker
„Im Spiel der Sommerlüfte
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Fotos: Links oben: Eduard (Friedeberg) und Pros. Friedlein (Wisten)
Josesa Friedlein (Schaffer) — Unten: Dr. Faber (Hertner). Gusti Pflegner
Zeichnungen: Links unten: Josesa Friedlein (Schaffer) und Kaplan H#
Gusti Pflegner (Rosowsky) und Leutnant Holl (Lenart) im I. Akt -
Potos und Mon
Gusti Pflegner (Rosowsky) im II. Akt.
Schnitzler gerade nur angedeutet. Die Frau ertappt den Priester
Nächste
bei seiner eigenen Schwäche, aber der Zweifel, der dann aus
ihm hervorbricht und den er niederkämpft, wird ebenso wenig
tragisch wie sonst irgendetwas in diesem Stück. Den Sohn
Friedrich
Eduard gibt keinz Friedeberg, ein junger Schauspieler,
der, wie mitgeteilt wurde, hier zum ersten Male auf der
Pilsna
Bühne stcht. Er hat das Jungenhafte, die Mischung von Un¬
Providence
gelenkigkeit, Lebensabnung und Verspieltheit sehr gut heraus¬
Helonan
gebracht. Ernst Leuart hatte diesmal nur die kleine Rolle des
Helouan
Lentnants zu betrenen. Außerdem wirkten in Nebenrollen
Gierusalemme
Cina Petruschka, Lieselotte Jacobi, Ruth Anselm, Ernst Ra¬
Sohinx
den. Die Regie führte Hott und bewährt Fritz Jessner, Bühnen¬
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bild und Kostume stammen von Heinz Condell, der bemüht
Tevere
war, den Stil jener Zeit von 1000 zu treffen. Im ganzen war es
Tevere
ein gelungener und unbeschwerter Abend,
— freilich schr
Mariette Pacha
Mi—r.
fern von der Weit, in der wir leben.
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