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1. Die Frage an das Schicksal box 34/5
Lui#ie
Datum:
Arsur=Schuster Abend
im Theater in der Königgrätzer Straße.
Meinhard und Bernauer holen mit einem ge¬
wissen Eifer, der sich nicht überhastet, deutsche Dra¬
matik nach. Vor ein paar Wochen frenndeten sie sich
mit Wedekind an und gestern griffen sie auf den
jungen Schnitzler zurück, auf
jene frühen Jahr¬
gänge, wo er empfindsam modellierte Kleinkunst trieb.
Man war gern bereit, in selbst erlebte Vergangenheit
zurückzuwandern und das Interesse wurde von jener
Neugierde gestachelt, die bei Jugendlieben nach Alters¬
runzeln ausspäht. Es ist nicht zu schlimm damit.
Der gutartige, liebeshungrige, aber im Vollgenuß
durch Aphorismen behinderte Großstadtjüngling
Anatol hat ein paar historische Falten bekommen.
Auch sein Freund Max kann sich auf die Dauer als
Dialogbehelf nicht verleugnen. Doch haben beide, vor
allem Anatol kostbare Momenie jener Wesensfrische,
die nie verdampft. Bei der „Frage an das
Schicksal“ hat sich die Vorführung einer Hypnose,
dereinst szenische Sensation, wesentlich abgenutzt.
Auch durschaut man, in Schnitzlersche Einfälle
allzusehr eingeweiht, viel zu früh das Motiv so launig
es auch Verstecken spielt. Der osychologische Kern,
die Angst des Eifersüchtigen vor heimlich entrissenen
Geständnissen, die Neigung zum Selbstbetrug, die
Gegenschliche der Eigenliebe bleiben heitere Telu¬
mente der Menschenkenntnis. Ausgeblichener sind die
„Denksteine“, wo ein Gefühlchen sich zu hoch
schraubt und die Spannung höher klettert, als ihr der
Anlaß gestattet. Auch wird Anatol, der nie tragisch
werden darf, weil ihn bloß Gereiztheit kleidet, zu
bitter und nimmt Anläufe zum Pathos. Man wurde
nicht warm. Am herzlichsten begrüßte man das
Albschiedssouper“ wo alles Melancholische der Lust¬]
„pieldichter überwindet.
Zwischen sich jagenden
Pointen und Farbengeflimmer wettern Situatonen.
Dramaturgisch interessant ist, wie das Mitwissertum
des Publikums die Wirkung vorhergesehener Ueber¬
raschungen nicht abschwächt, sondern lustige Voraus¬
setzung ist. Natürlich nur bei überlegener Führung.
Im übrigen gehört zur Aufführung Opfermut. Ge
wird Bordeaux und Sekt getrunken und noch schwerer
zu Beschaffendes gegessen. Bloß die für den Schlu߬
witz so wichtige Schlagsahne hat sich in Vauillecreme
verwandelt.
Die drei Anatolszenen wurden um den Einakter
„Literatur“ bereichert. Schnitzlers Humor nähert sich
hier Schwankformen. Die Satire auf gelocktes, frei¬
zügiges Literatentum, das Erlebnisse in die Welt
trompetet, hat sich verbürgerlicht, wofür weniger
Schnitzler kann, als die Zeit, die neue Typen der
Boheme schafft. Aber gerade diese Uebereinstimmung
mit landläufigen Begriffen von Schwabinger Naturen
hat der Wirkung sehr genützt.
Von der Aufführung war ich nicht sehr begeistert.
Es fehlte bei redlicher Bemühung das intime Ver¬
hältnis zu jenen Eigenheiten, die
Schnitzierschen
Dialog von Plauderstücken unterscheiden. Nicht im¬
mer lags am Griff. Manche strebten nach Feinheit,
aber sie paßten nicht zu ihren Rollen. So Herr Eugen
Lurg, der ein prächtiger, instinktvoller Schau¬
spieler ist (für seine Haupttötigkeit im Komödienhaus
viel zu schade). Aber den Anatol spielt er um zehn
Jahre zu spät. Der kann die Würze des Halbreifen
nicht entbehren. Die Blasiertheiten dieses Erlebnis.
jägers dursten nicht so echt werden, wie sie unver¬
meidlich einem bereits abgeklärten Darsteller geraten.
Sonst wirken sie wie geistige Zurückgebliebenheit.
Auch den Baron in der „Literatur“ gestaltete Burg
als Dümmling. Er ist im Gegenteil etwas Ge¬
scheites, das seine engen Grenzen hat.
Unbefriedigend auch die weiblichen Figuren. Die
Orska enttäuschte nicht als Cora, die vor allem
sehr unbefangen zu sein hat. Das machte sie aus¬
gezeichnet und erschrak glänzend. Doch ihre Annie
Abschiedssouper“ war ein Rückfall in unter¬
streichende Bewußtheit. Das Wienerische hatte den
Tonfall der#anderten, die beim Kopieren sich
vergißt. Und isches knallte mehr, ols es lustig
war. Kurzum: es fehlte ihr die Reaie Vernauer.
1. Die Frage an das Schicksal box 34/5
Lui#ie
Datum:
Arsur=Schuster Abend
im Theater in der Königgrätzer Straße.
Meinhard und Bernauer holen mit einem ge¬
wissen Eifer, der sich nicht überhastet, deutsche Dra¬
matik nach. Vor ein paar Wochen frenndeten sie sich
mit Wedekind an und gestern griffen sie auf den
jungen Schnitzler zurück, auf
jene frühen Jahr¬
gänge, wo er empfindsam modellierte Kleinkunst trieb.
Man war gern bereit, in selbst erlebte Vergangenheit
zurückzuwandern und das Interesse wurde von jener
Neugierde gestachelt, die bei Jugendlieben nach Alters¬
runzeln ausspäht. Es ist nicht zu schlimm damit.
Der gutartige, liebeshungrige, aber im Vollgenuß
durch Aphorismen behinderte Großstadtjüngling
Anatol hat ein paar historische Falten bekommen.
Auch sein Freund Max kann sich auf die Dauer als
Dialogbehelf nicht verleugnen. Doch haben beide, vor
allem Anatol kostbare Momenie jener Wesensfrische,
die nie verdampft. Bei der „Frage an das
Schicksal“ hat sich die Vorführung einer Hypnose,
dereinst szenische Sensation, wesentlich abgenutzt.
Auch durschaut man, in Schnitzlersche Einfälle
allzusehr eingeweiht, viel zu früh das Motiv so launig
es auch Verstecken spielt. Der osychologische Kern,
die Angst des Eifersüchtigen vor heimlich entrissenen
Geständnissen, die Neigung zum Selbstbetrug, die
Gegenschliche der Eigenliebe bleiben heitere Telu¬
mente der Menschenkenntnis. Ausgeblichener sind die
„Denksteine“, wo ein Gefühlchen sich zu hoch
schraubt und die Spannung höher klettert, als ihr der
Anlaß gestattet. Auch wird Anatol, der nie tragisch
werden darf, weil ihn bloß Gereiztheit kleidet, zu
bitter und nimmt Anläufe zum Pathos. Man wurde
nicht warm. Am herzlichsten begrüßte man das
Albschiedssouper“ wo alles Melancholische der Lust¬]
„pieldichter überwindet.
Zwischen sich jagenden
Pointen und Farbengeflimmer wettern Situatonen.
Dramaturgisch interessant ist, wie das Mitwissertum
des Publikums die Wirkung vorhergesehener Ueber¬
raschungen nicht abschwächt, sondern lustige Voraus¬
setzung ist. Natürlich nur bei überlegener Führung.
Im übrigen gehört zur Aufführung Opfermut. Ge
wird Bordeaux und Sekt getrunken und noch schwerer
zu Beschaffendes gegessen. Bloß die für den Schlu߬
witz so wichtige Schlagsahne hat sich in Vauillecreme
verwandelt.
Die drei Anatolszenen wurden um den Einakter
„Literatur“ bereichert. Schnitzlers Humor nähert sich
hier Schwankformen. Die Satire auf gelocktes, frei¬
zügiges Literatentum, das Erlebnisse in die Welt
trompetet, hat sich verbürgerlicht, wofür weniger
Schnitzler kann, als die Zeit, die neue Typen der
Boheme schafft. Aber gerade diese Uebereinstimmung
mit landläufigen Begriffen von Schwabinger Naturen
hat der Wirkung sehr genützt.
Von der Aufführung war ich nicht sehr begeistert.
Es fehlte bei redlicher Bemühung das intime Ver¬
hältnis zu jenen Eigenheiten, die
Schnitzierschen
Dialog von Plauderstücken unterscheiden. Nicht im¬
mer lags am Griff. Manche strebten nach Feinheit,
aber sie paßten nicht zu ihren Rollen. So Herr Eugen
Lurg, der ein prächtiger, instinktvoller Schau¬
spieler ist (für seine Haupttötigkeit im Komödienhaus
viel zu schade). Aber den Anatol spielt er um zehn
Jahre zu spät. Der kann die Würze des Halbreifen
nicht entbehren. Die Blasiertheiten dieses Erlebnis.
jägers dursten nicht so echt werden, wie sie unver¬
meidlich einem bereits abgeklärten Darsteller geraten.
Sonst wirken sie wie geistige Zurückgebliebenheit.
Auch den Baron in der „Literatur“ gestaltete Burg
als Dümmling. Er ist im Gegenteil etwas Ge¬
scheites, das seine engen Grenzen hat.
Unbefriedigend auch die weiblichen Figuren. Die
Orska enttäuschte nicht als Cora, die vor allem
sehr unbefangen zu sein hat. Das machte sie aus¬
gezeichnet und erschrak glänzend. Doch ihre Annie
Abschiedssouper“ war ein Rückfall in unter¬
streichende Bewußtheit. Das Wienerische hatte den
Tonfall der#anderten, die beim Kopieren sich
vergißt. Und isches knallte mehr, ols es lustig
war. Kurzum: es fehlte ihr die Reaie Vernauer.