II, Theaterstücke 30, Der Gang zum Weiher. Dramatische Dichtung (Der weise Vater, Der Weiher), Seite 12

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zeigt, mit welcher Gewissenhaftigkeit der Einsiedler von Jasnaja
Poljana sich in den religiösen Strömungen seiner Zeit orientiert und
das in allen großen Religionen Gemeinsame zu erfassen, sich be¬
müht hat. Dies tritt am stärksten in dem 1. Kapitel des zweiten Tei¬
les, in den Briefen „über das Studium der Weltreligionen“ hervor.
Tolstoi sagt hier einmal: „Ich halte solche Aufsätze für sehr wich¬
tig, denn ich nehme an, daß die Kenntnis der religièsen Grund¬
prinzipien, die unter den Menschen verbreitet waren und sind,
das wichtigste und notwendigste Wissen darstellt, das ein jeder
beherrschen muß: die Unwissenheit auf diesem Gebiete trägt die
Hauptschuld an der Schwäche des religiösen Bewußtseins bei
unseren Zeitgenossen, ganz gleich, ob es sich um das einfache
Volk oder um die sogenannte Intelligenz handelt“. Tolstoi hat
die orientalischen Religionssysteme gründlich studiert, teils aus
ihren kanonischen Büchern, teils im brieflichen Verkehre mit
lebenden Vertretern. Der Niederschlag dieser Studien ist hier von
Birukoff festgehalten und bedeutet eine Tat von mehr als bloß
ware.
literarischer Bedeutung.
Artur Schnitzler: Der Gang zum Weiher. Dramatische
Dichtung in 5 Aufzügen. Berlin (S. Fischer) 1926.
Zwei Welten, die seit je, doch heute mehr denn sonst in den
Herzen- der Menschheit streiten, die große, alle Einzelschicksale
umfassende und bestimmende Welt des staatlichen und geschicht¬
lichen Geschehens und die Innenwelt, die in allerpersönlichstem
Erleben der Schöpfung unermeßlichen Reichtum in sich schließt,
treten uns hier in den meisterhaft gemalten Figuren zweier alter
Freunde, des Kanzlers Mayenau und des Dichters Sylvester Thorn
entgegen. Zwischen beiden steht die urschaumgeborene Beglück¬
kerin, das freie Weib der Zukunft, Leonilda. Weder der philo¬
sophisch angekränkelte, in seine Zeit nicht mehr recht passende
Staatsmann, ihr Vater, noch der um ihre Liebe werbende welt¬
fremde Dichter vermag ihr Herz und ihr Leben zu erfüllen. Sie
gehört dem kommenden Geschlecht, dem kühnen Tatmenschen
Konrad, als frei sich selber gebender Siegerpreis. Es liegt etwas
wie eine stille Resignation über Schnitzlers neuestem Werke: Der
Dichter geht in den Weiher, aus dem ihm Anadyomenen gleich
sein Ideal emporgestiegen. Aber es ist nicht Tragik, was unser
Dichter sucht; Sylvesters Gang zum Weiher ist das schmerzlose
Verlöschen einer schönen Flamme in dem Element, aus dem sie
traumhaft einst emporgestiegen. Für solche Wirkungen ist Schnitz¬
lers Muse wie kaum eine andere geschaffen, und was der Wiener
Meister an künstlerischem Formenreichtum besitzt, und das ist
wahrhaftig nicht wenig, hat er an diese seine neueste, reife Dich¬
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tung hingegeben.
Hilda Bergmann: Die heiligen Reiher. Gedichte. Wien
(Wallishauser'sche Buchhandlung — Paul Knepler).
Mystisches Naturgefühl, inniges Einfühlen in das verborgene
Leben der äußeren Welt sind heute für unser Zeitempfinden be¬
zeichnend geworden; in diesem besten Sinne modern ist der vor¬
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