II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 54

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29. Kondedie der verfuchrung

Aan uns nicht als eine kultur= und seelenlose Masse abtun wollen. des Todes spottet in dunkel leuchtenden Bildern halb schmerzlich,
halb jauchzend festgestellt und gefeiert werden? Eine Szene eine
Kultur bedeutet Geist und Form. Daß der Geist lebendig ist, be¬
einzige, hat wirklich verführerische Kraft der Stimmung. Falkenir,
weist uns das Schiff der Luft,, das am deutschen Bodensee aus
eben von der jungen Gräfin Aurelie unter Dreien erkoren löst das
deutschem Geiste geboren, heute im amerikanischen Lakehurst landet.
Verlöbnis mit ihr plötzlich wieder, drängt sie, mit anderen Männern
Der Geist wird sich neue Formen schaffen, und es ist undenk¬
zu tanzen, zwingt sie förmlich zum Abenteuer, zum Abenteuern,
bar, daß Großtaten wie diese, die die Phantasie einer anderen
alles aus der fixen Vorstellung, daß auch sie sich erst von jenen dunk¬
Zeit mit unerschöpflicherFülle befruchtet hätten, an unserem Ge¬
len Strömen treiben lassen, in ihnen untertauchen müsse, ehe er
schlecht vorübergehen sollten, wie der Wind durch dürres Laub.
sie an sich ziehen könne und dürfe. Und während das Nachtfest
Was da geschieht, ist nicht bloß Zivilisation, die an der Ober¬
Parke des Prinzen von Perosa (fast hätte ich Parma geschrieben)
fläche haftet, sondern ein Stück Kultur, mit dem sich das Abendland
verrauscht die kot und gelben Laternen erlöschen und wie letzte
auch vor den alten Kulturvölkern des Ostens sehen lassen kann,
Fackeln schon das Morgenrot zwischen den Bäumen leuchtet, fordert
und das ihm den Anstoß geben könnte, sich nach der beispiellosen
Aurelie, im Tiefsten getroffen von der Tollheit des Bräutigams, den
Zerrissenheit vergangener Zeit wieder zusammenfinden. kaj.
ersten besten, einen unbedeutenden jungen Mann, heraus, mit ihr
in den Frühlingsmorgen, ins Freie, in die Freiheit zu fahren, mehr
Verführerin als Verführte. Das ist in der Stimmung wie auch
seelisch, als Ressentiment der enttäuschten Frau, mitreißend motiviert
Der neue Schnitzler.
und gibt dem ersten Akt einen starken Crescendo=Schluß.
„Komödie der Verführung“ in drei Akten. — Urauf¬
Von da ab gleitet das Stück und mit ihm die Frau, die
führung im Burgtheater.
Frauen abwärts. Trotz der Theaterpraxis eines Lebens hat
es Schnitzler seltsamerweise für gut befunden, gleich die Versüh¬
Wien, 12. Oktober.
rung von drei oder vier Frauen — wobei immer die Frauen die
Der letzte Akt der neuen Komödie Arthur Schnitzlers spielt
aktiveren sind — uns vorzuführen. Zu diesem Behusé müssen
am 1. August 1914. Also wetterleuchtet Zeitenwende in die spie¬
wir im zweiten Akt drei verschiedene Schauplätze, dreierlei Hand¬
lerische. froh- und wehmütige Welt des „Anatol“=Dichters? Wird
lungen und Milieus, in Kauf nehmen, bis am Ende das Interesse
der Schicksalstag eines Jahrhunderts beschworen, um mit Blitzes¬
gründlichst zersplittert ist. Als verführter Verführe: fungiert vor¬
schärfe zu erhellen, was wirklich liebens= und lebenswert, was unter¬
wiegend jener unbedeutende junge Mann, der auf den Namen
gangsreif in der alten Welt, im alten — Wien war? Nur so mit
Max hört. Daß der Freund aller Frauen ein Nichtskönner und
der Wucht des Symbols, dürfte heute der furchtbare Tag im Werk
=Tuer ist, scheint recht und richtig; leider ermangelt er des gra¬
eines Dichters aufglühen. Aber ach, Arthur Schnitzler ist, scheint's
ziösen Witzes Anatols, und wiederum hat ihn der Autor nicht
selber stehen geblieben, wo sein Stück endet, beim 1. August 1914.
so weit karikiert, daß er komisch wirkte: eine bis zur Langeweile
Man plaudert vom Kriege, Sekt schlürfend, bei der Jause, beim
blasse Figur (der Herr Günther auch keinen besonderen per¬
Frühstück, doch kein Schlaglicht enthüllt die Nichtigkeit solchen Ge¬
sönlichen Charme zu leihen wußte). Nachdem Max von der
plausches. Man trinkt überhaupt viel Kaffee, Champagner, Liköre
Gräfin Aurelie, deren Gelielter er geworden, kaum begründeten
und tratscht und klatsch dazu, und Schnitzler scheint nicht zu fühlen,
Abschied genommen, verabredet er zehn Minuten später eine Nacht
daß solche Gesellschaftsszenen ohne groteskes Profil, ohne Ironi¬
mit der mannstollen Schwägerin eines Bankpräsidenten, die
sierung ihrer Hohlheit, uns Nachkriegsmenschen ganz unerträglich
nebenbei das kühne Versprechen gibt, in einem Jahr die „be¬
geworden sind, selbst wenn eine Perlenkette von Aperaus sie um¬
rühmteste Kokotte von Europa“ zu werden; selbiger Präsident er¬
flimmert (die übrigens die Regie des Herrn Hans Brahm zur
schießt sich übrigens (gottlob, hinter der Bühne!), weil er ver¬
Hälfte unter den Tisch fallen ließ). Dies ist der erste und leider
haftet wird: hier hat Schnitzler sich aus 1914 nach 1924, ins
auch letzte Eindruck des neuen Schnitzler: statt eines Zusammenraf¬
Jahr der Bankdirektoren=Selbstmorde, verirrt. Wiederum eine
fens dessen man den viel und mit Grund geliebten Dichter wohl
Viertelstunde nach dieser Sketch=Szene verführt“ Max in einer
für fähig halten möchte, ein Sichgehenlassen, ein Zerfließen und Zer¬
lieben, ein bissel sentimentalen „Liebelei"=Szene die geigespielende
flattern, das schließlich die Komödie zu der wahrhaft klassischen Länge
Tochter eines Kammersängers, nachdem wir zuvor zu allzu viel
von dreieinhalb Stunden Spieldauer zerdehnt.
Was wollte Schnitzler? „Mir ist es gegeben die ewigen anderem Ueberflüssigen noch die Hochzeit ihrer Schwester haben
mtmachen müssen. Das das in solchem Zusammenhange auch
Ströme rauschen zu hören — die dunklen, ewigen Sträme, die un¬
manchmal vorzukommen pflegt, wenn es die Dichter auch gern
aufhörlich fließen von Mann zu Weib und von Weib zu Mann,
ignorieren hat das Musikantenmädel im dritten Akte ein Kind,
zwischen Geschlecht und Geschlecht.“ So spricht der Mann
will aber um keinen Preis den Max heiraten. Die Menschen
mit der ergrauenden Schläfe, der Freiherr von Falkenir, in der
reden sich in diesem Stück mit einer wahren Wut auseinander;
„Komödie der Verführung“, und aus ihm spricht der Dichter mit dem
weiß gewordenen Barte. Eros ist ihm immer noch der Allmächtige, die Frauen besonders wollen nichts von Bindung, geschweige
und wer möchte widersprechen! Sollte die Allgewalt des ##tes.! Heirat, wissen, eine Neuheit, für deren Richtigkeit man dem
die alle Bande und Bindungen sprengt, die auch des Krieges und Dichter die volle Verantwortung überlassen möchte. Max hat in¬
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