29. Konoedie der Verfuchrung box 33/6
—.—
S
BöRSER.
Schnihiers „Komödie der Verführung
Uraufführung im Burgtheater.
Der 60 jährige Schnitzler schrieb diese „Ko¬
ihre Schwester stehen vor der Leiche, Feind gegen
mödie der Verführung“
Man merkt es an
Feind. Aber was für eine Szene wird daraus bei
manchem. An der Breite. An dem Trost, „daß
Schnitzler? (Dennoch, sie ist die Beste dieser Ko¬
das Leben immer köstlicher wird, je weniger davon
mödie.) Was für ein dichterischer Einfall, mitten
übrig bleibt“. An gewisser Elegik des alternden
unter diese Menschen, die sich nach einem schönen
Künstlers: Da antwortet ein Kammersänger a. D.
Schnitzler=Wort nur „beinahe lieben“, denen aber
einem Offizier: „Und als General oder Feld¬
der innerste Kern der Liebe verschlossen bleibt, weil
marschall gehen Sie in Pension. Ja, ihr Soldaten
sie an nichts anderes denken, als, wen sie verführen
habt es gut. Wir anderen, wir müssen den Berg
und mit wem sie schlafen sollen, mitten unter diese
wieder hinunterspazieren, immer tiefer, immer
als Gespenster der Liebe, der Verführung eine
tiefer. Man wird wieder Hauptmann, Feldwebel,
uralte Sängerin und einen ebenso uralten
Gemeiner, endlich salutiert keiner mehr.“ Da
Sänger zu stellen.
Jetzt sitzen sie da, zahnlos,
fühlt man sich scharf angeschaut und man salutiert
dürftig und verblödet und werden angestaunt ob
gerne der Herzensnoblesse eines Dichters dessen
ihrer Abenteuer, die längst keine mehr sind.
Tragik es vielleicht ist, in jedem Augenblick dichte¬
Ruinen der Erinnerung ohne jeden Sinn. Aber
risch zu sein, aber nicht immer Dichtung zu geben.
dieses Nachtgesicht der Liebe setzt sich nicht in dichte¬
rische Gestalt um. Es wird beredet, aber es lebt
Auch in der „Komödie der Verführung“ vi¬
nicht aus sich selbst heraus. Dies ist überhaupt
briert Dichterisches, auch die „Komödie der Ver¬
das Verhängnis der Schnitzlerschen Gestalten.
führung“ wurde nicht Dichtung.
Sie besprechen sich, wie Kritiker Bücher, sie analy¬
Das Wien von 1914 und seine Gesellschaft von
sieren sich, wie Feuilletonisten Kunstwerke, aber sie
Prinzen, Baronen, Bankpräsidenten, Kammer¬
sind nicht da, nicht der Mann, der nichts erlebt,
sängern, Offizieren, Beamten und schönen ver¬
weil er zu viel erlebt, nicht der andere, dessen Geist
langenden Frauen. Das Spiel beginnt im Park
immer das „gefährliche Spiel mit Möglichkeiten“.
des Prinzen von Perosa während eines öffent¬
spielt und der um solch ästhetischen Erlebens willen
lichen Nachtfestes am 1. Mai 1914, setzt sich an
unfähig ist, das Wirkliche zu wagen und zu tragen,
einem Tage Mitte Juni 1914 fort und endet im
nicht die Frauen, die vor sich selber, vor ihrer
Gilleleje am dänischen Strande am 1. August 1914.
Schamlosigkeit der Triebe entweder in das Aben¬
Also holt, nachdem schon der Beginn (1. Mai —
teuer oder in den Tod flüchten. Sie haben nicht
Arbeitertag) knisternd unterirdische Bewegung an¬
Existenz, diese Menschen, sondern nur Literatur,
zeigt, schließlich der Teufel Krieg diese ganze Ge¬
die manchmal so kitschig wird, wie die Nixe am
sellschaft, in der ein jeder mit jeder was hat und
dänischen Strand — Ibsensches Symbol, bereits
jede mit jedem? Schnitzler antwortet nicht.
zum Familienblatt entartet. Und auch, wenn am
Der 1. Mai bleibt außerhalb der Komödie, wie
Ende, neben dem Untergang der Menschen, die
der Krieg. Es wird von ihnen geredet, aber sie
das Leben nicht behalten können, weil sie es stets¬
greisen nicht ein als Gewalten, sie springen den
in ihrer ganzen Gänze behalten wollen und nicht
Beschauer nicht an. Sie lauern auch nicht auf
wissen, daß es immer köstlicher wird, je weniger
ihn, sie bleiben Datum, Chronologie, Kalender.
davon überbleibt, die Frau gestellt wird, die um
Das Auge Schnitzlers sieht Zusammenhänge
das Leben weiß, die den Mut zur Mutterschaft
zwischen dieser Gesellschaft und Kriegsausbruch
besitzt, auch dieses Ende entgleitet Schnitzler aus
und Kriegsende. Aber seine Hand läßt aus.
dem großen Gleichnishaften in den konventionellene
Auch den Gestalten geht es so. Sie haben
„guten Ausgang“ der Publikumsschauspiele. Hier
Aehnlichkeit mit wirklichen agierenden Persönlich¬
wird Schnitzler viel kleiner, als er in Wirklich¬
keiten im Wien von 1914 und man kann sagen,
keit ist.
wer der Prinz ist, und wer der Bankpräsident, der
Das macht, daß Schnitzlers Sprache nicht
plötzlich verhaftet wird, und wer der Modemaler,
erlebt, sondern geschrieben ist, daß sie den drama¬
der jede Frau doppelt porträtiert, zuerst offiziell
*
tischen Vorgängen nicht entspricht, daß sie makart
fromm und dann in schamloser Nacktheit, und wer
ist, während das Geschehen schon den Rhythmus
der junge Geck ist, dem die Frauen zufallen, weil
der Gegenwart hat. Sie ist breit, ohne Vision,
er grad eben immer da ist, und wer diese Frau
ohne Spannung, ohne Elektrizität und gerade das
und jene. Aber nicht um ein Schlüsseldrama zu
verlangt eine „Komödie der Verführung“ in der
schreiben machte Schnitzler von dem Recht des
Gesellschaft vor 1914.
Dichters Gebrauch, die Menschen von dort zu
Im Burgtheater wird Schnitzler über¬
holen, wo er sie findet, sondern weil er sie als die
dies unwienerisch, ohne das Klima der Gestalten,
herrschenden, als die markantesten Erscheinungen
ohne ihre Verwurzelung gespielt. Schnitzler muß
einer bourgeoisen Gesellschaft, gleichgültig ob in
transparent, nicht zäh an der Oberflache klebend,
Wien, Paris oder Berlin, erschaute. Wieder ist
gespielt werden. Das innere Sein der Menschen
das Auge Schnitzlers bewundernswert. Sie sind
und ihr Widerspnich gegen sich selber und zugleich
alle da. Keiner fehlt. Selbst nicht der Revo¬
ihre Ironie über das Fühlen ihres Widerspruchs,
lutionsliterat, der sich unter Prinzen, unter der
dieses Gegeneinander und Ineinander, dieses ver¬
Plutokratie noch als Ihresgleichen bewegt. Aber
spielt Verlogene und tänzerhaft Schwebende, das
die Hand Schnitzlers läßt aus, macht diesen Men¬
einmal zu Wien gehört, gehört auch zu Schnitzler.
schen, auserlesene zu einer burgerlichen Komödie
Wenn er dickpathetisch, seerobbenhaft plump und
Balzacscher Größe, Durchgangstore für kleine Se¬
mit heimatlosem Hoftheatertum gegeben wird, wie
xualitäten.
im Burgtheater, dann nimmt man ihm die see¬
Welche Vision: Der Bankpräsident hat sich
lische Heimat und neutralisiert ihn zu einem
erschossen, als er verhaftet wurde, und die beiden
schwächeren Sudermann, der er nie gewesen ist
Frauen, die ihm nahestanden, seine Gattin und und nie sein wird. Oskar Maurus Fontana.
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S
BöRSER.
Schnihiers „Komödie der Verführung
Uraufführung im Burgtheater.
Der 60 jährige Schnitzler schrieb diese „Ko¬
ihre Schwester stehen vor der Leiche, Feind gegen
mödie der Verführung“
Man merkt es an
Feind. Aber was für eine Szene wird daraus bei
manchem. An der Breite. An dem Trost, „daß
Schnitzler? (Dennoch, sie ist die Beste dieser Ko¬
das Leben immer köstlicher wird, je weniger davon
mödie.) Was für ein dichterischer Einfall, mitten
übrig bleibt“. An gewisser Elegik des alternden
unter diese Menschen, die sich nach einem schönen
Künstlers: Da antwortet ein Kammersänger a. D.
Schnitzler=Wort nur „beinahe lieben“, denen aber
einem Offizier: „Und als General oder Feld¬
der innerste Kern der Liebe verschlossen bleibt, weil
marschall gehen Sie in Pension. Ja, ihr Soldaten
sie an nichts anderes denken, als, wen sie verführen
habt es gut. Wir anderen, wir müssen den Berg
und mit wem sie schlafen sollen, mitten unter diese
wieder hinunterspazieren, immer tiefer, immer
als Gespenster der Liebe, der Verführung eine
tiefer. Man wird wieder Hauptmann, Feldwebel,
uralte Sängerin und einen ebenso uralten
Gemeiner, endlich salutiert keiner mehr.“ Da
Sänger zu stellen.
Jetzt sitzen sie da, zahnlos,
fühlt man sich scharf angeschaut und man salutiert
dürftig und verblödet und werden angestaunt ob
gerne der Herzensnoblesse eines Dichters dessen
ihrer Abenteuer, die längst keine mehr sind.
Tragik es vielleicht ist, in jedem Augenblick dichte¬
Ruinen der Erinnerung ohne jeden Sinn. Aber
risch zu sein, aber nicht immer Dichtung zu geben.
dieses Nachtgesicht der Liebe setzt sich nicht in dichte¬
rische Gestalt um. Es wird beredet, aber es lebt
Auch in der „Komödie der Verführung“ vi¬
nicht aus sich selbst heraus. Dies ist überhaupt
briert Dichterisches, auch die „Komödie der Ver¬
das Verhängnis der Schnitzlerschen Gestalten.
führung“ wurde nicht Dichtung.
Sie besprechen sich, wie Kritiker Bücher, sie analy¬
Das Wien von 1914 und seine Gesellschaft von
sieren sich, wie Feuilletonisten Kunstwerke, aber sie
Prinzen, Baronen, Bankpräsidenten, Kammer¬
sind nicht da, nicht der Mann, der nichts erlebt,
sängern, Offizieren, Beamten und schönen ver¬
weil er zu viel erlebt, nicht der andere, dessen Geist
langenden Frauen. Das Spiel beginnt im Park
immer das „gefährliche Spiel mit Möglichkeiten“.
des Prinzen von Perosa während eines öffent¬
spielt und der um solch ästhetischen Erlebens willen
lichen Nachtfestes am 1. Mai 1914, setzt sich an
unfähig ist, das Wirkliche zu wagen und zu tragen,
einem Tage Mitte Juni 1914 fort und endet im
nicht die Frauen, die vor sich selber, vor ihrer
Gilleleje am dänischen Strande am 1. August 1914.
Schamlosigkeit der Triebe entweder in das Aben¬
Also holt, nachdem schon der Beginn (1. Mai —
teuer oder in den Tod flüchten. Sie haben nicht
Arbeitertag) knisternd unterirdische Bewegung an¬
Existenz, diese Menschen, sondern nur Literatur,
zeigt, schließlich der Teufel Krieg diese ganze Ge¬
die manchmal so kitschig wird, wie die Nixe am
sellschaft, in der ein jeder mit jeder was hat und
dänischen Strand — Ibsensches Symbol, bereits
jede mit jedem? Schnitzler antwortet nicht.
zum Familienblatt entartet. Und auch, wenn am
Der 1. Mai bleibt außerhalb der Komödie, wie
Ende, neben dem Untergang der Menschen, die
der Krieg. Es wird von ihnen geredet, aber sie
das Leben nicht behalten können, weil sie es stets¬
greisen nicht ein als Gewalten, sie springen den
in ihrer ganzen Gänze behalten wollen und nicht
Beschauer nicht an. Sie lauern auch nicht auf
wissen, daß es immer köstlicher wird, je weniger
ihn, sie bleiben Datum, Chronologie, Kalender.
davon überbleibt, die Frau gestellt wird, die um
Das Auge Schnitzlers sieht Zusammenhänge
das Leben weiß, die den Mut zur Mutterschaft
zwischen dieser Gesellschaft und Kriegsausbruch
besitzt, auch dieses Ende entgleitet Schnitzler aus
und Kriegsende. Aber seine Hand läßt aus.
dem großen Gleichnishaften in den konventionellene
Auch den Gestalten geht es so. Sie haben
„guten Ausgang“ der Publikumsschauspiele. Hier
Aehnlichkeit mit wirklichen agierenden Persönlich¬
wird Schnitzler viel kleiner, als er in Wirklich¬
keiten im Wien von 1914 und man kann sagen,
keit ist.
wer der Prinz ist, und wer der Bankpräsident, der
Das macht, daß Schnitzlers Sprache nicht
plötzlich verhaftet wird, und wer der Modemaler,
erlebt, sondern geschrieben ist, daß sie den drama¬
der jede Frau doppelt porträtiert, zuerst offiziell
*
tischen Vorgängen nicht entspricht, daß sie makart
fromm und dann in schamloser Nacktheit, und wer
ist, während das Geschehen schon den Rhythmus
der junge Geck ist, dem die Frauen zufallen, weil
der Gegenwart hat. Sie ist breit, ohne Vision,
er grad eben immer da ist, und wer diese Frau
ohne Spannung, ohne Elektrizität und gerade das
und jene. Aber nicht um ein Schlüsseldrama zu
verlangt eine „Komödie der Verführung“ in der
schreiben machte Schnitzler von dem Recht des
Gesellschaft vor 1914.
Dichters Gebrauch, die Menschen von dort zu
Im Burgtheater wird Schnitzler über¬
holen, wo er sie findet, sondern weil er sie als die
dies unwienerisch, ohne das Klima der Gestalten,
herrschenden, als die markantesten Erscheinungen
ohne ihre Verwurzelung gespielt. Schnitzler muß
einer bourgeoisen Gesellschaft, gleichgültig ob in
transparent, nicht zäh an der Oberflache klebend,
Wien, Paris oder Berlin, erschaute. Wieder ist
gespielt werden. Das innere Sein der Menschen
das Auge Schnitzlers bewundernswert. Sie sind
und ihr Widerspnich gegen sich selber und zugleich
alle da. Keiner fehlt. Selbst nicht der Revo¬
ihre Ironie über das Fühlen ihres Widerspruchs,
lutionsliterat, der sich unter Prinzen, unter der
dieses Gegeneinander und Ineinander, dieses ver¬
Plutokratie noch als Ihresgleichen bewegt. Aber
spielt Verlogene und tänzerhaft Schwebende, das
die Hand Schnitzlers läßt aus, macht diesen Men¬
einmal zu Wien gehört, gehört auch zu Schnitzler.
schen, auserlesene zu einer burgerlichen Komödie
Wenn er dickpathetisch, seerobbenhaft plump und
Balzacscher Größe, Durchgangstore für kleine Se¬
mit heimatlosem Hoftheatertum gegeben wird, wie
xualitäten.
im Burgtheater, dann nimmt man ihm die see¬
Welche Vision: Der Bankpräsident hat sich
lische Heimat und neutralisiert ihn zu einem
erschossen, als er verhaftet wurde, und die beiden
schwächeren Sudermann, der er nie gewesen ist
Frauen, die ihm nahestanden, seine Gattin und und nie sein wird. Oskar Maurus Fontana.