II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 80

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Wiener tägl. Theater- u. Fremdenzeitung (Karl kc. Klopfer). XXVI. falie , I. Bremsenstusste 1
Nr. 117
mit der anderen Tochter dem jungen Paar das wunderschön, aber traurig. Das wollte sie nicht. Möglichkeit eines Liebesabenteuers mit ihnen
Geleit gibt, führen Ambros und Max ein leises
Sie beginnt von Neuem. „Das ist schon ein wenig offen. Sie wandelt bereits am Rande des Irrsinns,
Gesprüch, das Etwas von Abgesang-Stimmung
heiterer.“ Aber Das wollte sie auch nicht. Er und mit grausamer Tronie zergliedert sie ihre
aufklingen läßt. Das ist allerdings weit entfernt
bewundert abermals ihre originellen Einfälle. Sie Schmach, von der doch ihre Seele Nichts weil),
von der starken Dramatik des früheren Teils —bricht ab. „Das hab’ ich doch auch nicht ge-fals schwebe die, losgetrennt von ihrem Körper,
und eben deßhalb ein wohltuender Gegensatz.
meint.“ — „Was also?“ — Da tritt sie leise zuin umpanzerter Einsamkeit über ihrer irdischen
dem über die Klaviatur gebeugten Lauscher, streckt Bahn. „Dies aber sag ich euch, in meiner Nackt¬
Und nun gar „dieser komische, etwas geschmack¬
lose Salon mit Erinnerungen aus einer verklun¬
Geige und Bogen von sich, legt ihre Wangetheit und in meinen Sünden gehör’ ich mir allein,
genen Jugend“, in dem auch ein Uberästhet wie
sanft auf seinen Scheitel und flüstert wie träumend: Keiner nahm mir was, und Keiner kann mir was
Max Reisenberg einen köstlichen Frieden em¬
„Das, glaube ich.“ Mit unterdrücktem Jubel langtgeben. Was soll mir Scham, da mich Kei¬
pfindet! Man könnte sehr weitgehende Betrach¬
er nach ihren Armen. „Seraphine! — wir wissen'ner doch kennt?“ Als aber Falkenir auftritt,
tungen daran knüpfen. Daß die Westerhäuser zwar
es ja schon lang.“ — „Was wissen wir?“ girrt taucht sie aus ihrer seltsamen Apathie empor.
die sublimste Wohnungskunst aufweisen, aber
sie in holder Trunkenheit. „Nichts, Lieber, als Will er sich ihr in den Weg stellen? Nein,
zumeist nicht eine Spur vom persönlichen Wesen
daß dies ein schöner Abend ist, der niemals
jetzt bietet er ihr seine Hand; er weiß, daß es
wiederkehrt.“ Er nimmt ihr Köpfehen zwischen
ihrer Bewohner. Und daß in der Fenzischen
seine Schuld ist, wenn sie sich verloren hat. Sie
die Hände, ihre Lippen finden sich. Das Sinken
Wohnung — die der verwitwete Bohemien übrigens
weist ihn mit Bitterkeit ab. „Bin ich nun durch
des Vorhangs wird zu einer lächelnden Bejahung.
leichtmütig aufgibt, um der nicht ganz frohherzig
so viel Lust und Leid gegangen, daß der gnädige
Das gehört zum Duftigsten, was jemals dem
die Virtuosenkunst ansübenden Tochter auf ihre
Erretter, meiner Müdigkeit gewiß, in seligem Ver¬
Konzertreisen zu folgen — zwischen allem be¬
weichen Pinselstrich Schnitzlers in zarten Lasur-trauen an meiner Seite schlafen dürfte? Das
farben gelungen ist. Hier entschied sich der
lächelnswert Nachgemachten noch ein heiliger
könnte ein Irrtum sein, Falkenir.“ Da offenbart.
Hauch vom Atem der sorgenden Hausfrau weht, Erfolg vollends. Wieder und immer wieder wurde
er ihr die ganze Großherzigkeit seines Ent¬
deren Liebe nicht Selbstsucht war. Wohl ist derl der Dichter herausgerufen.
schlusses. Er frage nicht nach Dem, was gesche¬
Kitsch die erstarrte Asthetik der Durchschnitts¬
Der letzte Akt — mit der Katastrophe hen und — lege ihr keinerlei Schranken auf für
am Schluß, von der wir nicht Augenzeuge sein
naturen, aber die Freude an ihm kann original¬
die Zukunft. Er bietet ihr einfach sein Haus
echt sein — bei naiven Glücksuchern, die Nichts
können, die nur berichtet wird — wickelt dasals Zuflucht, seinen Namen als schirmenden
Hauptthema in langen Reflexionsdialogen ab,
gemeinhaben mit den vielkomplizierten und schlie߬
Schild. Ob ein beiderseitiges Glück daraus werden
lich doch blinden Verächtern unwägbarer Werte,
die gedämpften Ton und gedehntes Tempo
könne, das liege bei ihr. Sie glaubt nicht daran.
die nur der Gemüts-Akribie zugänglich sind. In
bedingen und dem Hörer das Mitgehen umso
Er werde die Gespenster, die täglich zwischen
Seraphine ist Etwas von solcher Glücksucherin,
mehr erschweren, als durch die einschneidenden
ihnen auftauchen könnten, nicht los werden, Da
die eine gesunde Sehnsucht zur Mutterschaft zieht.
Vorgänge in den letzten Teilen des II. Aktes unserVerscheint Max und macht sich erbötig, sich dem
Aber ihr kluges Herz bewahrt sie davor, den
Interesse von dem Paar Aurelie-Falkenir abgelenkt Baron zum Zweikampf zu stellen. Falkenir lehnt
Reichtum ihres künstlerisch disziplinierten Em¬
worden ist. Daß zudem fast alle Figuren hier am lächelnd ab und sagt zu Aurelie: „Dieses Gespenst
Strand des dänischen Badeörtchens Gilleleije
pfindens in den raffinierten Uber-Kitsch hinein¬
schien mir etwas harmlos.“ Sie hat Schlimmeres
zuschwärmen, der sich in den blendenden Vor-zusammentreffen, will man als etwas gewaltsame
zu gestehen: eine babylonische Orgie im Park des
Zusammenschiebung empfinden, weil man die
zügen eines Max Reisenberg darstellt. Weil ihr
Malers Gysar, der sie als Venus gemalt hat. Und
die Treue gegen sich selber im Blut liegt, ge¬
ganz plausibeln Vorbereitungen dazu, die derl dieses Bild hat der Schurke dem Prinzen Arduin
nießt sie im Zauber der glückhaften Stunde die
Dichter in die verschiedenen Auftritte der vor-zur Ausschmückung seiner Schlafkabine auf der
hergehenden Akte einstreut, selbstverständlich
Harmonie mit dem All und kann sich selig ver¬
Jacht verkauft. „Dieses Bild log nicht“ schließt
überhört hat. Prinz Arduin, der sich in Kopen¬
schenken, ohne sich seclisch zu verlieren. Das
sie ihr ekstatisches Bekenntnis; „Wahrheit, von
hagen eine Jacht bauen ließ, auf der er mit
wird wunderbare Erscheinung im lvrischen Aus¬
der ich noch immer Nichts geahnt, war das Bild.
klang dieser Szene, der ein herrliches Gegenstück
Aurelie, falls sie ihn gewählt hätte, eine Hoch- Dies Bild ist Aurelie — ich selbst aber, wie
bildet zu der Zusammenbruch-Kadenz im Haus
zeitsreise in's Märchenland unternommen hätte, jdu mich hier sichst, bin nur ein Bild. Maske
Westerhaus, wo sich die Genubgier mit Raub¬
wurde von Judith zu einem Stelldichein auf und Lüge bin ich. Dort auf dem Schiff fahre
tiergelüsten aufpeitschte und Fäuinisgeruch zum
Gilleleije geladen. Mit ihm will sie ihre Kurtisanen-ich davon, und was hier zurückbleibt, ist Nichts
Kosmetikum wurde.
Karriere eröffnen. Da sie aber immerhin Demi-Tals ein Schein, von dem du dich narren läßt.“
vierge ist, hat sie zu ihrer — physischen Vor¬
Der Abschied von der Schwester hat Sera¬
Er bleibt fest. „Tausend Bilder drücken dich
phine schwermütig gemacht; auch P’apa Fenz
bereitung den holden Max zu sich berufen. Wir
nicht aus, so wenig, wie es tausend Worte ver¬
findet das Haus nlötzlich jeer geworden. Mit
sehen ihn mit ihr im Morgenlicht aus der kleinen möchten. Du bist da, und ich liebe dich;
Elisabeth sind die Penaten, die Herdgirer davon- Villa treten, die zum Strandhotel gehört. Er hat das ist über allen Bildern und Worten.“ Ambros,
gezogen. Und morgen tritt Frl. Seraphine mit
bei ihr geschlafen. Sie verabschiedet ihn mitder von Alledem Zeuge ist, bietet ihnen das
dem Vater ihre Kunstreise an. Als sich auch
einem langen Kuß und erinnert ihn an sein
Motorboot an, das er bereitgestellt hat. Da unter¬
Ambros empfiehlt, um seine Koffer zu einer Versprechen, auf ihren Wink zu verschwinden.
wirft sie den Baron, der sich damals vor ge¬
noidischen Urlanbsfahrt zu packen, die er am
„Nie wieder mit dir“, sagt sie, „denn dich hab'
träumten Gespenstern gefürchtet hat, einer
frühesten Morgen anzutreten gedenkt, bittet Sera¬
ich beinahe geliebt.“ — Ambros Dochl, der
noch härteren Prüfung, indem sie — mit einem
phine den Max, der ihr in den sechs Wochen Gilleleije entdeckt hat, bringt Aurelie Merken¬
Freimut, der angesichts Doehls an's Widernatür¬
öfter die Schwester am Klavier ersetzt hat, zu #stein mit und hat Falkenir aus Rom berufen —
liche streift — schildert, wie sie auf der Fahrt
bleiben, um noch einmal das Konzertprogramm zu ihrer Rettung, die nur von ihm zu erhoffen
hieher entschlossen gewesen sei, sich auch diesem
mit ihr durchzunehmen. Papa soll sich als Zu-Tist, dessen Verzicht die Entwurzelte an geführ¬
Freund hinzugeben und daß dieser nur aus Treue
hörer auf die Veranda setzen. Aber der Tansend-liche Abgründe geführt hat. — Seraphine Fenz
gegen Falkenir nicht die Tür in ihr Schlafzimmer
sassa hat sich zu einer kleinen Abschiedsfeier —
Faber hat hier ein Sommerkonzert zu geben. Es
benützt habe, die sie ihm die ganze Nacht offen¬
mit guten Freunden versprochen, wie er sagt, muß unterbleiben, da die Nachricht vom Kriegs¬
gehalten: „Ich war bereit.“
Da meint er,
und drückt sich davon. Seraphine und Max sind ausbruch (man schreibt den 1. August 1914) diewenn sie Ambros liebe, so könne er ihr keinen
Badegäste nach allen Windrichtungen davontreibt.
allein, — und die Göttin Gelegenheit kuppelt
würdigeren Gefährten finden. — „Ich liebe ihn
wieder einmal. Draußen im Gärtchen Abendrot¬
Auch Ambros und Max haben nun ihre militärische'nicht, Falkenir. Eine Laune war es, die nicht
gold und herinnen zunehmende Dämmerung. Köst- Einberufung zu gewärtigen. Prinz Arduin, der wiederkehren wird.“ Ambros spricht’s aus, daß
licher Friede ringsum und Rosenduft: von den mit seiner Jacht (sie führt den Namen Aurelie)
sie nie einen Andern geliebt habe als den Baron,
Blüten, die Seraphine in Vasen und Gläser ver-hier anlegt, um sich Judith als Reisebegleiterin
und sie bestätigt es. „Doch ungebändigt durch
teilt hat, und von der Veranda hereingeweht fabzuholen, ist zwar österreichischer General (weil mein Herz fließen, denen du mein Ohr geöffnet,
durch die kosenden Lüfte. Seraphine spricht von
so hohe Herren die goldverschnürte Jacke zurf Falkenir, die ewigen Ströme. Fackelschein,
der Schwester und von der verstorbenen Matter Verzierung ihrer Person ju nicht entbehren kön- Flöten und Geigen, nächtliches Wellenrauschen,
und möchte am liebsten draußen unter der Esche
nen), gedenkt aber diesen Krieg, „der gegen alle eine schmeichelnde Stimme, Duft von Flieder —
sitzen und weinen. Da fällt ihr ein, daß Max Vernunft ausbricht“, nicht mitzumachen und kann
und deine Aurelie gleitet in die Arme eines
wohl ebenfalls noch Verpflichtungen habe für sich diese Absentierung als international „veran¬
Verführers, eines Freundes, eines Fremden, der
diesen Abend. Er läugnet es. Er weiß), daß sie kerter“ Grandseigneur vergönnen. Er ahnt natür- die Stunde zu nützen weiß. .. Und nun, da
auf Aurelie denkt und gibt ihr die überzeugende lich ebensowenig wie die Anderen, daß dieser, du gekommen bist, ward ich darum eine Andere?
Versicherung, daß er völlig frei sei. Da wird ihr historische Augusttag den Auftakt zu der großen Und wenn ich dir gelobte, treu zu sein — und
leichter. Als er ihr zärtlich die Hand küßt, be- Götzendämmerungs-Symphonie bildet, an die auch wenn ich es vermöchte — gibt es darum die
sinnt sie sich darauf, saß sie ja musizieren wollten, die Börsenkönige noch werden glauben miissen.bewigen Ströme nicht mehr? Und meinst du, daß
Er zündet die Kerzen am Klavier an, sie die am Ambros kann die Begegnung des Prinzen mit du mich jemals so völlig besitzen könntest, wie
Geigenpult. Dann spielt sie, in der Verandatür Aurelie nicht verhindern. Sie begrüßt diesen und kein Mann eine Fran. keine Frau einen Mann, wie
stehend, ein kurzes Impromptu. Er findet es auch Max ohne Bewegung und läßt sogar die niemals ein Mensch einen andern besitzen kann