OM
29. Konoedie der Verfuehrung
6n Nar Goldhsehmicht
BERLIN N4
Sas der Selhonstenschuig
Teielon: Norden son
Ausschnitt aus:
Wesderer rachen,
Wesen. Aeheloung
—
Staatstheater.
(Kleines Haus.)
Reichsdeutsche Uraufführung: Artur Schnitzler:
„Komödie der Verführung“. In Szene gefetzt von Dr. Bu¬
baum.
Dem verführerischen Titel. der deutlich an den Reigen¬
Schnitzler erinnert, möchte das ausverkaufte Haus guten
Teils zu danken gewesen sein. In der Tat spielt das Eroti¬
sche die Hauptrolle und dominiert auch über Tragik und
Tod. Die alten Reize gehen noch von dem Dichter aus; in
dem Stück herrscht wieder die eigenartige Atmosphäre aus
Leichtunn und Schwermut. aus Lebensfreude und Stepses.
Er ist noch der feine Stimmungskünstler, der die zartesten
Farben und Zwischenlöne auf seiner Palette hat. mit fast
unbegreiflicher Onenheit und Unbefangenheit Sezue es ver¬
handelt und mit großartiger Gelassenheit zeigt, wie die Ge¬
sellschaft von sinnlichen Trieben beherrscht wird. Oft sehr
weich und innig. leise und zart: oft auch so. daß uns die
girrenden und balzenden Menschen fast wie besessen erschei¬
nen: oft so. als ob er die Ansicht seines (medizinischen)
Kollegen Freud demonstrieren wollte. der jede Gefühls¬
regung als abhängig von der inneren Sekretion gewisser
Drusen bezei net. Immerhin ist hier Schnitzlers ureigenste
Tomane. in der er sich noch immer mit Geist und unnach¬
ahmlicher Grazie und einer Konsequenz bewegt. die zu eilen
nicht ohne eine gewisse Größe ist. Aus Gründen des Kon¬
trastes. vielleicht auch, weil er dichterisch tiefer greifen
wollte. hat er nun in den amoureusen Betrieb die tragische
Evisode von Aurelie und Falkenir eingebaut. Mit wenig
Gluck. Aurelie wählt von drei Bewerbern diesen Falkenir
mit schönen Worten, die sie als offenen gereiften Menschen
erkennen lassen. Faklenir lehnt ab mit der Begründung.
daß er sie besser als sie sich selbst lenne. Kurz, daß sie dem
rauschenden Leben gehöre und nicht einem allein. Er ent¬
puppt sich mit dieser Entscheidung, die eine Marotte ist. als
Kanz. voll unverkennbarer Ahnlichkeit mit dem melancholi¬
ien Junker von la Mancha. Aber sein salomonisches Urteil
hat die verhängnisvol e Folge, daß Aurelie den Weg. den er
als den ihrigen bezeichnet. geht und umgehend einige frag¬
würdige Beziehungen anknupft. Als Falkenir sieht, was
er angerichtet hat, lenkt er ein und bietet Liebe. Heim,
Name. Er hält der (ziemlich veinlichen) Konfrontation mit
Gentebten Aureliens ehern stand. und fast scheint ein neuer
Liebesfrühling zu erstehen, da stürzt sich Aurelie ins Meer
und. was soll er anders tun. er ihr nach. Diese ganze
Enisode bleibt rein rhetorisch, ertüftelt: nicht einen Moment
kann man an die Gestaltung einer dichter schen Vinon, kann
man an die geniale Witterung eines Kunstlers glaubn:
man lugt vielmeni dem Verfasser in die Weristatt, gewinnt
mehr und mehr den Eindruck, daß Schnitzler von der inneren
box 33/6
Wahrheit seiner Menschen selbst wenig überzeugt sei. und
deshalb verzweifelt nach Worten. schönen. klugen und sehr
kultivierten. aber doch blutleeren Worten ringen müsse.
Dr. Burbaum, der die Dichtung sehr sinn= und zweck¬
gemäß bearbeitete, hat das anspruchsvo e Stück glänzend
bewältigt und namentlich in den Gesells aftsszenen mit ihrer
offen züngelnden und versteckt schwelenden Glut stärksten Ein¬
druck erzielt. Ein faszinierender Rhythmus sorühenden
Lebens erfüllte die Bühne, und das Antlitz einer sittlich stark
ramponierten Gesellschaft starrte geisterhaft in den Raum.
Das Räderwerk des Kommen und Gehens, der Frage und
Anshort. der Zwischenrufe funktionierte prompt, und der
anmutreiche Dialog wies reizvolle Nuancen auf. Dr. Bux¬
bäum. seinem Mithelfer Gerhard Buchholz für dekorative
Bühnenbilder sehr verpflichtet, konnte denn auch am Schluß
starken Bei all und Zurufen wiederholt Folge l isten Von
den zahlreichen Solisten sei zunächst die „Gräfin Aurelie
von Thila Hummel genannt. die sich redliche Mühe gab.
geistiges Verstörtsein auf Grund weitgehender Verhältnisse
bei nicht lädierter feelischer Reinheit usw. durch eine schwe¬
bende Sing=Sprechweise plausibel zu ma en. Kurt Sell¬
nick. immer an richtiger Stelle. fand sogar für das
seltsame Gedankengekräusel Falkenirs Ton
und Hal¬
tung und Wolfgang Langhoff war ein Anatol=Typus von
angenehmer Besonderheit. Friedl Nowack ist eine Naive
von weitreichenden Fähigkeiten, deren schätzbarste ist, daß sie
nichts macht, sondern immer zu sein scheint, daß sie sehr
theaterfern ist. Bernhard Herrmann trug sein prinz¬
liches Ordensband mit salopper Selbstverständlichkeit, und
Aug. Momber war ein sehr dämonischer Maler: außer den
Genannten war fast das gesamte künstlerische Personal auf¬
geboten und vereinigte sich zu einer seir noblen und
diszivlinierten Gesamtleistung, die rückhaltlose Anerkennung
fand. Im ganzen ein Abend, der die Inszenierungs= und
Schausvielkunst unseres Staatstheaters auf erfreulicher Höhe
und den Prozeß der schon längere Zeit währenden Schnitzler¬
Dämmerung unzweideutig nachwies.
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29. Konoedie der Verfuehrung
6n Nar Goldhsehmicht
BERLIN N4
Sas der Selhonstenschuig
Teielon: Norden son
Ausschnitt aus:
Wesderer rachen,
Wesen. Aeheloung
—
Staatstheater.
(Kleines Haus.)
Reichsdeutsche Uraufführung: Artur Schnitzler:
„Komödie der Verführung“. In Szene gefetzt von Dr. Bu¬
baum.
Dem verführerischen Titel. der deutlich an den Reigen¬
Schnitzler erinnert, möchte das ausverkaufte Haus guten
Teils zu danken gewesen sein. In der Tat spielt das Eroti¬
sche die Hauptrolle und dominiert auch über Tragik und
Tod. Die alten Reize gehen noch von dem Dichter aus; in
dem Stück herrscht wieder die eigenartige Atmosphäre aus
Leichtunn und Schwermut. aus Lebensfreude und Stepses.
Er ist noch der feine Stimmungskünstler, der die zartesten
Farben und Zwischenlöne auf seiner Palette hat. mit fast
unbegreiflicher Onenheit und Unbefangenheit Sezue es ver¬
handelt und mit großartiger Gelassenheit zeigt, wie die Ge¬
sellschaft von sinnlichen Trieben beherrscht wird. Oft sehr
weich und innig. leise und zart: oft auch so. daß uns die
girrenden und balzenden Menschen fast wie besessen erschei¬
nen: oft so. als ob er die Ansicht seines (medizinischen)
Kollegen Freud demonstrieren wollte. der jede Gefühls¬
regung als abhängig von der inneren Sekretion gewisser
Drusen bezei net. Immerhin ist hier Schnitzlers ureigenste
Tomane. in der er sich noch immer mit Geist und unnach¬
ahmlicher Grazie und einer Konsequenz bewegt. die zu eilen
nicht ohne eine gewisse Größe ist. Aus Gründen des Kon¬
trastes. vielleicht auch, weil er dichterisch tiefer greifen
wollte. hat er nun in den amoureusen Betrieb die tragische
Evisode von Aurelie und Falkenir eingebaut. Mit wenig
Gluck. Aurelie wählt von drei Bewerbern diesen Falkenir
mit schönen Worten, die sie als offenen gereiften Menschen
erkennen lassen. Faklenir lehnt ab mit der Begründung.
daß er sie besser als sie sich selbst lenne. Kurz, daß sie dem
rauschenden Leben gehöre und nicht einem allein. Er ent¬
puppt sich mit dieser Entscheidung, die eine Marotte ist. als
Kanz. voll unverkennbarer Ahnlichkeit mit dem melancholi¬
ien Junker von la Mancha. Aber sein salomonisches Urteil
hat die verhängnisvol e Folge, daß Aurelie den Weg. den er
als den ihrigen bezeichnet. geht und umgehend einige frag¬
würdige Beziehungen anknupft. Als Falkenir sieht, was
er angerichtet hat, lenkt er ein und bietet Liebe. Heim,
Name. Er hält der (ziemlich veinlichen) Konfrontation mit
Gentebten Aureliens ehern stand. und fast scheint ein neuer
Liebesfrühling zu erstehen, da stürzt sich Aurelie ins Meer
und. was soll er anders tun. er ihr nach. Diese ganze
Enisode bleibt rein rhetorisch, ertüftelt: nicht einen Moment
kann man an die Gestaltung einer dichter schen Vinon, kann
man an die geniale Witterung eines Kunstlers glaubn:
man lugt vielmeni dem Verfasser in die Weristatt, gewinnt
mehr und mehr den Eindruck, daß Schnitzler von der inneren
box 33/6
Wahrheit seiner Menschen selbst wenig überzeugt sei. und
deshalb verzweifelt nach Worten. schönen. klugen und sehr
kultivierten. aber doch blutleeren Worten ringen müsse.
Dr. Burbaum, der die Dichtung sehr sinn= und zweck¬
gemäß bearbeitete, hat das anspruchsvo e Stück glänzend
bewältigt und namentlich in den Gesells aftsszenen mit ihrer
offen züngelnden und versteckt schwelenden Glut stärksten Ein¬
druck erzielt. Ein faszinierender Rhythmus sorühenden
Lebens erfüllte die Bühne, und das Antlitz einer sittlich stark
ramponierten Gesellschaft starrte geisterhaft in den Raum.
Das Räderwerk des Kommen und Gehens, der Frage und
Anshort. der Zwischenrufe funktionierte prompt, und der
anmutreiche Dialog wies reizvolle Nuancen auf. Dr. Bux¬
bäum. seinem Mithelfer Gerhard Buchholz für dekorative
Bühnenbilder sehr verpflichtet, konnte denn auch am Schluß
starken Bei all und Zurufen wiederholt Folge l isten Von
den zahlreichen Solisten sei zunächst die „Gräfin Aurelie
von Thila Hummel genannt. die sich redliche Mühe gab.
geistiges Verstörtsein auf Grund weitgehender Verhältnisse
bei nicht lädierter feelischer Reinheit usw. durch eine schwe¬
bende Sing=Sprechweise plausibel zu ma en. Kurt Sell¬
nick. immer an richtiger Stelle. fand sogar für das
seltsame Gedankengekräusel Falkenirs Ton
und Hal¬
tung und Wolfgang Langhoff war ein Anatol=Typus von
angenehmer Besonderheit. Friedl Nowack ist eine Naive
von weitreichenden Fähigkeiten, deren schätzbarste ist, daß sie
nichts macht, sondern immer zu sein scheint, daß sie sehr
theaterfern ist. Bernhard Herrmann trug sein prinz¬
liches Ordensband mit salopper Selbstverständlichkeit, und
Aug. Momber war ein sehr dämonischer Maler: außer den
Genannten war fast das gesamte künstlerische Personal auf¬
geboten und vereinigte sich zu einer seir noblen und
diszivlinierten Gesamtleistung, die rückhaltlose Anerkennung
fand. Im ganzen ein Abend, der die Inszenierungs= und
Schausvielkunst unseres Staatstheaters auf erfreulicher Höhe
und den Prozeß der schon längere Zeit währenden Schnitzler¬
Dämmerung unzweideutig nachwies.
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