II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 108

Dr. Hans Hümmeler.
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KUINS Tu WISSENSCHAFT
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— Berliner Theaterbrief. Das „Deutsche Opern¬
haus“ sucht Anbahnung an Otto Klemperer. Seine
Gattin, Johanna Klemperer, sang dort als
stärker hält als die Kraft sich bewährender Frauen¬
„Die heilige Johanna“
Gast; sie hat als wertbeständiger Koloratursopran
liebe. Aus Angst vor den Möglichkeiten gibt er sie
Die Intendantur des Staatstheaters hat nach einer
alle Mittel, deren sie bedarf. Selbst mit Mozart
preis; sie wurden infolgedessen zu Wirklichkeiten,
Zuschrift „Die heilige Johanna“ von Bernand Shaw zur
steht sie in bestem Einvernehmen, dessen „Figaro“
die im Tod ihre Erledigung — Sühne ist wohl nicht
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Aufführung angenommen. Das Werk, das in Dresden
endlich wieder die Bühne erheitert. Aber es ist
der richtige Ausdruck

finden. Diese Lösung
und Berlin in Szene ging. wird demnächst in der In¬
nicht immer der rechte Mozartton, das lieblich
wirkt überstürzt, unwahrscheinlich, theaterhaft, nicht
szenierung des Intendanten Dr. Hagemann im „Großen
neckische Spiel, das sie trifft. Sie hatte neben Ka¬
zum mindesten durch die fast skurrile Häufung der
Haus“ zur Darstellung kommen.
pellmeister Paul Breisach den Hauptanteil am
Zufälle im Schlußakt; so wirkt denn die Katastrophe
Die Nachricht von der Aufführung dieses Werkes
Erfolg des Abends. — Wenn man diese Vorstellung
fragwürdig und sentimental.
bedauern wir; denn es gibt wenige Werke, die dem
musikalisch bewertet, so erheischt die Kunst Brei¬
Sollte es überhaupt anders sein? Kann es an¬
katholischen Glauben so schaden können, wie eben
sachs, des Mozartkenners, besondere Aufmerksam¬
ders sein, wenn das Leben als eine „Komödie der
keit.
dieses. Deshalb ist es gut, wenn der gläubige
Die „Große Volksoper“ sucht sich Leo
Verführung“ hingestellt wird? Man könnte sogar
Christ über dieses Thema unterrichtet ist. Shaw
Blechs zu versichern. Sie ist einmal ein witziges
das Wort „Verführung“ mit gutem Recht antasten;
ist oft ein feiner, geistreicher Spötter; aber diese
Institut. Vor zwei Jahren zog sie noch obdachlos in
denn eigentlich gibt es hier weder Verführer wie
Geschichte von der Jungfrau von Orleans, der hei¬
zweifelhaften Lokalen gastierend umher; heute steht
Verführte; es ist zu viel Selbstverständlichkeit und
ligen Johanna, die wegen Ketzerei als Hexe im
sie in der Reihe der führenden Kunstinstitute Gro߬
zu
wenig blutgebürtige, nicht hirnentstammte
Jahre 1431 verbrannt, ein Menschenalter später
Berlins. Soweit kann es Opferwilligkeit und Ener¬
Leidenschaft in dieser gegenseitigen Hingabe der
schon rehabiliert wurde, schließlich im Jahre 1908
gie bringen. Die erste Tat, die Blech vollbracht,
Geschlechter. Hin und wieder überrascht die Fein¬
heilig gesprochen, ist nur aus tiefer Gläubigkeit
galt Mozart. Hans Strohbach unterstützte ihn dabei
heit der Dialektik, das Florettfechten der Worte und
hexaus zu verstehen; die Historie in ihrer Schuld
mit einem wirksam kontrastierenden Bühnenbild.
der an der Psychoanalyse geschulte Scharfblick für
und Sühne zu gestalten, dazu bedarf es mehr als
Mozarts „Don Juan“ wird selten szenisch wie
geheime Grundströmungen des Seelenlebens, aber
nur gesunden Menschenverstand, mehr als frivoles
musikalisch voll erfaßt, hier war es der Fall. Auch
das entschädigt nicht für die innere Unglaubhaftig¬
Freidenkertum. Dazu gehört ein begeisterungs¬
die Solisten ließen wenig zu wünschen übrig. —
keit der Handlung und Zeitstimmung, den Mangel
fähiges Herz, heroischer Mut und zu allererst feste
In der „Volksoper“ gastierte das bekannte Dia¬
an Architektonik und die Nichtigkeit des Liebesge¬
Verankerung im Glauben der katholischen Kirche.
ghilewballett. Für uns ist der russische Tanz ein
plänkels. Es ist Dichtung in diesem Stück. gewiß.
Shaw bewundert diese Kirche, er hat sich mit Sorg¬
Ereignis, weil er Nationalgut und dazu noch ein
aber als Ganzes ist es nicht Dichtung, obwohl das
falt in ihr Wesen vertieft, die Akten des Prozesses
Stück Kulturgeschichte darstellt, Aber die deutsche
Werk als Buch im Verlag S. Fischer=Berlin er¬
scheinen ihm vorgelegen zu haben; denn die Objek¬
Ballettschule ist auch nicht mehr allzusehr im Rück¬
schien, der sonst sehr auf Qualität eingestellt ist.
tivität, deren er sich befleißigt, ist auf den ersten
stand gegen die früheren Jahre. Man wäre ganz
Die Aufführung unter der Regie von Dr. Bux¬
Blick bewundernswert wie grausam. Aber dann
zufrieden gewesen mit dem, was man bot, hätten
baum war im großen Ganzen gut vorbereitet:
zeigt sich, daß diese Objektivierung doch nur äußer¬
die Gäste nicht zu große Versprechungen gemacht.
durch einige Streichungen waren manche Längen
liche Oberfläche ist; zur tieferen Erkenntnis des
Im Staatlichen Schauspielhaus hat Jeßner
und Schwächen des Stückes beseitigt. Die Bühnen¬
Mittelalters und der Kirche ist er nicht gekommen.
die „Wallenstein=Trilogie“ durch seine unerhörte
bilder, einfach und nur das Wesentliche betonend,
Ueberall blitzt die Persönlichkeit durch, in kecker
Regiekunst zu neuem Leben erweckt. —
waren recht ansprechend. Die Leistungen der Dar¬
Groß war
Frivolität schiebt er seine Bonmots, die eigene
auch der Erfolg im Theater an der Königgrätzer
steller hielten sich durchweg auf einer Höhe, die vor¬
höchst individuelle Ansicht über Religion den Wür¬
Straße wo man Strindbergs „Erich XIV.“ mit
übergehend über die Gezwungenheit des dramati¬
denträgern der Kirche unter, Shaw hat in manchem
Ernst Deutsch in der Titelpartie gab.
schen Gefüges hinwegtäuschte. Thila Hummel
die Erkenntnis, aber in nichts die Liebe.
machte aus der Rolle der Gräfin Aurelie alles, was
Selten ist die Berliner Philharmonie so mit
daraus zu machen war; es gelang ihr sogar, mit der
Eine dramatische Chronik in sechs Bildern und
Dirigenten angefüllt gewesen als gegenwär¬
ihr eigenen eminenten Gestaltungskraft das rätsel¬
tig. Jeder will zeigen, was er kann, jeder will es
einem Epilog, so ist das undramatische, steife Stück
hafte Wesen dieser Frau einigermaßen verständlich
besser wissen. Diesmal ist es Otto Klemperer,
vorsichtig benannt. Es beginnt damit daß die
und ihrer Gestalt zu einer tragischen Wirkung zu
der es besser weiß als all die andern. Wir haben
Hühner des Schloßhauptmanns Robert von Bau¬
verhelfen. Ihr stand der Freiherr von Falkenir
viel Bruckner in der letzten Zeit zu hören bekom¬
dricourt keine Eier legen wollen, und siehe da, als
Kurt Sellnicks ebenbürtig zur Seite. Bernhard
men, aber so, wie ihn uns Klemperer vermittelt
der energische Junker das Mädchen aus Lothringen
Herrmann überraschte als Prinz Arduin mit
hat, kannten wir ihn noch nicht. Zumal die riesige
zum Dauphin ziehen läßt, da erscheint der Ver¬
einer treffenden Darstellung des blasierten Welt¬
achte Symphonie, die ja am meisten dazu angetan
walter wieder gleich mit fünf Dutzend Eier. Diese
mannes. Gustav Schwah gab den Dichter Ambros
ist das Wesen der Brucknerschen Musik zu ent¬
Episode ist für die Methode Shaws sehr bezeich¬
Doehl mit feiner Zurückhaltung, die dessen vor¬
schleiern. Unter Klemperer wächst, das monumen¬
nend. Er zwinkert mit den Augen: Seht so pas¬
nehme Sinnesart inmitten einer leichtlebigen Um¬
tale Tonwerk ins Unendliche. Er baut auf, reiht
sieren die Wunder! Und ein Erzbischof in der
gebung sympathisch hervorhob. Als eigenständige
die zerklüfteten Felsblöcke aneinander, gibt ihnen
nächsten Szene erläutert dann, was der Spötter
und tüchtige Kraft zeigte sich Friedel Nowack in
eine neue Form. haucht ihnen Leben ein und sieht
unter Wunder versteht. Es ist das eine ganz raffi¬
der Rolle der Seraphine: aut waren auch die beiden
zum Schluß den herrlichen Bau den er aus eigener
nierte Art, die Wundergabe des Mädchens zu ver¬
Schwestern Indith und Julia non Guhrnn Ka¬
Kraft hat erstehen lassen, der ihm über den Kopf
spotten und das Wunder rationalistisch zu er¬
bisch und Hilde Wernburg. August Momber
gewachsen ist, der wie ein gewaltiger Dom in die
klären. Es ließen sich noch mehr Beispiele dafür
spielte den Maler Gysar mit verhaltener Dämo¬
Wolken ragt. Es wird sich ja zeigen, wenn Blech
anführen. Johanna erscheint dann vor dem Dau¬
nie. Mar Andriano den Kammersänger Eltains
nun an die Wiener Staatsover geht. ob Klemperer
phin und krönt ihn schließlich in Reims. Unter¬
Fenz mit der Pose des „jugendlichen“ Alten. Da¬
nicht den rechten Wirkungskreis in Berlin finden
dessen sind wir auch schon mit den treibenden Kräf¬
gegen bedeutete die Darstellung des Mar von
wird. Denn Bruno Walter will auch nicht seßhaft
ten im englischen Lager bekannt gemacht, mit dem
Reisenberg eine ziemliche Enttäuschung: Wolfaana
werden, obwohl man ihn in jeder Weise zu ge¬
Kaplan von Stogumber und dem Oberfeldherrn,
Langhoff gelang es nur selten, der Person des
winnen sucht. In der Philharmonie dirigierte er
dem Grafen Warwick. Sie sinnen auf Mittel und
„Herzensbezwingers par excellence“ bezeichnende
unverdrossen Mozart. Er macht nicht gern viel
Wege, die Jungfrau zu verbrennen, zwar im hart¬
Züge zu geben. Und gerade diese Rolle hätte einer
Lärm um eine Sache er begnügt sich mit einem
näckigen Kampf mit dem Bischof, aber schon hat
vorzüglichen Darstellung bedurft. Trotzdem konnte
Stilvrogramm. Sich selbst schmeichelnd, lacht er vor
man das Gefühl, daß sie Recht behalten werden.
der Reaisseur die Aufführung als Erfolg buchen;
sich hin, wenn es gilt, die sonnige Partitur eines
Schließlich das Inquisitionsgericht mit Bischof und
das Publikum, wie immer, beifallsfreudig, klatschte
„Till Eulenspiegel“ zu beleben, ernsthaft wird er
Inquisitor, den Kirchenrechtslehrern und den Do¬
lange den Darstellern seine Anerkennung, darin
wieder bei Schuberts großer C=dur=Symphonie, der
miniranermönchen. Diese Szene ist am dramatisch¬
das Zischen einiger weniger unterging; das schien
er ganz ungekannte Klangreize abzugewinnen weiß.
sten angelegt, es kommt zu einem langen und zähen
allein dem Stück selbst zu gelten. Wäre auch der
Auch der Aachener Generalmusikdirektor Peter
Disput mit der Jungfrau. Sie soll bekennen, daß
Beifall zu verstehen, so wäre das im Interesse des
Raabe erwies sich als außerorbentlicher Orchester¬
die Offenbarungen und Visionen vom Teufel
Ruses des Wiesbadener Theaterpublikums zu be¬
dirigent. Er scheint etwas bizarr. Kurze, eckige,
stammen, und unterschreibt schließlich auch den vom
dauern.
aber recht intensive Zeichengehung charakterisiert
Gericht aufgesetzten Widerruf. Daraufhin zu
Damit könnte es nun sein Bewenden haben,
ihn. Mit Rudi Stephans Orchestermusik führte er
lebenslänglicher Gefangenschaft verurteilt, zerreißt
ch
wenn nicht der, welcher das Theater als Kultur¬
vorteilhaft ein. Auch die verwagnerisierte
sie das Papier in Fetzen und geht standhaft, als
stätte und nicht als Unterhaltungstemvel wertet.
siebente Symphonie von Anton Bruckner erhielt
rückfällige Ketzerin aus der Kirche gestoßen, in den
die Pflicht hätte, nach dem kulturellen Wert eines
ihre Schwungkraft. Zwischendurch spielte Marga¬
Feuertod. Ein angeklebter, ganz unkünstlerischer
solchen Abends zu fragen. Und da versagt diese
Epilog zeigt sie als Siegerin über ihre Widersacher,
rete Witt Strauß' Klavier=Burleske. Mehr Noten
„Komödie“ völlig. Was soll uns, die wir durch das
als Töne! Elln Ney mußte man dabei vergessen.
und ein geistlicher Herr im Habit überbringt ihr
Erlebnis eines blutigen Krieges und bitterer Not
Nachhaltig wirkte auch der zweite Beethoven¬
mit amtsgemäßer Miene das Dokument der Heilig¬
hindurchgegangen sind, heute eine derartig ange¬
sprechung.
Abend Georg Schneevoigts. Sonderbar, daß das
faulte, blasierte und willensmübe Welt? Ihre
Ausland uns Beethoven vermitteln muß! Schnee¬
Vom katholischen Standpunkt aus müssen wir
Lebens. kunst“ widert uns an, und wir sind geneigt,
voigt ist neben Furtwängler der einzige Könner
gegen die Aufführung der „Heiligen Johanna“ un¬
diese pathologische Blicknerengung einer dekadenten
dieser ewigen Musik. Artur Schnabel svielte das
bedingt vrotestieren. Denn die Objektivität
Schicht, die in der Fülle der Welt nur das Ge¬
G=dur=Klavierkonzert. Seine natürliche Vortrags¬
ist nur Glätte, die in der äußerlichen Abwicklung
schlechtliche sieht und jede Liebeserregung so furcht¬
weise, seine aller Bravour bare Technik, sein war¬
getreue Historie nur Vorwand, damit Shaw die
bar wichtig nimmt, lächerlich zu finden. Wir glauben
mer, gesunder Ton machen an ihn glauben. In
eigene, ganz und gar antireligiöse Weisheit an den
nicht
an die unüberwindliche Allgewalt der
der Singakademie hörte man ebenfalls vollendete
Mann bringt. Gleichgültig ist uns, wenn er seine
„dunklen, ewigen Strömungen, die unaufhörlich
Klaviermusik. Sergei Tager brillierte mit eminent
Landsleute verhöhnt, aber er hat kein Recht, reli¬
fließen von Mann zu Weib und von Weih zu
virtuosem Können und höchst interessantem Pro¬
giöse Gefühle zu beleidigen. Gerade weil er es so
Mann“ und unsere Sympathie gehört durchans
gramm. Fritz Hans Rehbold meisterte die klas¬
versteckt tut, weil die Lästerung gleichsam in Skepsis
nicht „der Vielfältigen, Unerschöpflichen, Herrlichen,
sische Literatur. Von Sängern bleibt Rudolf Ga¬
und Ironie hinter den Zeilen lauert, weil das
die geschaffen ist, sich zu verschwenden und in aller
lena=Ruckers mit seiner kräftigen Naturstimm#
ganze Stück mit einem fast zynischen Rationalis¬
Verschwendung sich im Innersten stets zu be¬
Erinnerung und die liebliche Cida Lau mit ihrem
mus durchtränkt ist, der den Katholizismus mehr
wahren“ (!).
Das ist Gallert, aus dem unser
kultivierten Gesang und Novitätenprogramm. Den
als kluge Ausgeburt menschlichen Geistes hinstellt
niedergebrochenes Volk schwerlich neue Kraft
Geigerprimas Vecsey löste Hubermann ab, der mit
als irgendeine philosophische oder religiöse Relation,
ziehen kann. Gab es wirklich nichts Wertvolleres
Goldmarks Violinkonzert seine ganze Künstlerschaft
deshalb ist es abzulehnen. Auch künstlerisch ist der
an neueren dramatischen Werken, das unserem Zeit= erwies.
H. R. G.
Wert nicht bedeutend. Shaws Kraft reicht immer
nur für ein Theaterfeuilleton aus, für mehr nicht;

ar
eie Blomos
Wigeniljesen
hea