II, Theaterstücke 29, Komödie der Verführung. In drei Akten (Der Verführer), Seite 109

Rheinische Volkszeitung
te 6. Nummer 246.
empfinden besser entspricht und eine Uraufführung
eher verlohnt? Mußte es gerade Schnitzler sein,
der Repräsentant einer überlebten Zeit? Lasset die
Toten ihre Toten begraben.
THEATER
Dr. Hans Hümmeler.
AKUINSTu WISSENSCHAFT
— Berliner Theaterbrief. Das „Deutsche Opern¬
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haus“ sucht Anbahnung an Otto Klemperer. Seine
Gattin, Johanna Klemperer, sang dort als
stärker hält als die Kraft sich bewährender Frauen¬
Gast; sie hat als wertbeständiger Koloratursopran
„Die heilige Johanna“
liebe. Aus Angst vor den Möglichkeiten gibt er sie
alle Mittel, deren sie bedarf. Selbst mit Mozart
preis; sie wurden infolgedessen zu Wirklichkeiten,
Die Intendantur des Staatstheaters hat nach einer
steht sie in bestem Einvernehmen, dessen „Figaro“
die im Tod ihre Erledigung — Sühne ist wohl nicht
Zuschrift „Die heilige Johanna“ von Bernand Shaw zur
endlich wieder die Bühne erheitert. Aber es ist
finden. Diese Lösung
der richtige Ausdruck —
Aufführung angenommen. Das Werk, das in Dresden
nicht immer der rechte Mozartton, das lieblich
wirkt überstürzt, unwahrscheinlich, theaterhaft, nicht
und Berlin in Szene ging. wird demnächst in der In¬
neckische Spiel, das sie trifft. Sie hatte neben Ka¬
szenierung des Intendanten Dr. Hagemann im „Großen
zum mindesten durch die fast skurrile Häufung der
pellmeister Paul Breisach den Hauptanteil am
Haus“ zur Darstellung kommen.
Zufälle im Schlußakt; so wirkt denn die Katastrophe
Erfolg des Abends. — Wenn man diese Vorstellung
fragwürdig und sentimental.
Wie Nachricht von der Aufführung dieses Werkes
musikalisch bewertet, so erheischt die Kunst Brei¬
Sollte es überhaupt anders sein? Kann es an¬
auern wir; denn es gibt wenige Werke, die dem
sachs, des Mozartkenners, besondere Aufmerksam¬
ders sein, wenn das Leben als eine „Komödie der
holischen Glauben so schaden können, wie eben
Die „Große Volksoper“ sucht sich Leo
keit.
Verführung“ hingestellt wird? Man könnte sogar
eses. Deshalb ist es gut, wenn der gläubige
Blechs zu versichern. Sie ist einmal ein witziges
das Wort „Verführung“ mit gutem Recht antasten;
brist über dieses Thema unterrichtet ist. Shaw
Institut. Vor zwei Jahren zog sie noch obdachlos in
denn eigentlich gibt es hier weder Verführer wie
ft ein feiner, geistreicher Spötter; aber diese
zweifelhaften Lokalen gastierend umher; heute steht
Verführte; es ist zu viel Selbstverständlichkeit und
schichte von der Jungfrau von Orleans, der hei¬
sie in der Reihe der führenden Kunstinstitute Gro߬
wenig blutgebürtige, nicht hirnentstammte
zu
en Johanna, die wegen Ketzerei als Hexe im
Berlins. Soweit kann es Opferwilligkeit und Ener¬
Leidenschaft in dieser gegenseitigen Hingabe der
hre 1431 verbrannt, ein Menschenalter später
gie bringen. Die erste Tat, die Blech vollbracht,
Geschlechter. Hin und wieder überrascht die Fein¬
on rehabiltert wurde, schließlich im Jahre 1908
galt Mozart. Hans Strohbach unterstützte ihn dabei
heit der Dialektik, das Florettfechten der Worte und
ilig gesprochen, ist nur aus tiefer Gläubigkeit
mit einem wirksam kontrastierenden Bühnenbild.
der an der Psychoanalyse geschulte Scharfblick für
raus zu verstehen; die Historie in ihrer Schuld
Mozarts „Don Juan“ wird selten szenisch wie
geheime Grundströmungen des Seelenlebens, aber
d Sühne zu gestalten, dazu bedarf es mehr als
musikalisch voll erfaßt, hier war es der Fall. Auch
das entschädigt nicht für die innere Unglaubhaftig¬
hr gesunden Menschenverstand, mehr als frivoles
die Solisten ließen wenig zu wünschen übrig. —
keit der Handlung und Zeitstimmung, den Mangel
reidenkertum. Dazu gehört ein begeisterungs¬
In der „Volksoper“ gastierte das bekannte Dia¬
an Architektonik und die Nichtigkeit des Liebesge¬
higes Herz, heroischer Mut und zu allererst feste
ghilewballett. Für uns ist der russische Tanz ein
plänkels. Es ist Dichtung in diesem Stück. gewiß,
erankerung im Glauben der katholischen Kirche.
Ereignis, weil er Nationalgut und dazu noch ein
aber als Ganzes ist es nicht Dichtung, obwohl das
haw bewundert diese Kirche, er hat sich mit Sorg¬
Stück Kulturgeschichte darstellt. Aber die deutsche
Werk als Buch im Verlag S. Fischer=Berlin er¬
lt in ihr Wesen vertieft, die Akten des Prozesses
Ballettschule ist auch nicht mehr allzusehr im Rück¬
schien, der sonst sehr auf Qualität eingestellt ist.
heinen ihm vorgelegen zu haben; denn die Objek¬
stand gegen die früheren Jahre. Man wäre ganz
Die Aufführung unter der Regie von Dr. Bux¬
lvität, deren er sich befleißigt, ist auf den ersten
zufrieden gewesen mit dem, was man bot, hätten
baum war im großen Ganzen gut vorbereitet:
lick bewundernswert wie grausam. Aber dann
die Gäste nicht zu große Versprechungen gemacht.
durch einige Streichungen waren manche Längen
igt sich, daß diese Objektivierung doch nur äußer¬
Im Staatlichen Schauspielhaus hat Jeßner
und Schwächen des Stückes beseitigt. Die Bühnen¬
che Oberfläche ist; zur tieferen Erkenntnis des
die „Wallenstein=Trilogie“ durch seine unerhörte
bilder, einfach und nur das Wesentliche betonend,
Mittelalters und der Kirche ist er nicht gekommen.
Regiekunst zu neuem Leben erweckt. — Groß war
waren recht ansprechend. Die Leistungen der Dar¬
eberall blitzt die Persönlichkeit durch, in kecker
auch der Erfolg im Theater an der Königgrätzer
steller hielten sich durchweg auf einer Höhe, die vor¬
Frivolität schiebt er seine Bonmots, die eigene
Straße, wo man Strindbergs „Erich XIV.“ mit
übergebend über die Gezwungenheit des dramati¬
öchst individuelle Ansicht über Religion den Wür¬
Ernst Deutsch in der Titelpartie gab.
schen Gefüges hinwegtäuschte. Thila Hummel
enträgern der Kirche unter, Shaw hat in manchem
Selten ist die Berliner Philharmonie so mit
machte aus der Rolle der Gräfin Aurelie alles, was
ie Erkenntnis, aber in nichts die Liebe.
Dirigenten angefüllt gewesen als gegenwär¬
daraus zu machen war; es gelang ihr sogar, mit der
tig. Jeder will zeigen, was er kann, jeder will es
Eine dramatische Chronik in sechs Bildern und
ihr eigenen eminenten Gestaltungskraft das rätsel¬
besser wissen. Diesmal ist es Otto Klemperer,
inem Epilog, so ist das undramatische, steife Stück
hafte Wesen dieser Frau einigermaßen verständlich
der es besser weiß als all die andern. Wir haben
Horsichtig benannt. Es beginnt damit daß die
und ihrer Gestalt zu einer tragischen Wirkung zu
viel Bruckner in der letzten Zeit zu hören bekom¬
Hühner des Schloßhauptmanns Robert von Bau¬
verhelfen. Ihr stand der Freiherr von Falkenir
men, aber so, wie ihn uns Klemverer vermittelt
ricourt keine Eier legen wollen, und siehe da, als
Kurt Sellnicks ebenbürtig zur Seite Bernhard
hat, kannten wir ihn noch nicht. Zumal die riesige
er energische Junker das Mädchen aus Lothringen
Herrmann überraschte als Prinz Arduin mit
achte Symphonie, die ja am meisten dazu angetan
um Dauphin ziehen läßt, da erscheint der Ver¬
einer treffenden Darstellung des blasierten Welt¬
das Wesen der Brucknerschen Musik zu ent¬
alter wieder gleich mit fünf Dutzend Eier. Diese
st.
mannes. Gustav Schwah gab den Dichter Ambros
schleiern. Unter Klemperer wächst, das monumen¬
Episode ist für die Methode Shaws sehr bezeich¬
Doehl mit feiner Zurückhaltung, die dessen vor¬
tale Tonwerk ins Unendliche. Er baut auf, reiht
#end. Er zwinkert mit den Augen: Seht, so pas¬
nehme Sinnesart inmitten einer leichtlebigen Um¬
die zerklüsteten Felsblöcke aneinander, gibt ihnen
ieren die Wunder! Und ein Erzbischof in der
gebung sympathisch hervorhob Als eigenständige
eine neue Form. haucht ihnen Leben ein und sieht
nächsten Szene erläutert dann, was der Spötter
und tüchtige Kraft zeigte sich Friedel Nowack in
zum Schluß den herrlichen Bau den er aus eigener
inter Wunder versteht. Es ist das eine ganz raffi¬
der Rolle der Seraphine: ant waren auch die beiden
Kraft hat erstehen lassen, der ihm über den Konf
ierte Art, die Wundergabe des Mädchens zu ver¬
Schwestern Indith und Julia von Guhrnn Ka¬
gewachsen ist, der wie ein gewaltiger Dom in die
potten und das Wunder rationalistisch zu er¬
bisch und Hilde Wernburg. Angust Momber
Wolken ragt. Es wird sich ja zeigen, wenn Blech
Klären. Es ließen sich noch mehr Beispiele dafür
spielte den Maler Gysar mit verhaltener Dämo¬
nun an die Wiener Staatsover geht. ob Klemperer
Inführen. Johanna erscheint dann vor dem Dau¬
nie, Mar Andriano den Kammersänger Eltains
nicht den rechten Wirkungskreis in Berlin finden
phin und krönt ihn schließlich in Reims. Unter¬
Fenz mit der Pose des „jugendlichen“ Alten. Da¬
wird. Denn Bruno Walter will auch nicht seßhaft
essen sind wir auch schon mit den treibenden Kräf¬
gegen bedeutete die Darstellung des Mar von
werden, obwohl man ihn in jeder Weise zu ge¬
en im englischen Lager bekannt gemacht, mit dem
Reisenberg eine ziemliche Enttäuschung: Wolfaana
winnen sucht. In der Philharmonie dirigierte er
Kaplan von Stogumber und dem Oberfeldherrn,
Langhoff gelang es nur selten, der Person des
unverdrossen Mozart. Er macht nicht gern viel
dem Grafen Warwick. Sie sinnen auf Mittel und
„Herzensbezwingers par excellenee“ bezeichnende
Lärm um eine Sache er beansat sich mit einem
Wege, die Jungfrau zu verbrennen, zwar im hart¬
Züge zu geben. Und gerade diese Rolle hätte einer
Stilvrogramm. Sich selbst schmeichelnd, lacht er vor
näckigen Kampf mit dem Bischof, aber schon hat
vorzüglichen Darstellung bedurft. Trotzdem konnte
sich hin. wenn es gilt, die sonnige Partitur eines
man das Gefühl, daß sie Recht behalten werden.
der Reaisseur die Aufführung als Erfolg buchen;
„Till Eulensviegel“ zu beleben, ernsthaft wird er
Schließlich das Inquisitionsgericht mit Bischof und
das Publikum wie immer, beifallsfrendig, klatschte
wieder bei Schuberts großer C=dur=Symphonie, der
Inquisitor, den Kirchenrechtslehrern und den Do¬
lange den Darstellern seine Anerkennung. darin
er ganz ungekannte Klangreize abzugewinnen weiß.
miniranermönchen. Diese Szene ist am dramatisch¬
das Zischen einiger weniger unterging; das schien
Auch der Aachener Generalmusikdirektor Peter
sten angelegt, es kommt zu einem langen und zähen
allein dem Stück selbst zu gelten. Wäre auch der
Raabe erwies sich als außerorbentlicher Orchester¬
Disput mit der Jungfrau. Sie soll bekennen, daß
Beifall zu verstehen, so wäre das im Interesse des
dirigent. Er scheint etwas bizarr. Kurze, eckige,
die Offenbarungen und Visionen vom Teufel
Ruses des Wiesbadener Theaterpublikums zu be¬
aber recht intensive Zeichengehung charakterisiert
stammen, und unterschreibt schließlich auch den vom
dauern.
ihn. Mit Rudi Stephans Orchestermusik führte er
Gericht aufgesetzten Widerruf. Daraufhin zu
Damit könnte es nun sein Bewenden haben,
ch vorteilhaft ein. Auch die verwagnerisierte
lebenslänglicher Gefangenschaft verurteilt, zerreißt
wenn nicht der, welcher das Theater als Kultur¬
siebente Symphonie von Anton Bruckner erhielt
sie das Papier in Fetzen und geht standhaft, als
stätte und nicht als Unterhaltungstemvel wertet,
ihre Schwungkraft. Zwischendurch spielte Marga¬
rückfällige Ketzerin aus der Kirche gestoßen, in den
die Pflicht hätte, nach dem kulturellen Wert eines
rete Witt Strauß' Klavier=Burleske. Mehr Noten
Feuertod. Ein angeklebter, ganz unkünstlerischer
solchen Abends zu fragen. Und da versagt diese
als Töne! Elly Ney mußte man dabei vergessen.
Epilog zeigt sie als Siegerin über ihre Widersacher,
„Komödie“ völlig. Was soll uns, die wir durch das
Nachhaltig wirkte auch der zweite Beethoven¬
und ein geistlicher Herr im Habit überbringt ihr
Erlebnis eines blutigen Krieges und bitterer Not
Abend Georg Schneevoigts. Sonderbar. daß das
mit amtsgemäßer Miene das Dokument der Heilig¬
hindurchgegangen sind, heute eine derartig ange¬
Ausland uns Beethoven vermitteln muß! Schnee¬
sprechung.
faulte, blasierte und willensmüde Welt? Ihre
voigt ist neben Furtwänaler der einzige Könner
Vom katholischen Standpunkt aus müssen wir
Lebens.kunst“ widert uns an, und wir sind geneigt,
diese pathologische Blicknerengung einer dekadenten dieser ewigen Musik. Artur Schnabel svielte das
gegen die Aufführung der „Heiligen Johanna“ un¬
iche Vortrags¬
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